Silke Stremlau: „Für mehr Nach­haltig­keit brauchen wir die Kraft des Finanz­marktes“

Silke Stremlau: „Für mehr Nach­haltig­keit brauchen wir die Kraft des Finanz­marktes“
Autorin: Bettina Brakelmann Fotos: Ina Fassbender 24.10.2023

Mit dem Fahrrad zum Bioladen, mit dem Zug zu Verwandten, mit dem Flugzeug nirgend­wohin. Silke Stremlau lebt auch im Privaten, wofür sie im Job kämpft: Als Leiterin des Sustainable Finance-Beirates der Bundes­regierung setzt sie sich für ökonomische, soziale und ökologische Nach­haltig­keit ein. Und als Senior Fellow der Stiftung Mercator will sie, dass der Finanz­markt wirkungs­voller als bisher die Transformation unserer Wirtschaft und Gesellschaft finanziert.

Silke Stremlau spricht Wahrheiten mit wachem Blick und entwaffnendem Lächeln aus: „Die Transformation der Wirtschaft kostet sehr, sehr viel Geld. Agrar­wende, Energie­wende, Verkehrs­wende, Bau­wende – dafür brauchen wir den Finanz­markt, das kann der Staat nicht alleine finanzieren.“ Um diese Möglichkeiten auszuloten, hat die Bundes­regierung 2019 den Sustainable Finance-Beirat zum ersten Mal eingerichtet. Stremlau leitet diese Multi-Stake­holder-Initiative nun seit vergangenem Sommer. Ihre Führungs­aufgabe definiert sie so: „Ich sehe mich in der Rolle der Mediatorin und Moderatorin, die die verschiedenen Expertisen und Interessen zusammen­bringt.“

Sustainable Finance-Beirat

Im Sustainable Finance-Beirat der Bundes­regierung sind 34 Personen aus Real­wirtschaft, Wissenschaft, Finanz­wirtschaft und Zivil­gesellschaft vertreten, die ihre Expertisen zusammen­bringen und die Bundes­regierung beraten. Sie beantworten Fragen, erarbeiten Vorschläge, entwickeln Konzepte und sprechen Empfehlungen aus. Alle Mitglieder arbeiten ehren­amtlich und partei­unabhängig.

„Green Future“ gegründet – 30 Jahre vor „Fridays for Future“

Ihr Engagement ist tief in ihrer Biografie verwurzelt. Silke Stremlau erinnert sich noch gut an den GAU in Tschernobyl im Jahr 1986. Plötzlich durfte sie nicht mehr auf den Spiel­platz und bestimmte Lebens­mittel nicht mehr essen – ein einschneidendes Erlebnis für die damals 10-Jährige. Drei Jahre später schenkte ihr Vater ihr den Jugend­roman „Der Wal in der Falle“ von Midas Dekkers, in dem es um die Beziehung zwischen Mensch und Natur, die illegale Jagd auf Wale und den Einsatz von Greenpeace geht. Für die 13-Jährige war das die Initial­zündung, sich intensiver mit Umwelt­themen auseinander­zu­setzen.

Kurzerhand beschloss sie, eine Jugend­umwelt­gruppe zu gründen. Ein Aushang am Schwarzen Brett in der Schule, und schon war „Green Future“ gegründet – fast 30 Jahre vor „Fridays for Future“. Mit Volldampf machten sie und ihre Mitschüler*innen sich an ihre erste Aktion und sammelten tausend Unterschriften gegen über­flüssigen Verpackungs­müll von Lebens­mitteln. Greenpeace unter­stützte sie mit Materialien, und auch bei ihren Eltern und in der Schule erfuhr Silke Stremlau viel Ermutigung.

Frauenhand mit Ring
Silke Stremlau engagiert sich für den Klima­schutz ... © Ina Fassbender
Silke Stremlau
... sie fordert: „Der Finanz­­markt muss die Transformation unserer Wirtschaft und Gesellschaft finanzieren.“ © Ina Fassbender
Grüne Wand, grüne Finanzen – Silke Stremlau setzt sich dafür ein, den Finanzmarkt nachhaltiger zu gestalten.
Grüne Wand, grüne Finanzen – Silke Stremlau setzt sich dafür ein, den Finanz­markt nach­haltiger zu gestalten. © Ina Fassbender

Nach dem Abitur zu Greenpeace

Mit einem Einser-Abi in der Tasche zog Silke Stremlau von Dülmen nach Oldenburg. Nur dort konnte sie in den 90ern Sozial­wissenschaften in Kombination mit Umwelt­politik und Umwelt­planung studieren. Sie interessierte sich für Gesellschafts- und Umwelt­themen: „Ich habe damals nie direkt den Wirtschafts­teil, sondern immer erst den Politik­teil einer Zeitung gelesen.“

Ihr Umweltengagement brachte sie bereits mit 20 Jahren ins Fernsehen. Noch heute lacht sie bei dem Gedanken daran, wie sie damals zu Hause anrief: „Mutti, guck mal Tagesschau! Ich häng am Frachter!“ Im Rahmen ihres Praktikums bei Greenpeace hatte sie sich bei einer Protest­aktion mit Hand­schellen an ein Schiff mit Atom­müll gekettet.

