Sprechen Sie Klima?
Über das Klima debattieren viele. Aber warum hat sich im Kampf gegen die Erderwärmung so wenig getan? Die entscheidende Frage lautet: Wie schaffen wir es, nicht nur darüber zu reden, sondern auch zu handeln? Eine neue Form der Klimakommunikation ist nötig, und einen Namen gibt es dafür auch schon: „Übers Klima reden/Germany Talks Climate“.
Der Graben zwischen Wissen und Handeln ist tief. Und das obwohl zu keiner anderen Zeit so viele Klimafakten bekannt waren und der Klimawandel aktuell in Form von Überschwemmungen, Hungerkrisen und Hitzeperioden die ganze Welt von Bangladesch bis nach Deutschland überzieht – viele Menschen zögern weiterhin, sich selbst gegen den Klimawandel zu stemmen. Dieses Phänomen bezeichnet George Marshall als „collective silence“. Der Umweltaktivist und Autor hat 2004 in Großbritannien die Organisation Climate Outreach gegründet, die inzwischen in einigen europäischen Ländern Ableger hat. Julia Rawlins etwa ist die Repräsentantin für Deutschland, mit einem Büro in Berlin. Rawlins hat beobachtet, dass negativ konnotierte und generalisierende Vokabeln wie „Klimakrise“ oder „Umweltkatastrophe“ viele Menschen nicht berühren, sondern die Worte eher abprallen. „Der Sprache kommt eine Schlüsselrolle zu“, konstatiert die Sozialwissenschaftlerin.
Brit*innen sprechen schon Klima
Was also tun? Es verändere sich erst etwas, wenn eine große Bandbreite an Akteur*innen mit unterschiedlichen Ideologien starken Druck in die gleiche Richtung ausübten, äußerte George Marshall in einem Interview für den Blog „DeSmog UK“, der sich mit globalen Aspekten der Erderwärmung befasst.
Den Klimaschutz in die Breite tragen – aber wie soll das gehen? Climate Outreach, in Oxford angesiedelt, beschäftigt inzwischen knapp 30 Mitarbeitende. Das international agierende Team von Sozialwissenschaftler*innen und Kommunikationsspezialist*innen hat im vergangenen Jahr ein Toolkit für Großbritannien veröffentlicht. Es erhielt den sprechenden Namen „Britain Talks Climate“. Ausgehend von Cluster-Analysen erstellten die Brit*innen neue Materialien für eine zielgruppenspezifische Klimakommunikation. Mit im Gepäck: ein digitaler Methodenkoffer mit Praxisanleitungen und vielem mehr. Diese methodische Pionierarbeit liefert die Vorlage für das unlängst gestartete „Germany Talks Climate“ und die deutsch-britische Kooperation zwischen den Organisationen klimafakten.de, More in Common und Climate Outreach.
Doch einfach kopieren und auf deutsche Verhältnisse übersetzen könnten sie „Britain Talks Climate“ keinesfalls. Sie müssten beim Klimaschutz die Menschen in ihrer jeweiligen Umgebung in den Blick nehmen, betont George Marshall. Carel Mohn, Gründer von klimafakten.de, ergänzt: „Ohne Kenntnis der deutschen Landschaft funktioniert das nicht.“ Die Rahmenbedingungen seien in beiden Ländern zu ungleich. In Deutschland gebe es eine andere gesellschaftliche Schichtung, ein breiteres Parteiensystem, eine unterschiedliche Debattenkultur und als Besonderheit on top auch die föderale Struktur, inklusive der Stadt-Land-Thematik.
Anderes Milieu – andere (An-)Sprache
Wie aber denkt die deutsche Bevölkerung überhaupt über den Klimawandel, was triggert sie? More in Common, eine Organisation, die länderübergreifend agiert und sich den gesellschaftlichen Zusammenhalt als oberstes Ziel gesetzt hat, hat anhand eines sozialpsychologischen Forschungsansatzes und empirischer Analysen hierzulande sechs unterschiedliche Milieus ausgemacht. Die Wissenschaftler*innen sprechen von „Segmentierungen“ – oder frei übersetzt Gesellschaftsschichten, die die deutsche Gesellschaft in drei Gruppen teilen.
Darunter fallen zum einen die „gesellschaftlichen Pole“, die als „Offene“ (umgangssprachlich ausgedrückt die Klimaaktivist*innen) oder als „Wütende“ besonders stark in der öffentlichen Debatte zum Klima präsent sind und die Extreme der Pro- und Anti-Klimabewegung darstellen. Als „gesellschaftliche Stabilisatoren“ definiert More in Common die „Involvierten“ und die „Etablierten“, die stark sozial eingebunden sind und Vertrauen in die Gesellschaft und das politische System haben. Hinzu kommt ein „unsichtbares Drittel“, das sich aus den „Enttäuschten“ und den „Pragmatischen“ speist, die weder politisch noch sozial involviert sind. Sie würden eher nicht wählen gehen, in ihren Reihen fänden sich viele Jüngere und auch Menschen mit Migrationshintergrund. Es liegt auf der Hand, dass diese Gruppe sich nicht für Verkehrswende, Fleischverzicht oder gegen die Verschmutzung der Meere engagiert.
