Grüne Transformation: Nachhaltigkeitsexpert*innen immer wichtiger für Unternehmen
Regulierungen für eine nachhaltige Wirtschaft in Deutschland rufen zwar heftige Kritik hervor, doch sie greifen. Das zeigt die Langzeitstudie „Sustainability Transformation Monitor 2024“, an der Laura Marie Edinger-Schons, Professorin und Chief Sustainability Officer der Universität Hamburg, mitgewirkt hat. Im Interview erklärt sie, warum in den zukünftigen Arbeitnehmenden das größte Veränderungspotenzial schlummert.
Wie unterscheidet sich Ihr „Sustainability Transformation Monitor 2024“ zum klimaneutralen Umbau der Wirtschaft von anderen Studien?
Laura Marie Edinger-Schons: Die meisten Studien schauen von außen auf Unternehmen. Wir wollten aber in den Maschinenraum der Nachhaltigkeit schauen und mit den Leuten sprechen, die diese Transformation koordinieren müssen. Es ist nämlich so: Die Rolle von Nachhaltigkeitsmanager*innen in Unternehmen hat sich über die vergangenen Jahre stark verändert. Diese Menschen zu begleiten und hinter die Kulissen zu schauen, war uns ein wichtiges Anliegen.
Was müssen Nachhaltigkeitsmanager*innen heute leisten?
Der Druck durch die Öffentlichkeit, Stakeholder und politische Regulierungen hat die Rolle von Nachhaltigkeitsexpert*innen verändert. Sie wird immer wichtiger und gleichzeitig komplexer. Aus allen Bereichen der Unternehmen wird an diesen Menschen gezogen und gezerrt. Die Erwartungen sind riesig und die Ressourcen oft begrenzt. Die Zeiten, als Nachhaltigkeitsbeauftragte in der PR- oder Marketingabteilung von Unternehmen saßen und Broschüren mit Blumenwiesen erstellten, sind lange vorbei. Seit einigen Jahren rückt das Thema Nachhaltigkeit immer stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit von Unternehmen.
Wie zeigt sich dieser Kulturwandel in Unternehmen?
Wir sehen in der Statistik, dass es immer mehr Unternehmen gibt, in denen jemand im Vorstand für das Thema Nachhaltigkeit verantwortlich ist. Das Thema Nachhaltigkeit ist nicht nur in der Unternehmenshierarchie aufgerückt. Auch in den verschiedenen Abteilungen sitzen mittlerweile Menschen mit speziellem Wissen, etwa zu nachhaltigen Lieferketten, nachhaltigen Finanzen oder auch nachhaltiger Personalführung. Dadurch entsteht ein komplett neuer Arbeitsmarkt.
Laura Marie Edinger-Schons ist seit Dezember 2022 Professorin für Nachhaltiges Wirtschaften an der Universität Hamburg (UHH). Als Chief Sustainability Officer (CSO) hat sie zudem die Leitung des Sustainability Office der UHH übernommen. Die Wirtschaftswissenschaftlerin forscht unter anderem dazu, wie Organisationen zu einer nachhaltigen Entwicklung im Sinne der Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen beitragen können.
Dass neue Arbeitsmärkte entstehen, klingt erst mal spannend. Dem gegenüber steht allerdings der Mangel an Fachkräften.
Richtig – und ein Hochschulwesen, das ganz anders ausbilden muss. Für Unternehmen sind das herausfordernde Zeiten. Im Rahmen des Green Deals, der Europa bis 2050 klimaneutral machen will, kommt jetzt ein riesiges Paket an Regulierungen auf sie zu. Innerhalb der EU sprechen wir von 50.000 Unternehmen, die auf einmal berichtspflichtig werden. Dafür müssen Jobs geschaffen werden, die es vorher noch nicht gab.
Das erklärt auch, warum künftige Arbeitnehmer*innen in Ihrer Studie als einer der stärksten Treiber der Transformation gesehen werden.
So ist es. Wenn sich junge Menschen heute auf einen Job bewerben, stellen sie ganz andere Fragen. Ihr Einfluss auf Veränderungsprozesse im Unternehmen ist laut der Befragten sogar größer als der von Aktivist*innen auf der Straße. Es geht so weit, dass der Markenkern infrage gestellt wird. Nehmen wir beispielsweise Lufthansa. Früher war das ein tolles Unternehmen, das für moderne Mobilität stand. Heute verbinden es viele mit dem Wort „Flugscham“. Viele Unternehmen haben inzwischen ein echtes Recruiting-Problem.
Wie hoch schätzen Unternehmen den personellen Aufwand für die neuen Berichtspflichten zu ihren Nachhaltigkeitsbemühungen ein?
