Grüne Transformation: Nachhaltig­keits­expert*innen immer wichtiger für Unternehmen

Grüne Transformation: Nachhaltig­keits­expert*innen immer wichtiger für Unternehmen
Autorin: Jasmin Shamsi Illustrationen: Jochen Schievink 01.02.2024

Regulierungen für eine nachhaltige Wirtschaft in Deutschland rufen zwar heftige Kritik hervor, doch sie greifen. Das zeigt die Lang­zeit­studie „Sustainability Transformation Monitor 2024“, an der Laura Marie Edinger-Schons, Professorin und Chief Sustainability Officer der Universität Hamburg, mitgewirkt hat. Im Interview erklärt sie, warum in den zukünftigen Arbeit­nehmenden das größte Veränderungs­potenzial schlummert.

Wie unterscheidet sich Ihr „Sustainability Transformation Monitor 2024“ zum klima­neutralen Umbau der Wirtschaft von anderen Studien?
Laura Marie Edinger-Schons: Die meisten Studien schauen von außen auf Unternehmen. Wir wollten aber in den Maschinen­raum der Nach­haltigkeit schauen und mit den Leuten sprechen, die diese Transformation koordinieren müssen. Es ist nämlich so: Die Rolle von Nachhaltig­keits­manager*innen in Unternehmen hat sich über die vergangenen Jahre stark verändert. Diese Menschen zu begleiten und hinter die Kulissen zu schauen, war uns ein wichtiges Anliegen.

Was müssen Nachhaltigkeits­manager*innen heute leisten?
Der Druck durch die Öffentlichkeit, Stake­holder und politische Regulierungen hat die Rolle von Nachhaltig­keits­expert*innen verändert. Sie wird immer wichtiger und gleich­zeitig komplexer. Aus allen Bereichen der Unternehmen wird an diesen Menschen gezogen und gezerrt. Die Erwartungen sind riesig und die Ressourcen oft begrenzt. Die Zeiten, als Nachhaltig­keits­beauftragte in der PR- oder Marketing­abteilung von Unternehmen saßen und Broschüren mit Blumen­wiesen erstellten, sind lange vorbei. Seit einigen Jahren rückt das Thema Nachhaltig­keit immer stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit von Unternehmen.

Wie zeigt sich dieser Kultur­wandel in Unternehmen?
Wir sehen in der Statistik, dass es immer mehr Unternehmen gibt, in denen jemand im Vorstand für das Thema Nachhaltigkeit verantwortlich ist. Das Thema Nachhaltigkeit ist nicht nur in der Unternehmens­hierarchie aufgerückt. Auch in den verschiedenen Abteilungen sitzen mittlerweile Menschen mit speziellem Wissen, etwa zu nachhaltigen Lieferketten, nachhaltigen Finanzen oder auch nachhaltiger Personal­führung. Dadurch entsteht ein komplett neuer Arbeitsmarkt.

© UHH/Esfandiari

Laura Marie Edinger-Schons ist seit Dezember 2022 Professorin für Nach­haltiges Wirtschaften an der Universität Hamburg (UHH). Als Chief Sustainability Officer (CSO) hat sie zudem die Leitung des Sustainability Office der UHH übernommen. Die Wirtschafts­wissenschaftlerin forscht unter anderem dazu, wie Organisationen zu einer nach­haltigen Entwicklung im Sinne der Ziele für nach­haltige Entwicklung der Vereinten Nationen beitragen können.

Dass neue Arbeitsmärkte entstehen, klingt erst mal spannend. Dem gegen­über steht allerdings der Mangel an Fachkräften.
Richtig – und ein Hochschulwesen, das ganz anders ausbilden muss. Für Unternehmen sind das heraus­fordernde Zeiten. Im Rahmen des Green Deals, der Europa bis 2050 klima­neutral machen will, kommt jetzt ein riesiges Paket an Regulierungen auf sie zu. Innerhalb der EU sprechen wir von 50.000 Unternehmen, die auf einmal berichts­pflichtig werden. Dafür müssen Jobs geschaffen werden, die es vorher noch nicht gab.

Das erklärt auch, warum künftige Arbeitnehmer*innen in Ihrer Studie als einer der stärksten Treiber der Transformation gesehen werden.
So ist es. Wenn sich junge Menschen heute auf einen Job bewerben, stellen sie ganz andere Fragen. Ihr Einfluss auf Veränderungs­prozesse im Unternehmen ist laut der Befragten sogar größer als der von Aktivist*innen auf der Straße. Es geht so weit, dass der Markenkern infrage gestellt wird. Nehmen wir beispiels­weise Lufthansa. Früher war das ein tolles Unternehmen, das für moderne Mobilität stand. Heute verbinden es viele mit dem Wort „Flugscham“. Viele Unternehmen haben inzwischen ein echtes Recruiting-Problem.

