Energiesparen finanziell belohnen

Stromleitungen
Energiesparen finanziell belohnen
Autorin: Carola Hoffmeister 26.07.2022

Erdgas ist knapp – so knapp, dass Bundes­wirtschafts­minister Robert Habeck als Reaktion auf die Drosselung der russischen Gasexporte im Juni 2022 die zweite von drei Stufen des „Notfallplans Gas“ ausrief. Die Verbraucher*innen sind deshalb aufgefordert, sich auf steigende Kosten vor­zu­bereiten. Wie aber kann der Staat dabei soziale Härten vermeiden? Und wie wirkt sich die Energie­preis­krise auf das Erreichen der Klima­ziele aus? Matthias Kalkuhl, Professor für Klima­wandel, Entwicklung und Wirtschafts­wachstum, hat sich mit genau diesen Fragen beschäftigt.

Die Welt der schlechten Nachrichten dreht sich seit dem 24. Februar 2022, jenem Donnerstag, an dem Russland die Ukraine angriff, gefühlt immer schneller. Von einer Zeiten­wende ist die Rede, von einer Rückkehr der Regeln des Kalten Krieges, Tausende Menschen sterben während der Invasion, ein Kollaps des Klimas erscheint unausweichlich, in der Europäischen Union werden Kohle­kraft­werke wieder angeworfen. In Deutschland diskutierten Politiker*innen, Ökonom*innen und Verbraucher­schützer*innen in der Anfangs­phase des Kriegs vor allem darüber, ob ein Import­embargo Wladimir Putin stoppen könnte, und sie wogen ab, welche Auswirkungen ein solcher Handels­boykott auf das Leben in der Bundes­republik hätte.

Matthias Kalkuhl reagierte damals blitz­schnell: Der Professor für Klimawandel, Entwicklung und Wirtschafts­wachstum der Universität Potsdam wusste, dass seine Expertise gefragter war denn je. Schließlich beschäftigt sich der Wissenschaftler seit vielen Jahren mit steigenden fossilen Energie­preisen. „Und deshalb lagen mir und meinen Kolleg*innen zahl­reiche Daten und Modellierungen vor, mit deren Hilfe wir vergleichs­weise rasch eine Analyse durch­führen konnten“, so der Wirtschafts­wissenschaftler, der in Personal­union die Arbeits­gruppe „Wirtschafts­wachstum und menschliche Entwicklung“ am Berliner Klima­forschungs­institut MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change) leitet. Konkret wollten er und sein Team ermitteln, welche sozialen Auswirkungen durch Sanktionen oder einen Rohstoff-Liefer­stopp aus Russland zu erwarten wären. Wie würde sich die Energie­preis­krise auf private Haushalte auswirken, wie könnte sie sich abmildern lassen? Denn klar ist: „Ohne abfedernde Maßnahmen hat die Energie­preis­krise bereits heute enorme Auswirkungen – und sie würde Ungerechtigkeiten und soziale Spaltung verstärken“, erklärt Matthias Kalkuhl, der seine Studie bereits am 15. März veröffentlichte.

Matthias Kalkuhl
© Tobias Hopfgarten

Matthias Kalkuhl
studierte angewandte System­wissenschaften an der Universität Osnabrück und promovierte in Volks­wirtschafts­lehre an der TU Berlin. Er ist seit Oktober 2015 Professor für Klima­wandel, Entwicklung und Wirtschafts­wachstum an der Universität Potsdam und leitet die Arbeits­gruppe „Wirtschafts­wachstum und menschliche Entwicklung“ am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) in Berlin.

