Energiesparen finanziell belohnen

Erdgas ist knapp – so knapp, dass Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck als Reaktion auf die Drosselung der russischen Gasexporte im Juni 2022 die zweite von drei Stufen des „Notfallplans Gas“ ausrief. Die Verbraucher*innen sind deshalb aufgefordert, sich auf steigende Kosten vorzubereiten. Wie aber kann der Staat dabei soziale Härten vermeiden? Und wie wirkt sich die Energiepreiskrise auf das Erreichen der Klimaziele aus? Matthias Kalkuhl, Professor für Klimawandel, Entwicklung und Wirtschaftswachstum, hat sich mit genau diesen Fragen beschäftigt.
Die Welt der schlechten Nachrichten dreht sich seit dem 24. Februar 2022, jenem Donnerstag, an dem Russland die Ukraine angriff, gefühlt immer schneller. Von einer Zeitenwende ist die Rede, von einer Rückkehr der Regeln des Kalten Krieges, Tausende Menschen sterben während der Invasion, ein Kollaps des Klimas erscheint unausweichlich, in der Europäischen Union werden Kohlekraftwerke wieder angeworfen. In Deutschland diskutierten Politiker*innen, Ökonom*innen und Verbraucherschützer*innen in der Anfangsphase des Kriegs vor allem darüber, ob ein Importembargo Wladimir Putin stoppen könnte, und sie wogen ab, welche Auswirkungen ein solcher Handelsboykott auf das Leben in der Bundesrepublik hätte.
Matthias Kalkuhl reagierte damals blitzschnell: Der Professor für Klimawandel, Entwicklung und Wirtschaftswachstum der Universität Potsdam wusste, dass seine Expertise gefragter war denn je. Schließlich beschäftigt sich der Wissenschaftler seit vielen Jahren mit steigenden fossilen Energiepreisen. „Und deshalb lagen mir und meinen Kolleg*innen zahlreiche Daten und Modellierungen vor, mit deren Hilfe wir vergleichsweise rasch eine Analyse durchführen konnten“, so der Wirtschaftswissenschaftler, der in Personalunion die Arbeitsgruppe „Wirtschaftswachstum und menschliche Entwicklung“ am Berliner Klimaforschungsinstitut MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change) leitet. Konkret wollten er und sein Team ermitteln, welche sozialen Auswirkungen durch Sanktionen oder einen Rohstoff-Lieferstopp aus Russland zu erwarten wären. Wie würde sich die Energiepreiskrise auf private Haushalte auswirken, wie könnte sie sich abmildern lassen? Denn klar ist: „Ohne abfedernde Maßnahmen hat die Energiepreiskrise bereits heute enorme Auswirkungen – und sie würde Ungerechtigkeiten und soziale Spaltung verstärken“, erklärt Matthias Kalkuhl, der seine Studie bereits am 15. März veröffentlichte.

Matthias Kalkuhl
studierte angewandte Systemwissenschaften an der Universität Osnabrück und promovierte in Volkswirtschaftslehre an der TU Berlin. Er ist seit Oktober 2015 Professor für Klimawandel, Entwicklung und Wirtschaftswachstum an der Universität Potsdam und leitet die Arbeitsgruppe „Wirtschaftswachstum und menschliche Entwicklung“ am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) in Berlin.
Beim Gas für eine Gerechtigkeitsperspektive sorgen
In der öffentlichen Wahrnehmung dominiert derzeit der Blick auf die Zapfsäulen der Tankstellen und ihre Anzeigetafeln. Kein Wunder: Die Preise für Benzin und Diesel schnellten in unbekannte Höhen. Laut ADAC galt der März 2022 als bislang teuerster Tank-Monat. „Doch langfristig dürfte das größere Problem nicht das Erdöl, sondern das Erdgas sein“, fasst Matthias Kalkuhl zusammen. Das zeigt auch die gegenwärtige Entwicklung, in der Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck wegen der angespannten Lage auf dem Gasmarkt die zweite Stufe des „Notfallplans Gas“ ausrief. Denn Deutschland hängt an den Pipelines aus Russland, und kurzfristig ist Gas kaum zu ersetzen. Zum einen, weil relativ wenig Flüssiggas überhaupt verfügbar ist. Zum anderen gibt es in den Häfen der Bundesrepublik bislang keine eigenen Terminals, an denen entsprechende Transportschiffe entladen werden könnten. Höhere Gaspreise machen sich im Vergleich zu den gestiegenen Spritkosten jedoch nicht sofort bemerkbar: Sie zeigen sich erst beim Abschluss von Neuverträgen oder dann, wenn bestehende Verträge verlängert werden – in aller Regel ist das nach zwölf Monaten der Fall. Es dauert also, bis alle die starken Preisanstiege auf dem Konto feststellen. Daran ändert auch Putins Ankündigung einer Reduktion der russischen Gaslieferung um 60 Prozent zunächst nichts. Denn eine Gesetzesänderung vom 12. Mai am Energiesicherungsgesetz erlaubt es Versorger*innen nicht ohne Weiteres, die Einkaufspreise für Erdgas bei langfristigen Verträgen direkt an die Kund*innen weiterzugeben.
Energiekosten und CO2-Bepreisung
Tankrabatt, Neun-Euro-Ticket, Energiepreispauschale bei der Steuer: 16,5 Milliarden Euro wendet die Ampelregierung auf, um die Bürger*innen für die gestiegenen Energiekosten zu entlasten. Eine weitere Studie des Berliner MCC unter Matthias Kalkuhls Federführung, veröffentlicht Mitte Mai, befürwortet eine steigende CO2-Bepreisung als richtige Strategie. Und zwar unter der Voraussetzung, dass der Staat die Einnahmen an die privaten Haushalte durch Steuersenkung oder Transfers zurückverteilt. Grund: Die Energiekrise sei vorübergehend – also Teil der Schwankungen um einen langfristigen Preistrend.

