Ein heißes Thema
Hitzesommer treten durch den Klimawandel immer häufiger und stärker auf – das kann besonders für ältere Menschen lebensgefährlich werden. Zu Besuch im Altenpflegeheim Käthe-Richter-Haus in Kassel.
Ein lauer Vormittag im Süden von Kassel. Einige Bewohner*innen des Käthe-Richter-Hauses, einer Alten- und Pflegeeinrichtung der Arbeiterwohlfahrt (AWO), sitzen draußen in der Sonne auf der Terrasse. Eine Pflegerin kommt vorbei und bringt Getränke. Angehörige sind zu Besuch – selbstverständlich mit dem nötigen Abstand. Für die Bewohner*innen des Heims fällt durch die Aufhebung des Besuchsverbots eine große Last von den Schultern. Nach wie vor ist das Coronavirus eine große Gefahr für die Gesundheit der Menschen hier, denn die Letalität von Covid-19 ist besonders bei alten Menschen hoch. Abstands- und spezielle Besuchsregeln sowie Atemschutzmasken sollen eine mögliche Ansteckung verhindern. Doch draußen in der Vormittagssonne kündigt sich die nächste potenzielle Gefahr an: Auf 26 Grad Celsius soll das Thermometer an diesem Tag klettern – bereits solche Temperaturen können für die Bewohner*innen zur Belastung werden.
Während viele Menschen in Deutschland die heißen Sommertage herbeisehnen, wird die Sonne für Menschen, die im Freien arbeiten, die krank oder die eingeschränkt bewegungsfähig sind, und für Menschen im Alter schnell zur Lebensgefahr. Hier in der AWO-Einrichtung in Nordhessen ist der Sommer deshalb nur bedingt ein Grund zur Freude: „An sich freut man sich ja immer auf das gute Wetter, das hebt direkt die Stimmung. Aber zu heiß darf es auch nicht sein – da wird man im Alter empfindlich“, sagt Renate Stössel. Die 77-Jährige lebt seit drei Jahren in der Einrichtung und hat schon den ein oder anderen strapaziösen Sommer miterlebt. „Die Sommer werden immer heißer, und das spürt man auch. Nachmittags ist es nur noch mit dem Ventilator und einem kühlen Getränk auszuhalten.“
Mehr Hitzewellen durch den Klimawandel
Immer mehr Hitzewellen verzeichnete der Deutsche Wetterdienst (DWD) in den vergangenen Jahren. Temperaturen von bis zu 40 Grad Celsius oder sogar darüber über mehrere Tage oder Wochen sind in ganz Deutschland keine Seltenheit mehr. Schuld daran ist der Klimawandel. „Wenn von den Auswirkungen des Klimawandels gesprochen wird, dann hat man oft Bilder im Kopf von Eisbären auf dem schmelzenden Packeis. Das ist weit entfernt von uns. Doch dass der Klimawandel auch in Deutschland zunehmend gefährlich wird, ist den Menschen weniger bewusst“, erklärt Dr. Alina Herrmann von der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V. (KLUG).
Die promovierte Medizinerin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Heidelberg Institute of Global Health (HIGH) der Universität Heidelberg. Über ihr berufliches Netzwerk ist die 31-Jährige auf KLUG gestoßen, kurz nachdem die Allianz im Oktober 2017 gegründet wurde. Der Verein will auf den Klimawandel als zentrales Thema für die Gesundheit aufmerksam machen und Strategien zum Schutz vor den Auswirkungen umsetzen. Eines der Kernthemen ist dabei die zunehmende Gefahr durch Hitzesommer. „Dass die Sommer bei uns immer heißer werden, ist nicht nur ein Gefühl, sondern eindeutig belegt“, erklärt Herrmann. „Die Durchschnittstemperatur steigt durch den Klimawandel unweigerlich weiter, und die Wetterextreme verstärken sich. Die Hitzewellen sind dabei nur ein Problem von vielen, das der Klimawandel mit sich bringt. Aber in Deutschland bilden sie ein immer größeres.“
Wenn Hitze zum Tod führt
Dass die Gefahr der Hitzewellen nicht unterschätzt werden darf, zeigt allein ein Blick auf die Historie. Im Jahr 2003 hatte ganz Europa einen besonders heißen Sommer zu beklagen. Innerhalb weniger Wochen starben laut einer französischen Studie in Mitteleuropa rund 70.000 Menschen an den Folgen der Hitzewelle. Auch in Deutschland forderten die hohen Temperaturen damals viele Opfer – offizielle Zahlen vom Robert-Koch-Institut (RKI) gehen von rund 7.600 Todesfällen aus. Und die Hitzesommer fallen in den letzten Jahren immer stärker ins Gewicht: Allein in den vergangenen beiden Rekordsommern starben wieder Tausende Menschen, sind sich Expertinnen und Experten sicher. Manche Untersuchungen gehen sogar von über 10.000 Hitzetoten innerhalb weniger Wochen im Sommer 2018 aus.