Beim Gas für eine Gerechtig­keits­perspektive sorgen

In der öffentlichen Wahrnehmung dominiert derzeit der Blick auf die Zapfsäulen der Tankstellen und ihre Anzeige­tafeln. Kein Wunder: Die Preise für Benzin und Diesel schnellten in unbekannte Höhen. Laut ADAC galt der März 2022 als bislang teuerster Tank-Monat. „Doch lang­fristig dürfte das größere Problem nicht das Erdöl, sondern das Erdgas sein“, fasst Matthias Kalkuhl zusammen. Das zeigt auch die gegen­wärtige Entwicklung, in der Bundes­wirtschafts­minister Robert Habeck wegen der angespannten Lage auf dem Gasmarkt die zweite Stufe des „Notfallplans Gas“ ausrief. Denn Deutschland hängt an den Pipelines aus Russland, und kurz­fristig ist Gas kaum zu ersetzen. Zum einen, weil relativ wenig Flüssig­gas überhaupt verfügbar ist. Zum anderen gibt es in den Häfen der Bundes­republik bislang keine eigenen Terminals, an denen entsprechende Transport­schiffe entladen werden könnten. Höhere Gaspreise machen sich im Vergleich zu den gestiegenen Spritkosten jedoch nicht sofort bemerkbar: Sie zeigen sich erst beim Abschluss von Neuverträgen oder dann, wenn bestehende Verträge verlängert werden – in aller Regel ist das nach zwölf Monaten der Fall. Es dauert also, bis alle die starken Preis­anstiege auf dem Konto fest­stellen. Daran ändert auch Putins Ankündigung einer Reduktion der russischen Gaslieferung um 60 Prozent zunächst nichts. Denn eine Gesetzes­änderung vom 12. Mai am Energie­sicherungs­gesetz erlaubt es Versorger*innen nicht ohne Weiteres, die Einkaufs­preise für Erdgas bei lang­fristigen Verträgen direkt an die Kund*innen weiter­zu­geben.

Energiekosten und CO2-Bepreisung

Tankrabatt, Neun-Euro-Ticket, Energie­preis­pauschale bei der Steuer: 16,5 Milliarden Euro wendet die Ampel­regierung auf, um die Bürger*innen für die gestiegenen Energie­kosten zu entlasten. Eine weitere Studie des Berliner MCC unter Matthias Kalkuhls Feder­führung, veröffentlicht Mitte Mai, befürwortet eine steigende CO2-Bepreisung als richtige Strategie. Und zwar unter der Voraussetzung, dass der Staat die Einnahmen an die privaten Haushalte durch Steuer­senkung oder Transfers zurück­verteilt. Grund: Die Energie­krise sei vorüber­gehend – also Teil der Schwankungen um einen lang­fristigen Preistrend.

Expert*innen erwarten im Sommer steigende Inflationsraten.
Expert*innen erwarten im Sommer steigende Inflationsraten. © Getty Images

Kostenplus von 800 bis 2.500 Euro pro Jahr

Dennoch: Früher oder später steigen die Gaspreise für alle Verbraucher*innen, und sie können dabei ganz gewaltig anziehen. Kalkuhls Berechnungen zufolge sind Steigerungen von 70 bis 275 Prozent denkbar, ausgehend vom historischen Durch­schnitt. Was einem Kosten­anstieg von 800 bis 2.500 Euro pro Jahr entspräche. „Das ist natürlich ein Problem“, sagt der Ökonom. „Vor allem, weil Energie­preise herkömmlich einen hohen Anteil an den monatlichen Gesamt­aus­gaben ausmachen. Wenn nun einkommens­schwache Familien oder Lebens­gemeinschaften mit vermutlich wenig Ersparnissen plötzlich eine Heiz­rechnung begleichen müssen, die anstatt 80 Euro monatlich 200 oder 300 Euro beträgt, müssen sie es an anderer Stelle einsparen. Da werden Haushalte überfordert, und die Politik muss sich im Sinne einer Gerechtig­keits­perspektive um die Verteilungs­frage kümmern.“

Benzinpreistafel
Der Benzinpreis gilt als Barometer für das Konsumklima in Deutschland. Hohe Spritpreise belasten die Verbraucher*innen, so dass ihnen weniger Geld für weitere Konsumausgaben zur Verfügung steht. © Getty Images