Hohes Klimabewusstsein in Deutschland
Die Kluft zwischen jenen Personen, die fürs Klima aufs Kinderkriegen verzichten würden, und denen, die schlicht weiterleben wollen wie bisher, ist folglich riesig. Wie kann bei so unterschiedlichen Ausgangslagen eine Ansprache gelingen?
Genau das wollen klimafakten.de, More in Common und Climate Outreach gemeinsam beantworten. „Wir erkunden das Feld, wie die einzelnen Bevölkerungsgruppen in Sachen Klima ticken, worauf sie positiv und negativ reagieren, um dann herauszufinden: Wovon fühlen sich diese Gruppen angesprochen, was ist ihnen beim Klimaschutz wichtig?“, erklärt Carel Mohn. Die methodische Basis, die More in Common vorgelegt hat, wurde für Deutschland adaptiert. Dazu gab es, so erzählt Julia Rawlins, zuerst qualitative Erhebungen in den sechs oben genannten Fokusgruppen. „Hier haben wir pro Gruppe untersucht, auf welche Narrative und Bilder Meinungsführer*innen besonders anspringen.“ Danach und darauf aufbauend wurde ein Fragebogen erstellt, die Antworten von 1.500 Personen wurden analysiert. Grundsätzlich sei das Klimabewusstsein hierzulande hoch, resümiert Rawlins, das stimme positiv für die Zukunft.
Erstes Webinar für alle Interessierten
Der Methodenkoffer ist jetzt gepackt, und die wissenschaftlichen Erkenntnisse werden bei einem Webinar am 29. Juni möglichst nutzerfreundlich von allen drei Projektpartnern vorgestellt (siehe Projektbox). Klimainteressierte sind eingeladen, sich anzumelden. Julia Rawlins verspricht sich von insgesamt drei Webinaren in diesem Sommer und dem Feedback der Teilnehmenden weitere spannende Forschungsfragen. Außerdem soll parallel noch eine interaktive Webseite aufgebaut werden, auf der auch die Tools und Fakten heruntergeladen werden können. Schließlich gilt es jetzt, Klimakommunikator*innen auszubilden. „Der Bedarf ist riesig“, weiß Carel Mohn. Das Interesse, anders übers Klima zu reden als bisher, ist groß. Wenn sich die Klimakommunikation künftig an Werten und Identitäten orientiere, sei ihr nicht bange, sagt Julia Rawlins. „Es ist der Schlüssel, um ins Handeln zu kommen.“
Inzwischen ist die zweite Projektphase fast abgeschlossen. Ein Kommunikationsinstrumentarium wurde erarbeitet. „Die Klimadiskussion wollen wir aus der linksliberalen Ecke in die Breite tragen“, formuliert Julia Rawlins die Intention. Neue Zielgruppen könnten Sportvereine sein, Wohlfahrtsverbände, Krankenkassen, Kirchen oder NGOs. Welches Wording, welche Narrative, welche Bilder sprechen die jeweiligen Gruppen an? Climate-Outreach-Gründer George Marshall beschreibt die neue Herangehensweise: „Es geht nicht darum, eine andere Gruppe von deinen Werten zu überzeugen. Es geht darum, sie mit ihren eigenen Wertvorstellungen zu erreichen.“
Zentrale Aspekte haben sich für „Germany Talks Climate“ bereits herauskristallisiert: Ein Mangel an Selbstwirksamkeitserfahrung (Motto: „Ich kann eh nichts ändern“) lähme viele, berichtet Julia Rawlins, Pessimismus sei insofern kontraproduktiv. Als besonders effektiv hingegen werde kollektives Handeln erlebt: „Die Gruppe macht das Handeln verbindlicher“, so Julia Rawlins. Das schweiße zusammen und sei auf Dauer nachhaltiger.
Germany Talks Climate
Die drei Partner Climate Outreach, klimafakten.de und More in Common arbeiten gemeinsam daran, die Klimakommunikation in Deutschland zu verbessern. Ziel ist es, Klimakommunikator*innen landesweit zu befähigen, damit mehr Menschen aus der Breite der Gesellschaft vom Reden darüber ins Handeln für das Klima kommen. Das Projekt bietet Webinare dazu an. Klimainteressierte sind eingeladen, sich anzumelden.