Arbeiten abseits der Komfortzone
Pro Meinungsvielfalt und Transparenz, kontra Machtmissbrauch und Polarisierung: Die kroatische Medienforscherin und Menschenrechtsaktivistin Brankica Petković setzt sich in ihrer Wahlheimat Slowenien für eine starke und widerstandsfähige Zivilgesellschaft ein. Dazu gibt es Anlass genug, denn das lange Zeit als liberal und weltoffen angesehene Land zeigt sich unter Ministerpräsident und Orbán-Freund Janez Janša zunehmend antidemokratisch.
Brankica Petković spricht mit einer hohen, aber zarten Stimme: „Dass ich mit 56 Jahren hier in Slowenien diese völlig neue Erfahrung machen kann, ist schon etwas.“ Sie denkt an die Proteste. Fast jeden Freitag geht die Soziologin und Sprachwissenschaftlerin in Ljubljana (Laibach) auf die Straße. Sie versucht seit fast zwei Jahren lautstark, die Zersetzung jener Gesellschaft zu verhindern, die sie in den vergangenen 30 Jahren mit aufgebaut hat – und will die Wächterrolle der Medien enger mit der zivilen Öffentlichkeit verbinden. „Wir – Journalist*innen, Menschenrechtsaktivist*innen und die gesamte Bevölkerung – müssen uns in der Verteidigung der Grundwerte vereinen“, fordert sie. Notfalls eben mit deutlich vernehmbarem Widerspruch. „Diese Proteste sind eine Art Ausstieg aus der Komfortzone, die mir zugleich Hoffnung machen und mir helfen, meine eigenen Gedanken dazu noch besser artikulieren zu können“, sagt sie.
Nach der 1991 erklärten Unabhängigkeit von Jugoslawien galt Slowenien lange als EU-Musterschüler. Doch in den vergangenen zwei Jahren haben der nationalkonservative Ministerpräsident Janez Janša und dessen Slowenische Demokratische Partei (SDS) das kleine Land zwischen Alpen und Adria mit antidemokratischen Äußerungen und Aktionen ins Abseits manövriert. Eine bittere Entwicklung, wenn man bedenkt, dass Janša den turnusmäßigen Vorsitz im Rat der EU innehatte und bis zum Jahresende 2021 für die politische Tagesordnung der Union verantwortlich war. Sogar in dieser Rolle scheute der ehemalige Verteidigungsminister nicht davor zurück, mit Regierungsdekreten, umstrittenen Personalentscheidungen und finanziellem Druck seine bevorzugten Ziele anzugreifen: die unabhängige Justiz, die freien Medien und die kritische Zivilgesellschaft.
Genauigkeit gefällt nicht allen
Die dramatischen Ereignisse rund um die slowenische Unabhängigkeitserklärung und die damals erwachte Bürgerbewegung beobachtete Brankica Petković noch aus ihrer Heimat Kroatien. Angesehene slowenische Dichter*innen und Alternativkünstler*innen, Professor*innen und Punks setzten sich damals Seite an Seite für Demokratie, nationale Emanzipation und eine gerechtere Gesellschaft ein. Als Journalistin war Petković eine geschätzte Chronistin und bestens informiert. Damit wurde sie für alle Seiten im Jugoslawienkrieg zur Bedrohung – und deshalb auch selbst bedroht.
Der damalige Vertreter Sloweniens im zerfallenden jugoslawischen Staatspräsidium, Janez Drnovšek – ein liberaler und weltoffener Mann, den Petković einmal interviewte und der später Ministerpräsident Sloweniens wurde –, kam ihr zu Hilfe. Er lud sie in sein Team ein, in dem sie Informationen aus den Präsidiumssitzungen in Belgrad auswertete. So landete Brankica Petković in Slowenien. Sie begann zu forschen – erst für eine von Drnovšek ins Leben gerufene Stiftung, dann für das Open Society Institute. Ihre Studien über Medienfreiheit in den neu geschaffenen Staaten, zu Minderheiten- und Menschenrechten fanden international Beachtung. Vor 20 Jahren bot ihr „The Peace Institute – Institute for Contemporary Social and Political Studies“ dann einen Job an. Das Forschungszentrum für gesellschaftliche Studien entstand aus der Bürgerbewegung, fast zeitgleich mit der Unabhängigkeit Sloweniens.
Protest mit Pedalen
Dort setzt sie sich mit ihren Kolleg*innen für Demokratie und Teilhabe ein. Seit einigen Monaten engagiert sich „The Peace Institute“ auch in der zivilgesellschaftlichen Initiative „Stimme des Volkes“, die mehr als 100 Organisationen und Verbände umfasst. Sie hat mit Blick auf die im April 2022 anstehenden Wahlen 100 Fragen an politische Parteien gestellt und wertet deren Antworten nun aus. Zudem organisiert sie öffentliche Debatten zu Themenkomplexen wie Umweltpolitik, Medien oder dem Gesundheitssystem. Sie will möglichst viele Menschen zum Gang an die Wahlurne bewegen – aus gutem Grund: 2014 und 2018 lag die Wahlbeteiligung in Slowenien bei nur knapp über 50 Prozent. Obwohl das Land relativ wohlhabend ist, etwa auf dem Niveau Portugals, und vom EU-Beitritt im Jahr 2004 stark profitierte, herrschte bei den Menschen bis zuletzt eine starke Politikverdrossenheit. Die Coronakrise hat das verändert.