Laut Studie werden durchschnittlich zwei Vollzeitkräfte zusätzlich gebraucht. Auch kleine Unternehmen, die von bestimmten Pflichten noch nicht betroffen sind, benötigen neues Fachpersonal. So kann sich beispielsweise durch die Geschäftsbeziehung mit einem berichtspflichtigen Unternehmen oder die Aufnahme eines Kredites bei einer Bank eine indirekte Notwendigkeit zur Transparenz ergeben.
Unternehmensführung Europa vs. USA
In Europa dominiert der Stakeholder-Ansatz, bei dem die Interessen von Investor*innen, Kund*innen und Arbeitnehmer*innen immer wieder gegeneinander abgewogen werden. Die US-Wirtschaft folgt einem Shareholder-Ansatz, der die Interessen der Aktionär*innen betont.
Unternehmertum in Deutschland
Laut Statistischem Bundesamt gehören über 99 Prozent aller Unternehmen in Deutschland zu den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitenden und maximal zwei Millionen Euro Umsatz pro Jahr stellen dabei die häufigste Unternehmensform dar.
Was ist Ihnen noch beim Thema Recruiting aufgefallen?
Große Unternehmen und Beratungen haben weniger Probleme, sich junge Talente an Bord zu holen, die fit sind in der Nachhaltigkeitsberichterstattung. Mittelständler abseits der Metropolen wirken auf Hochschulabsolvent*innen mit einem ausgezeichneten Hochschulabschluss und Expertise in Nachhaltigkeit weniger attraktiv. Die Herausforderung besteht also nicht nur darin, die finanziellen Ressourcen aufzubringen. Gefragt sind auch die richtigen Personen, um Prozesse neu aufzusetzen und die Organisation zu digitalisieren. Denn eine Nachhaltigkeitsberichterstattung gelingt nur, wenn es ausreichend digitalisierte Prozesse gibt.
Wenn Unternehmen ihre Prozesse durchleuchten, hilft es ihnen auch dabei, ihre Geschäftsmodelle weiterzuentwickeln.
Gibt es bei aller Kritik an den Regulierungen für eine nachhaltige Wirtschaft auch Positives zu berichten?
Eines der schönsten Ergebnisse der Studie: Wenn sich Unternehmen einmal auf den Weg gemacht haben, ihre Prozesse hinsichtlich Nachhaltigkeit zu durchleuchten, hilft es ihnen auch dabei, ihre Geschäftsmodelle weitervzuentwickeln. Ich finde, das müssen wir deutlich hervorheben. Insbesondere wenn wir sehen, wie die Diskussionen gerade laufen in den Industrie- und Handelskammern – da findet teils ein richtiges EU-Bashing statt. Da werden die neuen Berichtspflichten von einigen Personen aus der Wirtschaft als linksradikaler Extremismus der EU verteufelt und das Ende des Mittelstands heraufbeschworen. Das sehen wir in unserer Befragung aber nicht.
Welche Rolle spielt die Unternehmensführung bei der Neuausrichtung von Geschäftsmodellen?
Nachhaltigkeit wie auch Digitalisierung sind wichtige Change-Management-Themen und brauchen eine eigene Vorstandsposition. Nur dann lassen sich alle in der Organisation an Bord holen. Dafür eignen sich sehr gut partizipative Formate wie Nachhaltigkeitskomitees, in denen aus jeder Abteilung eine Person den Hut aufhat. Oder auch Kreativworkshops, Town Halls und Ideenwettbewerbe. Die haben dann oft auch wieder einen positiven Effekt auf die Nachwuchsgewinnung und Mitarbeitendenzufriedenheit.
Welches Fazit ziehen Sie aus dem neuen „Sustainability Transformation Monitor“, was erhoffen Sie sich?
Es geht voran, die Regulierungen greifen, in den Unternehmen passiert etwas. Dennoch haben wir riesige Probleme vor der Nase. Die Folgen des Klimawandels bekommen wir jetzt schon zu spüren. Doch Veränderungen brauchen Zeit. Mit der Studie wollen wir einerseits Transparenz schaffen über die Transformation. Andererseits wollen wir aber auch positive Impulse setzen in Debatten, die oft sehr populistisch geführt werden. Wenn Wirtschaftsvertreter*innen über unnütze Berichtspflichten wettern, braucht es eine Gegenstimme. Und die muss daten- und evidenzbasiert sein.
Sustainability Transformation Monitor
Der „Sustainability Transformation Monitor“ ist ein Gemeinschaftsprojekt der Stiftung Mercator, der Universität Hamburg, der Peer School for Sustainable Development und der Bertelsmann Stiftung. Das Ziel der Längsschnittbefragung (2022 bis 2025) ist es, die grüne Transformation der Wirtschaft evidenzbasiert abzubilden. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf dem Zusammenwirken von Real- und Finanzwirtschaft. Die Ergebnisse der Hauptbefragung werden in einer jährlichen Publikation festgehalten.
www.sustainabilitytransformation.org