Von der Studentin zur Analystin, die Nach­haltigkeits­indikatoren über­prüft

Nach dem Studium konnte sie in ihrem ersten Job bei der imug Beratungs­gesellschaft für Markt, Umwelt und Gesellschaft in Hannover gleich das Thema ihrer Diplom­arbeit – Nach­haltig­keits­indikatoren in Unternehmen – unmittelbar in der Praxis anwenden: Als Analystin klopfte sie Unternehmen auf Nach­haltig­keits­indikatoren ab.

Nicht verschwenden, wieder verwenden: Ganz nach Stremlaus Geschmack ist dieser Stuhl aus einem alten Baumstamm, ihr Blazer ist übrigens auch secondhand.
Zu Besuch im Foyer der Stiftung Mercator in Essen. Der Stuhl ist wie Stremlaus Blazer aus zweiter Hand. Bei der Sitzgelegenheit handelt sich sich um eine aus jahrhundertealtem chinesischen Holz gefertigte Wasser-Rinne. Der Stuhl war Teil einer Kunstinstallation, die die Stiftung Mercator 2011/2012 während einer Gremienreise nach China besichtigt hatte. © Ina Fassbender

Wie den Finanz­markt grüner machen?

Für die Berufsanfängerin war das eine Art Aha-Erlebnis: „Mir wurde klar: Wir können nicht nur Unterschriften sammeln, an die Öffentlichkeit gehen und Aktionen starten, sondern wir müssen über den Finanz­markt etwas bewegen. Aktionär*innen, Investor*innen oder Banker*innen haben Macht und können etwas ändern.“ Während der 15 Jahre bei der imug kam sie häufig mit Vertreter*innen der Finanz­welt in Kontakt, hat sich „den Mund fusselig geredet“. Dabei hat ihr gerade dieses Zwischen-den-Stühlen-Sitzen immer besonders gefallen. „Wir waren nicht richtig auf der dunklen Seite des Geldes, sondern haben versucht, den Finanz­markt grüner zu machen.“ Einzel­kämpferin war sie schon während ihrer Schul­zeit nicht. Denn schon früh hat sie erkannt, wie wichtig es ist, sich mit anderen zusammen­zu­tun und das gemeinsame Ziel in den Mittel­punkt zu stellen.

So geht Silke Stremlau 2018 auch ihre Aufgaben als Vorständin bei den Hannoverschen Kassen, einer nachhaltigen Pensions­kasse mit 25 Mitarbeiter*innen, an. Dort verwaltete sie sechs Jahre lang ein Budget von rund 500 Millionen Euro, eingezahlt von nach­haltigen Unternehmen, darunter Pflege­einrichtungen und Waldorf­schulen. In ihrer Verantwortung lag es, diese Summe in die Erzeugung erneuerbarer Energien, die ökologische Land­wirtschaft und in nachhaltige Unternehmen zu investieren.

Fünf Finanztipps von Nachhaltigkeits­expertin Silke Stremlau

Die Wirtschaft in die Pflicht nehmen

Stremlau setzt auf Veränderungen aus dem System heraus und auf Protest von außen. Für sie sind alle Rädchen im Getriebe – die NGOs, die kritische Öffentlichkeit, die Politik und die Wirtschaft –wichtige Treiber für Veränderungen. Aktionen der Letzten Generation verfehlen ihrer Ansicht nach ihr Ziel und sorgen eher für Zorn als für Verständnis oder sogar für ein Umdenken – „auch wenn ich deren Wut gut verstehen kann“. Der aus ihrer Sicht bessere Weg: die Wirtschaft in die Pflicht nehmen und politisch agieren.

Immer wieder begegnet sie einer Frage: Wenn wir alle im Privaten nachhaltig leben würden, wäre das genug? „Nein. Jede*r von uns kann nur ungefähr die Hälfte des CO2-Fuß­abdrucks durch das persönliche Verhalten steuern, die andere Hälfte ist vom System vorgegeben, in dem wir leben.“ Wie Energie erzeugt wird, wie Häuser gebaut oder Lebens­mittel angebaut werden – solche Grundlagen regeln Politik und Wirtschaft. Dafür müssten gegebene Strukturen verändert werden.

Autofrei leben, viel secondhand kaufen

Die Verantwortung jeder*s Einzelnen ist wichtig und alle können und sollen einen Beitrag leisten. Die Arbeit im Sustainable Finance-Beirat empfindet Silke Stremlau als sehr sinn­stiftend. Dass ihre persönliche Vision nicht nur Arbeit, sondern auch Spaß macht, beweist sie anhand eines Beispieles aus ihrem Privat­leben: „Ich habe kein Auto, kaufe fast alles secondhand. Und ich liebe Kleider­tausch­partys. Es wird nur getauscht, da fließt kein Geld. Geht doch!“ Bei den großen Systemen geht es natürlich schon ums Geld. Stremlaus Mission ist klar mit einer Forderung verknüpft. Sie wird nicht müde, sie zu wiederholen: „Für mehr Nachhaltigkeit brauchen wir die Kraft des Finanz­marktes.“ Die gesamte Infra­struktur müsse auf Resilienz und Zukunfts­fähigkeit getrimmt werden. „Mittlerweile sagen ja auch die Grünen: Natürlich sollte jede*r Einzelne verantwortlich handeln. Aber wir müssen an die großen Systeme ran, wir müssen beides zusammen sehen“, meint die Nach­haltig­keits­expertin.


Mercator Fellowship-Programm

Das Mercator Fellowship-Programm bietet seinen Stipendiat*innen den Freiraum, sich explorativ und ideen­reich einem Forschungs- oder Praxis­­vorhaben zu widmen.

www.stiftung-mercator.de