Menschen wie Brankica Petković nehmen die aktuellen Entwicklungen nicht stillschweigend hin. Mit Kreativität und Muskelkraft geht es zur Sache: Wegen der Coronabeschränkungen werden die Proteste oft als Radtouren durch die Stadt organisiert. Mal sind es nur Hunderte, mal Zehntausende. Fridays for Future, slowenischer Art.
In der Bibliothek des „The Peace Institute“ in Ljubljana fühlt sich die Wissenschaftlerin wohl. Sie beginnt über ihre Zeit in Slowenien zu sprechen. „Ich hatte das Privileg, von den klügsten und herzlichsten Menschen umgeben zu sein, von den besten Kolleg*innen und Forscher*innen. Meine Sozialisation und Integration in diesem Land war ideal“, sagt Petković. Auch draußen wirkt das Areal der ehemaligen österreichisch-ungarischen Militärkaserne wie ein Ort der Begegnung und Toleranz. Die heruntergekommene Fassade des Gebäudes, in dem neben dem „The Peace Institute“ mehr als ein Dutzend NGOs untergebracht sind, ist mit Graffiti bemalt. Gegenüber steht die grelle „Celica“ (zu Deutsch: „Zelle“), das einstige Gefängnis. Es wurde zu einer Jugendherberge umfunktioniert und genießt Kultstatus in Ljubljana. Das gilt für die ganze „Metelkova“-Stadt, eine Kombination aus Kopenhagens Christiania und Wiens Museumsquartier. Sie bildet einen krassen Kontrast zu den herausgeputzten Sezessionsgebäuden im wenige Gehminuten entfernten Stadtzentrum.
Eine Gesellschaft unter Druck
Doch die Idylle trügt. In Slowenien brodelt es, seit Janez Janša sich im Frühjahr 2020 zum dritten Mal auf den Premierposten hievte und begann, sämtliche Kontrollinstitutionen des Staates systematisch unter Druck zu setzen. In der Polizei und in Unternehmen mit Staatsanteilen werden auf den Chefposten nur linientreue Personen eingestellt. Die Koalitionspartner*innen, Christdemokrat*innen und Reste einer liberalen Partei, machen mit oder schauen tatenlos zu.
Auch die Zivilgesellschaft, angesehene Persönlichkeiten, Künstler*innen und Organisationen, steht unter Trump-ähnlichem Twitter-Dauerverbalbeschuss von Janša und seiner Gefolgschaft. Das Kulturministerium will das „The Peace Institute“ und seine Nachbar*innen aus der Kaserne werfen: Das Gebäude an der Metelkova ulica 6, das dem Staat gehört, soll saniert werden. Ein Vorwand, glauben die Benutzer*innen, und ein Bruch einer jahrelangen Vereinbarung mit dem Ministerium. Forscher*innen und Aktivist*innen wie Petković werden von obersten Stellen der Regierung als „Parasit*innen“ beschimpft.
Das Internet – erst Chance, dann Gefahr
Konnte Brankica Petković eine solche Radikalisierung in Politik und Gesellschaft nicht kommen sehen? „Die galoppierenden technologischen Veränderungen haben unsere Fähigkeit zur Analyse überholt“, gibt sie zu. Wie so viele andere betrachtete sie das Internet zunächst als eine große Chance für eine offenere, besser informierte Gesellschaft. Inzwischen sieht sie darin eher eine Gefahr. Auch in Slowenien. Immer absurdere politische Botschaften, die über soziale Netzwerke von mit ungarischem Kapital gestützten Propagandamedien verbreitet werden, sind an der Tagesordnung. Sie glorifizieren Janša und seine Partei SDS und betreiben Rufmordkampagnen gegen seine Kritiker*innen.
Wer die Wahl im April 2022 gewinnt, ist trotz des schlechten Pandemiemanagements offen. „Noch ist Slowenien keine Diktatur, aber die Gesellschaft ist verunsichert und gespalten, das gegenseitige Misstrauen groß. Es gibt kaum noch einen Dialog“, sagt Petković. Dennoch tut sie das, was sie immer getan hat: Zusammen mit dem slowenischen Journalistenverband und dem Internet-Rechercheportal „Pod črto“ (zu Deutsch: „unterm Strich“) hat sie in einem von der Initiative Civitates geförderten Großprojekt die Verflechtungen der aus Ungarn finanzierten Janša-nahen Medien untersucht, dokumentiert und publiziert.
Die Forscherin und Aktivistin will aktiv bleiben und weiter lernen. Sie gibt nicht auf – nicht Slowenien, nicht Europa und auch nicht sich selbst. „Der Kampf für Menschenrechte wird nie enden. Wir brauchen Fantasie und eine breite Zusammenarbeit, auch international.“
Civitates
Die von der Stiftung Mercator geförderte Initiative Civitates unterstützt zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure, die den öffentlichen Diskurs beleben und sicherstellen, dass alle Stimmen gehört werden.
civitates-eu.org/