Fußball, Demokratie und Nachhaltigkeit – Passt das zusammen, Philipp Lahm?
Toooooor – auf solche Schreie vor den Fernsehern des Landes hoffen wir im Juni 2024. Dann startet die EM in Deutschland, ein Sportereignis, welches durch die ganze Gesellschaft hinweg begeistert. Dieses Jahr als Turnierdirektor in der Leitung mit dabei: Philipp Lahm. Der ehemalige Profi-Fußballer ist bekannt dafür, dass er sich für Engagement in Sport, Nachhaltigkeit und Demokratie einsetzt. Wie können all diese Themen im Fußball allgemein und speziell bei der EM zusammengedacht werden? AufRuhr hat nachgehakt.
Herr Lahm, die Europameisterschaft 2024 steht unmittelbar bevor, und Sie übernehmen eine zentrale Rolle als Turnierdirektor. In Interviews haben Sie bereits betont, dass die EM über die reine Fußballfreude hinaus ein „Wir-Gefühl“ schaffen soll und eine „Zeitenwende“ nötig ist. Was genau meinen Sie damit?
Die Zeitenwende ist auch im Sport im Gange. Mit Blick auf die Europameisterschaft 2024 heißt das: In einer Zeit, in der Europa mit verschiedenen Herausforderungen konfrontiert ist, ist es entscheidend, den Zusammenhalt und die Solidarität zu stärken, um ein demokratisches Europa zu erhalten. Die EM 2024 bietet eine einzigartige Gelegenheit, diese Werte zu fördern, um gemeinsam für ein freies und demokratisches Europa einzutreten. Oder einfach gesagt: weniger Ich, mehr Wir.
Nach den Weltmeisterschaften in Russland und Katar findet die EM nun in Deutschland statt: Auf welche Weise kann und sollte ein Fußballturnier zur Demokratie beitragen?
Ein Fußballturnier wie die EM2024 kann auf vielfältige Weise zur Demokratie beitragen. Menschen aus verschiedenen Kulturen kommen zusammen, um gemeinsam ihre Leidenschaft für den Sport zu teilen. Dies fördert Zusammenhalt und Solidarität und zeigt, wie eine vielfältige Gesellschaft harmonisch zusammenleben kann. Es ist einfach wichtig, dass man sich begegnet. Darüber hinaus bieten Sportvereine Möglichkeiten für demokratische Teilhabe und Engagement auf lokaler und nationaler Ebene. Durch die Förderung von Werten wie Fairplay, Inklusion und Teamwork trägt der Fußball dazu bei, das Gemeinwohl zu fördern. Ein Großereignis wie die EM muss darauf einzahlen.
Philipp Lahm
Der ehemalige Fußballprofi ist bekannt durch seine Siege als Kapitän der deutschen Nationalmannschaft. Nach dem Ende seiner aktiven Fußballer-Karriere gründete er 2007 die Philipp Lahm-Stiftung, die benachteiligte Kinder und Jugendliche fördert. Im Jahr 2024 ist er Turnierdirektor der EM in Deutschland.
Im Kontext der drängenden globalen Herausforderung des Klimawandels haben Sie sich außerdem zur Nachhaltigkeit im Rahmen der Europameisterschaft geäußert. Wie passen Großveranstaltungen wie die EM und Nachhaltigkeit zusammen?
Die Europameisterschaft 2024 und Nachhaltigkeit sind miteinander verbunden, wie durch die ESG-Strategie der UEFA für die diesjährige EM – die EURO 2024 – deutlich wird. Ohne geht es heute nicht mehr. Diese Strategie setzt klare Ziele für Umwelt, Soziales und Governance und strebt danach, das Turnier zu einem Vorbild für nachhaltige Sportveranstaltungen zu machen. Durch die Reduzierung der Umweltauswirkungen, Investitionen in Klimaschutzprojekte und die Förderung sozialer Gerechtigkeit soll die EURO 2024 nicht nur ein Fußballfest sein, sondern auch einen Beitrag zur Gesellschaft und Umwelt leisten. Beispielsweise werden Maßnahmen zur Abfallwirtschaft und Investitionen in einen Klimafonds zur Kompensation von Emissionen ergriffen. Die Strategie legt auch Wert auf die Förderung gesunder Lebensweisen, die Bekämpfung von Diskriminierung und die Stärkung der Solidarität durch den Breitensport. Durch transparentes und verantwortungsbewusstes Handeln soll die UEFA EURO 2024 Standards für nachhaltige Großveranstaltungen setzen und als Vorbild für künftige Events dienen.
Nach einer außergewöhnlichen internationalen Karriere und neben Ihrer aktuellen Position als Turnierdirektor engagieren Sie sich auch für Fußballprojekte auf lokaler Ebene, teilweise durch Ihre eigene Stiftungsarbeit. Was hat Sie zu diesem Engagement bewegt?
