Wissen ist gut, machen ist besser
Was für Annalena Stöger besonders wichtig ist: Handeln! Die 22-Jährige ist Engagement-Botschafterin für Klimaschutz und möchte jungen Menschen vermitteln, wie man „einfach macht“.
Es ist schon dunkel, als Annalena Stöger zu Hause in Frankfurt ankommt. Die 22-Jährige hat einen langen Tag als Praktikantin im Kultusministerium Hessen hinter sich, außerdem eine eineinhalbstündige Rückfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Trotzdem ist Annalena voller Energie. Kein Wunder – schließlich soll sie über ihr Lieblingsthema sprechen: Engagement. „Früher in der Schule gab es in meiner Klasse ‚die Sportliche‘, ‚die Musikalische‘, ‚die Künstlerin‘“, sagt Annalena im Skype-Gespräch. „Ich konnte mich keiner Kategorie zuordnen und wusste nie so recht, wo ich hingehöre. Aber dann wurde mir klar: Ich bin ‚die Engagierte‘.“
Engagiert hat sich Annalena tatsächlich schon früh. Erst setzte sie sich als Schüler*innenvertreterin für das Mitspracherecht von Gleichaltrigen ein. Dann war sie im StadtschülerInnenrat Frankfurt am Main, einer Organisation, in der die Teilnehmer*innen ihre Interessen gegenüber der Stadt vertreten. „Und jetzt bin ich Botschafterin für Engagement und Klimaschutz.“ Annalena strahlt, stolz und glücklich, wird aber sofort wieder ernst. „Engagement hat aus meiner Sicht eine unglaublich wichtige Scharnierfunktion in der Gesellschaft“, sagt sie. „Deshalb habe ich mich über die Ernennung zur Botschafterin durch das Bundesnetzwerk Bürgerliches Engagement ganz besonders gefreut.“
Das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) kürt einmal im Jahr Engagement-Botschafter*innen und lenkt mit der Auszeichnung den Blick auf die Bedeutung von Ehrenamtlichen für die Zivilgesellschaft. Spezielle Aufgaben sind mit dem Titel nicht verknüpft. Doch Annalena ist damit Vorbild für andere und zeigt allein durch ihre Auszeichnung, dass gesellschaftliches Engagement Anerkennung findet – und dass jeder Mensch etwas gegen den Klimawandel tun kann. Sogar dann, wenn das Thema zunächst weit weg erscheint.
Bundesfreiwilligendienst in Berlin
In ihrem Elternhaus im Norden Frankfurts lebte früher auch Annalenas Großmutter. Mit den Himbeeren und Äpfeln, die im üppigen Garten wuchsen, kochte sie Marmelade ein und backte Kuchen. Zum Mittagessen gab es manchmal selbst geernteten Salat und abends frische Tomaten oder Gurken. Regionales und saisonales Essen war für die Familie selbstverständlich. Aber dass eine solche Küche auch gut für die Umwelt ist, hat Annalena Stöger damals nicht weiter beschäftigt – und genauso wenig hat sie sich mit den Ursachen des menschengemachten Klimawandels auseinandergesetzt. Es spielte in ihrem Leben einfach keine Rolle. „Ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass mir der Treibhauseffekt in der Schule erklärt wurde“, sagt sie. „Und wenn er mir vermittelt wurde, dann nicht so, dass es mich zum Handeln motiviert hätte.“
In dem Jahr vor dem Abitur veränderte sich dann etwas. Als Vorstandsmitglied des StadtschülerInnenrats nahm Annalena an einem Seminar des Bildungswerks für Schülervertretung und Schülerbeteiligung (SV-Bildungswerk) teil, einem Verein, der sich für eine demokratische Schule einsetzt. Sie erlebte dort Zugehörigkeit. „Ich war in diesem Seminar die Einzige aus meinem Freundeskreis“, erinnert sie sich. „Und obwohl ich die anderen Jugendlichen nicht kannte, hat mich mit ihnen viel verbunden. Sie hatten genau wie ich diese große Lust, sich zu engagieren und etwas zu bewegen.“
Gleichzeitig fiel Annalena auf, dass ihr das theoretische Schulwissen dabei nicht half. Glücklich machte es sie auch nicht: „Ich war immer darauf bedacht, gute Noten zu erzielen, was ich auch geschafft habe. Aber dieses Streben, dieses ständige Vergleichen mit den Leistungen anderer, hat mich sehr unter Druck gesetzt.“