Kostenplus von 800 bis 2.500 Euro pro Jahr
Dennoch: Früher oder später steigen die Gaspreise für alle Verbraucher*innen, und sie können dabei ganz gewaltig anziehen. Kalkuhls Berechnungen zufolge sind Steigerungen von 70 bis 275 Prozent denkbar, ausgehend vom historischen Durchschnitt. Was einem Kostenanstieg von 800 bis 2.500 Euro pro Jahr entspräche. „Das ist natürlich ein Problem“, sagt der Ökonom. „Vor allem, weil Energiepreise herkömmlich einen hohen Anteil an den monatlichen Gesamtausgaben ausmachen. Wenn nun einkommensschwache Familien oder Lebensgemeinschaften mit vermutlich wenig Ersparnissen plötzlich eine Heizrechnung begleichen müssen, die anstatt 80 Euro monatlich 200 oder 300 Euro beträgt, müssen sie es an anderer Stelle einsparen. Da werden Haushalte überfordert, und die Politik muss sich im Sinne einer Gerechtigkeitsperspektive um die Verteilungsfrage kümmern.“

Sparen sollte sich auszahlen
Matthias Kalkuhl und sein Team haben in ihrer Studie 15 mögliche Maßnahmen überprüft, darunter solche, die sich recht zeitnah umsetzen lassen, wie etwa eine Absenkung der Stromsteuer oder Anpassungen bei der Pendlerpauschale. „Das Grundproblem jedoch ist, dass wir in unserem sozialen Steuersystem keine Maßnahmen kennen, um einkommensschwache Haushalte mit einer Gasheizung wirklich zu entlasten“, so der Ökonom, der zuvor auch an der Universität Bonn zur Preisbildung von Agrar- und Energierohstoffen geforscht hat. „Deshalb funktioniert am besten ein gezieltes Energiegeld – ein Einkommenszuschuss.“
Kalkuhl schlägt vor: In der Praxis könnte das so aussehen, dass Familien ihre Gasrechnung vom Vorjahr vorlegen, etwa bei der Familienkasse oder dem Jobcenter, und auf dieser Grundlage werden die Mehrkosten durch die Preisanstiege beim Gas berechnet und teilweise übernommen. Gleichzeitig sollen dadurch konkret Anreize zum Sparen von Energie geschaffen werden – und zwar, indem die hohe Gasrechnung auf dem Konto des jeweiligen Haushaltes sichtbar bleibt. „Das ist ganz wichtig“, sagt Matthias Kalkuhl. „Denn nur so bemerken die Menschen die veränderten Preise, und nur so besteht die Chance, dass sie ihr Verhalten anpassen. Denn der Zuschuss wird anhand des Vorjahresverbrauchs ermittelt und unabhängig vom gegenwärtigen Verbrauch gegeben. Wer Energie spart, hat mehr Geld.“
Fossile Brennstoffe sind knapp und werden teurer
Das Bundeskabinett hat bisher zwei Entlastungspakete für die Bürger*innen beschlossen. Einkommensteuerpflichtige Erwerbstätige sollen zum Ausgleich der hohen Energiekosten ein Energiegeld von einmalig 300 Euro brutto erhalten. Außerdem gibt es seit Anfang Juni für drei Monate ein Neun-Euro-Ticket für den Regionalverkehr sowie einen Tankrabatt. Von Tankrabatten hält der Wissenschaftler Kalkuhl wenig, denn sie vermitteln den Menschen eine falsche Sicherheit. „Fossile Rohstoffe sind endlich. Da sie knapp sind, werden sie teurer. Wenn das nicht im Bewusstsein ankommt, verpufft die Subvention“, sagt Matthias Kalkuhl. Bei Erdgas könnten etwa digitale Verbrauchszähler hilfreich sein. Sie spiegeln den Hausbewohner*innen im Idealfall in regelmäßigen, etwa in monatlichen Abständen den Stromkonsum und ermöglichen so ein Gegensteuern durch energiesparendes Verhalten. „Viele nehmen Energiekosten als gegeben hin. Doch wenn ich sehe, dass ich bis zu 20 Prozent Heizkosten einspare, wenn ich die Temperatur um zwei Grad absenke, kann das ein großer Anreiz sein – und einen echten Lerneffekt zur Folge haben.“
Ein solches Umdenken sei nicht zuletzt aus klimapolitischer Perspektive wichtig. Denn die Klimaziele lassen sich unter anderem nur durch Ressourcenschonung erreichen. Matthias Kalkuhl wünscht sich deshalb von Politiker*innen eine deutliche Sprache. „Es muss allen bewusst sein: Die Preise für Benzin und Erdgas werden weiterhin hoch bleiben und noch steigen – wenn nicht durch Embargo oder russische Lieferengpässe, dann aus Gründen des Klimaschutzes“, erklärt der Experte. „Und nur wenn das klar ist, können wir uns schneller von der fossilen Energie lösen und in regenerative Technologien als Alternative investieren.“
Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC)
Die Partnergesellschaft der Stiftung Mercator befasst sich mit den großen Herausforderungen des Klimawandels und der Nutzung globaler Gemeinschaftsgüter. Ihre Forschung ist vor allem in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften beheimatet. Das MCC bietet wissenschaftliche Beratung und möchte relevante Problemlösungen für die Politik identifizieren.
www.mcc-berlin.net