Sparen sollte sich auszahlen

Matthias Kalkuhl und sein Team haben in ihrer Studie 15 mögliche Maßnahmen überprüft, darunter solche, die sich recht zeitnah umsetzen lassen, wie etwa eine Absenkung der Strom­steuer oder Anpassungen bei der Pendler­pauschale. „Das Grund­problem jedoch ist, dass wir in unserem sozialen Steuer­system keine Maßnahmen kennen, um einkommens­schwache Haushalte mit einer Gas­heizung wirklich zu entlasten“, so der Ökonom, der zuvor auch an der Universität Bonn zur Preisbildung von Agrar- und Energie­roh­stoffen geforscht hat. „Deshalb funktioniert am besten ein gezieltes Energie­geld – ein Einkommens­zuschuss.“

Kalkuhl schlägt vor: In der Praxis könnte das so aussehen, dass Familien ihre Gasrechnung vom Vorjahr vorlegen, etwa bei der Familienkasse oder dem Jobcenter, und auf dieser Grundlage werden die Mehrkosten durch die Preis­anstiege beim Gas berechnet und teilweise übernommen. Gleich­zeitig sollen dadurch konkret Anreize zum Sparen von Energie geschaffen werden – und zwar, indem die hohe Gas­rechnung auf dem Konto des jeweiligen Haushaltes sichtbar bleibt. „Das ist ganz wichtig“, sagt Matthias Kalkuhl. „Denn nur so bemerken die Menschen die veränderten Preise, und nur so besteht die Chance, dass sie ihr Verhalten anpassen. Denn der Zuschuss wird anhand des Vor­jahres­verbrauchs ermittelt und unabhängig vom gegen­wärtigen Verbrauch gegeben. Wer Energie spart, hat mehr Geld.“

Fossile Brennstoffe sind knapp und werden teurer

Das Bundeskabinett hat bisher zwei Entlastungspakete für die Bürger*innen beschlossen. Einkommen­steuer­pflichtige Erwerbstätige sollen zum Ausgleich der hohen Energiekosten ein Energiegeld von einmalig 300 Euro brutto erhalten. Außerdem gibt es seit Anfang Juni für drei Monate ein Neun-Euro-Ticket für den Regional­verkehr sowie einen Tankrabatt. Von Tankrabatten hält der Wissenschaftler Kalkuhl wenig, denn sie vermitteln den Menschen eine falsche Sicherheit. „Fossile Rohstoffe sind endlich. Da sie knapp sind, werden sie teurer. Wenn das nicht im Bewusstsein ankommt, verpufft die Subvention“, sagt Matthias Kalkuhl. Bei Erdgas könnten etwa digitale Verbrauchszähler hilfreich sein. Sie spiegeln den Haus­bewohner*innen im Ideal­fall in regel­mäßigen, etwa in monatlichen Abständen den Stromkonsum und ermöglichen so ein Gegen­steuern durch energie­sparendes Verhalten. „Viele nehmen Energie­kosten als gegeben hin. Doch wenn ich sehe, dass ich bis zu 20 Prozent Heizkosten einspare, wenn ich die Temperatur um zwei Grad absenke, kann das ein großer Anreiz sein – und einen echten Lerneffekt zur Folge haben.“

Ein solches Umdenken sei nicht zuletzt aus klima­politischer Perspektive wichtig. Denn die Klima­ziele lassen sich unter anderem nur durch Ressourcen­schonung erreichen. Matthias Kalkuhl wünscht sich deshalb von Politiker*innen eine deutliche Sprache. „Es muss allen bewusst sein: Die Preise für Benzin und Erdgas werden weiterhin hoch bleiben und noch steigen – wenn nicht durch Embargo oder russische Liefer­engpässe, dann aus Gründen des Klima­schutzes“, erklärt der Experte. „Und nur wenn das klar ist, können wir uns schneller von der fossilen Energie lösen und in regenerative Technologien als Alternative investieren.“


Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC)

Die Partnergesellschaft der Stiftung Mercator befasst sich mit den großen Heraus­forderungen des Klima­wandels und der Nutzung globaler Gemein­schafts­güter. Ihre Forschung ist vor allem in den Wirtschafts- und Sozial­wissenschaften beheimatet. Das MCC bietet wissenschaftliche Beratung und möchte relevante Problem­lösungen für die Politik identifizieren.
www.mcc-berlin.net