Was ist so gefährlich an der Hitze? „Tatsächlich sterben die meisten Menschen bei starker Hitze nicht durch einen Hitzschlag. Häufiger sind Todesfälle durch Herz-Kreislauf- oder Atemwegserkrankungen, deren Symptome sich durch die Hitze verschlimmern. Ältere Menschen, die eben oft solche Vorerkrankungen haben, sind deshalb besonders stark betroffen“, so Herrmann. „Wenn das Blut durch Flüssigkeitsverluste dickflüssiger wird, kann es zum Beispiel schneller zu einem Blutgerinnsel kommen, welches in einem Herzkranzgefäß dann einen Herzinfarkt auslösen kann.“ Mit fortgeschrittenem Alter können Menschen ihre Körpertemperatur zudem auch nicht mehr ausreichend regulieren. Das kann einerseits an Vorerkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems liegen oder auch daran, dass man im Alter weniger schwitzt. Herrmann: „Nur Trinken reicht dann nicht mehr. Es braucht auch aktive Abkühlung, etwa durch kühle Arm- und Fußbäder.“ Auch Renate Stössel kennt das Problem aus eigener Erfahrung: „Im Gegensatz zu anderen Leuten hier komme ich eigentlich ganz gut mit der Hitze zurecht. Doch ich merke schon, wie es mir anders geht, wenn es draußen heiß ist und ich zu wenig getrunken habe. Da kann einem schon schnell schwindelig werden.“
Serie: Klimawandel und Gesundheit
Wie wirkt sich der Klimawandel auf die Gesundheit der Menschen aus? Was wird schon getan, was muss noch geschehen? Darüber berichten wir in unserer Serie.
- Die Klimakrise sei die größte Gesundheitsgefahr des 21. Jahrhunderts, sagt der Kabarettist Eckart von Hirschhausen im Interview. Seine Therapie: Das tun, was dem Planeten gut tut – und gleichzeitig dem eigenen Körper.
- Mercator Kollegiatin Leonie Dudda ist Ärztin. Sie arbeitet an Ideen, um Menschen zum Handeln anzuregen.
- Sabine Gabrysch ist Professorin für Klimawandel und Gesundheit. Sie sagt: „Wir stecken mitten in einem planetaren Gesundheitsnotfall und müssen sofort handeln.“
Maßnahmen insgesamt noch ausbaufähig
Während zum Beispiel in Frankreich die Gefahr aber schon längst erkannt wurde und umfangreiche Maßnahmen in Form eines vierstufigen Hitzeaktionsplans getroffen wurden, fehlt in Deutschland die flächendeckende Umsetzung dieser Maßnahmen. „Man muss anerkennen, dass sich in den letzten Jahren nach den Hitzesommern schon etwas getan hat. Es gibt seit 2017 Handlungsempfehlungen für die Erstellung von Hitzeaktionsplänen vom Bundesministerium für Umwelt. Sie basieren größtenteils auf den Empfehlungen der World Health Organization, die diese bereits im Jahr 2008 veröffentlicht hat“, sagt Herrmann. Die Umsetzung der Hitzeaktionspläne ist wiederum Sache der Länder beziehungsweise der Kommunen und unterschiedlich weit fortgeschritten. Herrmann: „Hessen ist hier für uns immer ein gutes Beispiel, wie der Hitzeschutz in Pflegeheimen gut gelingen kann. Denn neben der Umsetzung der Maßnahmen gibt es hier auch die regelmäßige Kontrolle.“ Eine jährliche Hitzeprüfung des Regierungspräsidiums Gießen untersucht die Maßnahmen der Pflegeeinrichtungen gegen die Hitze. Überprüft wird unter anderem, ob das Heim an das Warnsystem des Wetterdienstes angeschlossen ist, ob Maßnahmen ergriffen wurden, die Raumtemperatur zu senken, Medikamente bei Hitze ordnungsgemäß gelagert wurden und genug Getränke zur Verfügung standen. Das Ergebnis ist erfreulich: In den allermeisten Heimen war bei der letzten Kontrolle nichts zu beanstanden. Nur bei 29 der insgesamt 360 untersuchten Einrichtungen gab es kleinere Mängel, die direkt behoben werden konnten.
Welche Vorkehrungen werden getroffen?