© Jochen Schievink
© Jochen Schievink

Wie hoch schätzen Unternehmen den personellen Aufwand für die neuen Berichtspflichten zu ihren Nachhaltig­keits­bemühungen ein?
Laut Studie werden durchschnittlich zwei Vollzeit­kräfte zusätzlich gebraucht. Auch kleine Unternehmen, die von bestimmten Pflichten noch nicht betroffen sind, benötigen neues Fach­personal. So kann sich beispiels­weise durch die Geschäfts­beziehung mit einem berichts­pflichtigen Unternehmen oder die Aufnahme eines Kredites bei einer Bank eine indirekte Notwendigkeit zur Transparenz ergeben.

Unternehmensführung Europa vs. USA

In Europa dominiert der Stakeholder-Ansatz, bei dem die Interessen von Investor*innen, Kund*innen und Arbeit­nehmer*innen immer wieder gegen­einander abgewogen werden. Die US-Wirtschaft folgt einem Shareholder-Ansatz, der die Interessen der Aktionär*innen betont.

Unternehmertum in Deutschland

Laut Statistischem Bundes­amt gehören über 99 Prozent aller Unternehmen in Deutschland zu den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Kleinst­unternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitenden und maximal zwei Millionen Euro Umsatz pro Jahr stellen dabei die häufigste Unternehmens­form dar.

Was ist Ihnen noch beim Thema Recruiting aufgefallen?
Große Unternehmen und Beratungen haben weniger Probleme, sich junge Talente an Bord zu holen, die fit sind in der Nachhaltig­keits­bericht­erstattung. Mittel­ständler abseits der Metropolen wirken auf Hoch­schul­absolvent*innen mit einem ausgezeichneten Hochschul­abschluss und Expertise in Nach­haltigkeit weniger attraktiv. Die Heraus­forderung besteht also nicht nur darin, die finanziellen Ressourcen auf­zu­bringen. Gefragt sind auch die richtigen Personen, um Prozesse neu aufzusetzen und die Organisation zu digitalisieren. Denn eine Nachhaltig­keits­bericht­erstattung gelingt nur, wenn es ausreichend digitalisierte Prozesse gibt.

Wenn Unternehmen ihre Prozesse durch­leuchten, hilft es ihnen auch dabei, ihre Geschäfts­modelle weiter­zu­entwickeln.

Laura Marie Edinger-Schons, Professorin für Nach­haltiges Wirtschaften an der Universität Hamburg

Gibt es bei aller Kritik an den Regulierungen für eine nachhaltige Wirtschaft auch Positives zu berichten?
Eines der schönsten Ergebnisse der Studie: Wenn sich Unternehmen einmal auf den Weg gemacht haben, ihre Prozesse hinsichtlich Nachhaltigkeit zu durchleuchten, hilft es ihnen auch dabei, ihre Geschäfts­modelle weitervzu­entwickeln. Ich finde, das müssen wir deutlich hervorheben. Insbesondere wenn wir sehen, wie die Diskussionen gerade laufen in den Industrie- und Handels­kammern – da findet teils ein richtiges EU-Bashing statt. Da werden die neuen Berichtspflichten von einigen Personen aus der Wirtschaft als linksradikaler Extremismus der EU verteufelt und das Ende des Mittelstands herauf­beschworen. Das sehen wir in unserer Befragung aber nicht.

Welche Rolle spielt die Unternehmens­führung bei der Neu­ausrichtung von Geschäfts­modellen?
Nachhaltigkeit wie auch Digitalisierung sind wichtige Change-Management-Themen und brauchen eine eigene Vorstands­position. Nur dann lassen sich alle in der Organisation an Bord holen. Dafür eignen sich sehr gut partizipative Formate wie Nachhaltig­keits­komitees, in denen aus jeder Abteilung eine Person den Hut aufhat. Oder auch Kreativ­workshops, Town Halls und Ideenwett­bewerbe. Die haben dann oft auch wieder einen positiven Effekt auf die Nachwuchs­gewinnung und Mitarbeitenden­zufriedenheit.

Welches Fazit ziehen Sie aus dem neuen „Sustainability Transformation Monitor“, was erhoffen Sie sich?
Es geht voran, die Regulierungen greifen, in den Unternehmen passiert etwas. Dennoch haben wir riesige Probleme vor der Nase. Die Folgen des Klima­wandels bekommen wir jetzt schon zu spüren. Doch Veränderungen brauchen Zeit. Mit der Studie wollen wir einerseits Transparenz schaffen über die Transformation. Andererseits wollen wir aber auch positive Impulse setzen in Debatten, die oft sehr populistisch geführt werden. Wenn Wirtschafts­vertreter*innen über unnütze Berichts­pflichten wettern, braucht es eine Gegen­stimme. Und die muss daten- und evidenz­basiert sein.


Sustainability Transformation Monitor

Der „Sustainability Transformation Monitor“ ist ein Gemeinschafts­projekt der Stiftung Mercator, der Universität Hamburg, der Peer School for Sustainable Development und der Bertelsmann Stiftung. Das Ziel der Längs­schnitt­befragung (2022 bis 2025) ist es, die grüne Transformation der Wirtschaft evidenz­basiert abzubilden. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf dem Zusammen­wirken von Real- und Finanz­wirtschaft. Die Ergebnisse der Haupt­befragung werden in einer jährlichen Publikation fest­gehalten.
www.sustainabilitytransformation.org