Die Uni schien ihr deshalb erst mal nicht der richtige Ort für die Zeit nach der Schule zu sein. Stattdessen entschloss sie sich, ein freiwilliges Jahr zu absolvieren – und zwar bei dem gemeinnützigen Verein, bei dem sie Feuer gefangen hatte. „Ich zog für ein Bundesfreiwilligenjahr beim SV-Bildungswerk nach Berlin. Und dort landete ich dann beim Projekt ‚Schule·Klima·Wandel‘.“ Von Gleichaltrigen erfuhr Annalena, wie man Klimaschutz und Nachhaltigkeit im eigenen Alltag umsetzen kann. Außerdem durchlief sie eine Ausbildung zur Klima-Botschafterin. Seitdem gehört sie zu einem Netz von bundesweit etwa 120 solcher Klima-Botschafter*innen, die regelmäßig Seminare zum Thema Klimaschutz in Schulen oder anderen Bildungsinstitutionen geben. „Dabei dreht sich aber nicht alles nur um Klimawandel und Nachhaltigkeit“, betont Annalena. „Sondern auch um die Frage, wie sich Lernprozesse nachhaltig so gestalten lassen, dass man vom Wissen ins Handeln kommt. Es geht um Engagement. Darum, einfach etwas zu machen. Denn wir sind die Generation, die die Zukunft von morgen gestaltet.“
Ihr Credo: einfach machen
Nach dem Bundesfreiwilligenjahr hat Annalena Stöger begonnen, Politikwissenschaften an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main zu studieren. Parallel dazu hält sie das Praktikum im Kultusministerium Hessen auf Trab. Wenn nicht gerade Lockdown ist, fährt sie jeden Tag drei Stunden mit Bus und Bahn von Frankfurt-Harheim nach Wiesbaden und zurück – eine Strecke, für die sie mit dem Auto nur die Hälfte der Zeit bräuchte. Doch ihre Ideale der Bequemlichkeit zu opfern käme für sie nicht infrage. Ihr Verhalten färbt ab: „Meine Eltern können sich durch mich gar nicht mehr klimaschädlich verhalten – zumindest nicht ohne schlechtes Gewissen“, sagt sie und lacht. „So kauft meine Mutter jetzt auf dem Bio-Hof ein, und letztens war sie sogar im Unverpacktladen!“ Genau wie daheim erzählt Annalena in ihren Workshops nicht einfach, wie schädlich etwa der Verzehr von Fleisch für das Klima ist. Stattdessen erstellt sie mit Jugendlichen zum Beispiel pflanzliche Brotaufstriche und zeigt durch solche Aktionen Alternativen auf.
Konkrete Vorbilder hat sie selbst keine. „Schon als Teenagerin konnte ich nicht irgendwelche unerreichbaren Stars anhimmeln. Ich brauchte immer greifbare Ideale“, erzählt sie. „Und deshalb gucke ich mir am liebsten etwas bei Gleichaltrigen ab. Wenn junge Menschen, insbesondere Frauen, den Mut haben, ungewohnte und neue Wege gehen, finde ich das supercool.“
Und was war ihre größte Herausforderung? Da muss Annalena Stöger nicht lange überlegen. „Ich bin im Vorstand des SV-Bildungswerks und habe Jugendliche zu Klima-Botschafter*innen ausgebildet. Ich habe den jungen Leuten also das Wissen und die Bildungsarbeit nahegebracht, die mich selbst geprägt hat“, sagt sie. „Dieses Wissen habe ich mir nicht in der Schule oder der Universität angeeignet, sondern in der Freizeit. Mein Tag ging morgens um sieben Uhr los, und gegen Mitternacht war ich wieder im Bett. Danach war ich ziemlich fertig. Und ziemlich glücklich! Denn indem ich andere qualifiziere, pflanzt sich mein Engagement fort.“
Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE)
Das BBE vereint mehr als 200 zivilgesellschaftliche Organisationen und verfolgt das Ziel, bürgerschaftliches Engagement in allen Gesellschafts- und Politikbereichen nachhaltig zu fördern. Im von der Stiftung Mercator geförderten Projekt „Bürgerschaftliches Engagement und Klimaschutz“ will das BBE das Thema Klimawandel in unterschiedlichen Feldern des Engagements anstoßen.
www.b-b-e.de/projekte/buergerschaftliches-engagement-und-klimaschutz/