Auch das Käthe-Richter-Haus in Kassel wird immer wieder von verschiedensten Institutionen und Behörden kontrolliert – der Gesundheitsschutz der Bewohner*innen hat höchste Priorität. Hinsichtlich der Hitzegefahr ist man vorbereitet: „Wir sind angeschlossen an das Hitzewarnsystem des Deutschen Wetterdienstes, bekommen so Wetterwarnungen tagesaktuell oder im Voraus und können daher frühzeitig reagieren“, erklärt der Leiter der AWO-Einrichtung Gerald Fischer. „Zudem sind unsere Mitarbeiter*innen natürlich geschult und wissen, wie sie die Bewohner*innen an besonders heißen Tagen schützen. Dazu gehört zum Beispiel das regelmäßige Stoßlüften der Zimmer, sie schauen häufiger nach ihnen und fordern sie zum Trinken auf.“ Die Versorgung sei medizinisch abgeklärt mit dem Hausarzt, um auch diejenigen Bewohner*innen optimal zu versorgen, die etwa durch ihren Medikationsplan einen anderen Flüssigkeitsbedarf haben. Auch spezielle Vorrichtungen wie abgedunkelte Markisen, Ventilatoren oder klimatisierte Aufenthaltsräume bieten Schutz vor der Sonne. „Maßnahmen wie Trinken und Lüften klingen vielleicht unbedeutend, in ihrer Gesamtheit sind die Hitzevorkehrungen für die Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner aber ganz essenziell“, so Fischer.
Die Risikogruppe wohnt alleine
Das Glas von Renate Stössel ist gerade leer, da naht schon die Pflegerin und schenkt nach. „Wir sind hier ja nicht im Knast“, scherzt Stössel, doch den Ernst der Lage kann sie sehr gut einschätzen: „In dieser Einrichtung passen die Pflegekräfte sehr gut auf, dass wir genug trinken und nicht zu lange in der Sonne sind. Wenn ich alleine wohnen würde, hätte ich wahrscheinlich eine größere Angst vor der Hitze.“ Denn die meisten Menschen, die durch Hitzeeinwirkungen ums Leben kommen, wohnen einer Studie der Hochschule Fulda zufolge nicht in Einrichtungen, sondern alleine. Die Vorkehrungen in Pflegeheimen sind zwar der richtige Weg – passieren muss aber noch viel mehr.
Wie schütze ich mich selbst vor großer Hitze und den Folgen?
- Meiden Sie die Hitze!
- Vermeiden Sie tagsüber die direkte Sonne!
- Verzichten Sie auf den Gang vor die Tür in der heißesten Zeit (nachmittags)!
- Verschieben Sie körperliche Aktivität im Freien auf die frühen Morgen- oder späten Abendstunden!
- Halten Sie Ihre Wohnung kühl!
- Lüften Sie nur dann, wenn es draußen kühler ist als drinnen!
- Vermeiden Sie tagsüber die direkte Sonneneinstrahlung durch Abdunkelung der Fenster!
- Halten Sie Ihren Körper kühl und achten Sie auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr!
- Tragen Sie insbesondere draußen helle, luftige Kleidung und idealerweise eine Kopfbedeckung!
- Nehmen Sie eine lauwarme bis kühle Dusche (nicht kalt) oder machen Sie kühlende Wickel (z. B. für bettlägerige Menschen)!
- Trinken Sie ausreichend und regelmäßig!
Ambulante Pflegedienste sind ebenso für das Thema sensibilisiert und stellen sicher, dass die Betreuten zu Hause vor der Hitze geschützt sind. Doch wer alleine lebt, aber nicht ambulant betreut wird, bleibt auf sich selbst gestellt. Die Bundesregierung erwähnt in ihren Handlungsempfehlungen für die Erstellung von Hitzeaktionsplänen „isoliert lebende Menschen“ als eine der Risikogruppen, die bei Hitzeereignissen besonders gefährdet oder besonders schutzbedürftig sind. Wie genau der Schutz aussehen soll, bleibt unklar. In dem Zusammenhang werden oft Forderungen nach digitalen Warnsystemen laut, mithilfe derer die Bevölkerung schnelle Informationen zu Hitzewellen bekommt – ähnlich wie beim Käthe-Richter-Haus und dem DWD. „Mehr Grünflächen und öffentliche klimatisierte Aufenthaltsräume bieten den Menschen zudem eine Zuflucht aus der eigenen Wohnung, wenn dort die Temperatur zu sehr steigt“, rät Herrmann. „Aber auch ganz einfache Lösungen können schon viel ausrichten: Angehörige oder Nachbar*innen können durch häufigere Besuche oder Anrufe nachprüfen, ob es den Menschen in ihrer Umgebung in solchen Zeiten gut geht.“
In Zeiten der Covid-19-Pandemie müsse dabei natürlich auf entsprechende Abstands- und die Hygieneregeln geachtet werden. Und gerade die Netzwerke, die sich während der Kontakteinschränkungen zu Beginn der Pandemie gebildet haben, könnten auch während des Sommers hilfreich sein. „Die Risikogruppen für die Pandemie und die Hitzewellen überschneiden sich zu großen Teilen. Es kann also nicht nur während einer Infektionswelle, sondern auch bei heißen Temperaturen lebensrettend sein, für alte und kranke Menschen zum Beispiel einkaufen zu gehen.“
Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V. (KLUG)
Der von der Stiftung Mercator geförderte Verein ist ein Netzwerk aus Einzelpersonen, Organisationen und Verbänden, das aufzeigt, welche weitreichenden Folgen der Klimawandel auf die Gesundheit hat.
www.klimawandel-gesundheit.de