So will die EU ihre Klimaziele erreichen

„Fit For 55“ ist eine Initiative, mit der die Europäische Union ihre Treib­haus­gas­emissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 senken will. Das Gesetzes­vorhaben ist Teil des European Green Deals, der die Staaten­gemeinschaft bis 2050 unter dem Strich klima­neutral machen soll. Die Maßnahmen für das „Fit For 55“-Paket hat die Europäische Kommission im Juli 2021 vorgeschlagen: Zum einen soll der Treib­haus­gas­ausstoß in der Energie­branche und der Industrie durch knapper und teurer werdende Emissions­zertifikate begrenzt werden. Zum anderen soll der Anteil der erneuer­baren Energien am Gesamt­energie­verbrauch deutlich erhöht werden. Außerdem soll es künftig CO₂-Abgaben auf Produkte und Materialien aus Ländern mit weniger ambitionierten Klima­schutz­standards geben. Und: Durch eine stärkere Besteuerung und strengere Vorgaben für Verbrenner­motoren will die EU emissions­arme und emissions­freie Fahrzeuge fördern.

Dazu sei gesagt: Der Maßnahmenkatalog der EU ist überwiegend kein unmittelbar anwendbares Recht, sondern muss erst noch von den Mitglied­staaten in ihr jeweiliges nationales Recht umgesetzt werden. Die verstärkte Sanierung von Gebäuden, der Aufbau von Wind-, Solar- und Wasser­kraft­anlagen, der Zulassungs­stopp für Diesel­motoren und Benziner ab 2035 sowie die verstärkte CO₂-Bepreisung von Produkten werden aber höchstwahrscheinlich nicht nur dem deutschen Staat und vielen Unternehmen hohe Investitionen abverlangen. Durch steigende CO₂-Bepreisung oder Produktionskosten könnten am Ende auch viele Bürger*innen die Auswirkungen von „Fit For 55“ finanziell zu spüren bekommen. Um dies zu vermeiden, lohnen sich Anpassungen im Alltag wie die effizientere Nutzung von Energie und der Umstieg auf saubere Technologien.

Tatsächlich können die „Fit For 55“-Maßnahmen einige traditionelle Industrie­zweige in Deutschland vor große Heraus­forderungen stellen – insbesondere diejenigen Branchen, die einen hohen Energie­bedarf haben und stark abhängig von fossilen Brenn­stoffen sind. Von einer Umstellung auf eine kohlen­stoff­arme Wirtschaft könnte Deutschland aber auch sehr profitieren. Fabian Pause von der Stiftung Umwelt­energie­recht erklärt das so: „Wer seinen Strom aus erneuerbaren Energien bezieht, aus diversen Quellen, ihn vielleicht sogar selbst mit­produziert, wird lang­fristig einen klaren Wettbewerbs­vorteil haben.“ Der Leiter des Forschungs­gebietes Europäisches und inter­nationales Umwelt­energie­recht sagt: „Erneuerbare Energien können uns gleich mehrfach aus verschiedenen Krisen helfen. Nicht nur dienen sie dem Klimaschutz, sie können uns auch eine Versorgungs- und Preis­sicherheit geben. Das stärkt die heimische Wirtschaft und könnte letzten Endes viele Produkte wieder günstiger machen.“ Diese mittel- und lang­fristigen Ziele sollten nicht für kurz­fristige Vorteile geopfert werden, so der Energie­jurist. Auch für einkommens­schwächere Bürger*innen sei gesorgt: „Nicht nur mit dem Klima-Sozialfonds will die EU sicherstellen, dass die Übergangs­prozesse in den verschiedenen EU-Mitgliedstaaten so sozial­verträglich wie möglich sind.“

Solange die Mitgliedstaaten die „Fit For 55“-Maßnahmen nicht umgesetzt haben und die tatsächlichen Auswirkungen noch nicht konkret absehbar sind, lässt sich der Erfolg oder Miss­erfolg von „Fit For 55“ kaum bewerten. Um die Vorgaben zu erfüllen, muss in Deutschland der Ausbau der erneuerbaren Energien massiv voran­getrieben werden. Das scheiterte bislang auch an langwierigen Genehmigungs­prozessen für die Errichtung der Anlagen. Und gerade jetzt grassiert in den Ämtern und Behörden der Fach­kräfte­mangel – es fehlt an allen Stellen an Personal. Nicht zuletzt muss bei aller Motivation für eine schnelle Energiewende zudem der Arten- und Natur­schutz berücksichtigt werden.

„Bei all der teils berechtigten Detailkritik darf man nicht das große Ganze aus dem Blick verlieren“, sagt Energie­rechts­experte Fabian Pause. „Dafür, dass wir gerade unsere gesamte Wirtschaft und unser Energie­system transformieren, von heute auf morgen alles auf den Kopf stellen, sind die Gesetzes­vorlagen schon ziemlich fein austariert. Die Transformation zur Klimaneutralität ist und bleibt ein gewaltiger Kraftakt. Und die Tatsache, dass ein gerade einmal zwei Jahre alter Vorschlag bereits die Zustimmung des Parlamentes und der Mitglied­staaten bekommen hat, ist ein starker Beweis für die Leistungs­fähigkeit der EU.“ Natürlich sei das Ergebnis ein großer Kompromiss, der nicht alle zufrieden­stelle. Klima­schützer*innen sind die Maßnahmen etwa nicht ambitioniert genug. Und Teile der Wirtschaft stöhnen, weil sie sich jetzt mit noch mehr Vorschriften herum­schlagen müssen. Für Fabian Pause können die Beschwerden allerdings auch als Indiz für einen gelungenen Vorschlag herhalten: „Wenn alle Abstriche machen müssen, kann es auch ein trag­fähiger guter Deal sein.“

Moderne Fotovoltaik- und Windenergieanlagen sind deutlich leistungs­fähiger als noch vor zwanzig Jahren und können – wenn man sie ständig weiter­entwickelt – die Abhängigkeit von fossilen Energien und den Ausstoß von Treib­haus­gasen weiter reduzieren. Darüber hinaus gibt es einige andere Möglichkeiten und Technologien, die viel­versprechend sind: „In Sachen Geothermie, also der Nutzung von Erdwärme zum Heizen, zum Kühlen und zur Strom­erzeugung, ist noch viel Luft nach oben“, sagt Fabian Pause. Aber auch der Einsatz digitaler Technologien und Künstlicher Intelligenz trage dazu bei, Ressourcen noch effizienter zu nutzen, den Energie­verbrauch zu optimieren und Umwelt­auswirkungen zu minimieren. Und Innovationen bei den Speicher­technologien könnten sogar dabei helfen, die gesamte Strom­versorgung zu sichern – selbst bei Wind­stille und Dunkelheit. „Beim bidirektionalen Laden zum Beispiel könnte man E-Autos als vorüber­gehende Strom­speicher nutzen“, so Pause. „Wenn man etwa wüsste, dass zwischen 22 und 5 Uhr rund 100.000 Elektro­autos am Ladekabel hängen, könnte man im Fall von Netz­schwankungen oder Energie­spitzen die gespeicherte Energie wieder ins Strom­netz zurück­führen und nutzbar machen.“ Damit das aber wirklich funktioniert, bräuchte es smarte Systeme, die dauerhaft Daten erfassen und nutzen. Sind diese Innovationen und die entsprechenden politischen Rahmen­bedingungen gegeben, kann unser Leben mit sauberen Energien gelingen.