Fußball hat die Kraft, Menschen zu vereinen, Verständigung zu fördern und Gemeinschaft zu stiften. Dies entfaltet sich vor allem in den Amateurfußballvereinen, die ein sehr wichtiger Begegnungsort sind. Hier habe ich früh gelernt, was auch für die Gesellschaft wichtig ist: der respektvolle Umgang miteinander, Toleranz, Fairplay und das Einhalten von Regeln. Die Erfahrungen in meinem Jugendverein haben mich geprägt und mir meinen weiteren Werdegang erst ermöglicht. Ein Profi sollte nie vergessen, wo seine Karriere begonnen hat.
Ich habe im Verein schon früh gelernt, dass es nie hilft, nach einer Niederlage mit dem Finger auf andere zu zeigen, sondern dass man Krisen nur gemeinsam meistert und dass Zusammenhalt die Voraussetzung dafür ist. Das gilt genauso für unsere Gesellschaft, der es nicht nützt, die Schuld für Krisen bei anderen, etwa bestimmten Menschengruppen, zu suchen. Mich bewegt die Frage, wie wir ein freies, gemeinschaftliches und friedliches Zusammenleben ermöglichen können, auch als Stifter. Der Sport hat eine gesellschaftliche Verantwortung.
Der Sport hat eine gesellschaftliche Verantwortung.
Mit großer Zuversicht betrachte ich, dass Millionen Menschen aus der Mitte unserer Gesellschaft aktuell ein starkes Zeichen für unsere Demokratie und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft setzen. Die Menschen haben ein gutes Gespür dafür, wann es Zeit ist, sich zu engagieren. Ich bin überzeugt, dass auch der Sport einen wichtigen Beitrag für die Stärkung unserer demokratischen Kultur leistet, in dem er diese wichtigen Impulse aus der Mitte unserer Gesellschaft im Alltag verankert und (vor-)lebt.
1,7 Millionen Menschen engagieren sich als Ehrenamtliche oder Freiwillige für den Amateurfußball. Sie bilden die Basis der Fußballorganisation. Was glauben Sie, braucht es, um Menschen für ehrenamtliches Engagement im Sport zu motivieren, und wie können Vereine und Organisationen dieses Engagement fördern und unterstützen?
Ehrenamt und gesellschaftliches Engagement sind das Rückgrat unserer Bürgergesellschaft. Sie sind elementar für das Vereinsleben, für das Gemeinwohl, für das Zusammenleben in unserem Land. Deswegen engagiere ich mich persönlich auch weiterhin in meinem Heimatverein, dem ich viel zu verdanken habe und für den heute mein Sohn kickt.
Ich habe großen Respekt für alle, die sich für ihre Herzensthemen einsetzen, die etwas bewegen wollen. Sie verdienen Anerkennung und Unterstützung. Deswegen habe ich mit Celia Šašić, der ehemaligen Fußballerin und heutigen DFB-Vizepräsidentin für Gleichstellung und Diversität, den Beteiligungsprozess #2024undDu! initiiert. Wir wollten der engagierten Bürgerschaft zuhören und neue Ideen für Gemeinwohl und ehrenamtliches Engagement gewinnen. Über 18.000 Ideen sind eingegangen. Die Themen sind vielfältig: Sie reichen von sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit, kultureller Vielfalt bis zu Inklusion. Mein Projekt „treffpunkt fußball” knüpft an die Ergebnisse des Beteiligungsprozesses an. Wir schaffen ein bundesweites digitales Vereinsnetzwerk, in dem sich Vereine vernetzen, voneinander lernen und Fördermittel für Projekte zu den genannten Ideen erhalten können. Es ist wichtig, dass gesellschaftliches Engagement sichtbar wird. So inspiriert es andere und entfaltet Wirkung.
Welche wichtigen Lektionen haben Sie aus Ihrer Zeit als Profispieler gelernt, die Sie auch außerhalb des Spielfelds anwenden?
Aus meiner Zeit als Profifußballer habe ich zahlreiche wertvolle Lektionen mitgenommen, die sich nicht nur auf das Spielfeld beschränken. Besonders wichtig waren für mich Teamwork und Zusammenarbeit, da ich lernte, mich auf meine Mitspieler zu verlassen und gemeinsame Ziele zu verfolgen. In meinen Führungspositionen habe ich Einblicke in die Teamführung und die Übernahme von Verantwortung gewonnen. Zudem habe ich gelernt, mit Niederlagen und Rückschlägen umzugehen, ohne den Mut zu verlieren. Ich habe stets Fairplay und Respekt sowohl auf als auch neben dem Platz gezeigt. Persönliche Weiterentwicklung und ständige Verbesserung waren für mich ebenso wichtig, um mein volles Potenzial auszuschöpfen und meine Ziele zu erreichen.
Mercator Talk mit Philipp Lahm: Treffpunkt Fußball
Was genau ist die gesellschaftliche Kraft des Fußballs? Dieser Frage widmeten sich Philipp Lahm und Laura Krause, Geschäftsführerin bei More in Common, beim Mercator Talk am 19. März 2024 im ProjektZentrum Berlin. In unseren Mercator Talks sprechen wir mit Expert*innen und hochrangigen Gästen zu den Themen, die uns als Stiftung aktuell bewegen.