Kicken fürs Klima
Der FC Internationale Berlin 1980 ist der erste Amateurverein mit Nachhaltigkeitszertifikat. Wie auch kleine Schritte Entlastung fürs Klima bringen, zeigt ein Besuch im Vereinsheim in Schöneberg.
Paco und Lio sind nach dem Training hungrig. Auf dem Fußballplatz des FC Internationale Berlin 1980 haben sie Torschüsse und Passen geübt. Jetzt stellen sich die Sechsjährigen am Grill für eine Bratwurst an. Auf ihren Trikots prangt groß das Motto des Vereins: No Racism.
Für Anton Klischewski, Oliver Brendle und andere Vereinsmitglieder gab dieser Claim den Anstoß, sich dem Thema Nachhaltigkeit zu widmen. Das Ergebnis: Im April 2021 hat der TÜV Rheinland dem FC Internationale Berlin als erstem Amateurverein Deutschlands bestätigt, die Nachhaltigkeits-Standards des Zentrums für Nachhaltige Unternehmensführung der Universität Witten/Herdecke zu erfüllen. Gut sichtbar hängt die Zertifizierungsurkunde im Schaufenster des Fanshops der Interarena, des Vereinsheims.
Für andere Sportvereine ist der FC Internationale Berlin zum Vorbild geworden. Ein Verein folgte bereits seinem Beispiel: In Köln gibt es mit dem Fußballclub Vorwärts Spoho Köln, der von Studierenden der Sporthochschule Köln gegründet wurde, einen weiteren Amateurverein mit Nachhaltigkeitszertifikat. Das Potenzial für Nachahmer*innen ist riesig, insgesamt sind 23,4 Millionen Menschen bundesweit in etwa 87.000 Sportvereinen organisiert.
„Wir haben uns gefragt, was No Racism nicht nur hier in Berlin-Schöneberg für uns bedeutet, sondern auch in einem größeren Kontext hinsichtlich der globalen Lieferketten“, erzählt Anton Klischewski auf einer Bierbank neben einem Beet, das Vereinsmitglieder im Sommer mit bienenfreundlichen Blumen bepflanzt haben.
Der ehemalige Inter-Spieler hat Sportmanagement studiert und in seiner Masterarbeit die Corporate Social Responsibility, kurz CSR, europäischer Fußballvereine unter die Lupe genommen. Dem etwa zehnköpfigen Nachhaltigkeitsbeirat des FC Internationale Berlin ging es im ersten Schritt vor allem darum, den Fanshop auf fair hergestellte Produkte umzustellen.
Mit fair gefertigten Fußbällen kicken die Hobbysportler*innen schon länger. Auf den Waschzetteln der T-Shirts oder Turnbeutel fanden sich aber noch das übliche „Made in Indonesia“ oder „Made in Bangladesh“. „In diesen Ländern besteht das Risiko, dass soziale und ökologische Standards in der Textilindustrie nicht eingehalten werden“, sagt Anton Klischewski. „So war eine unserer ersten Amtshandlungen, einen Anbieter für fair produzierte Textilien aus Biobaumwolle zu finden.“ Für die neue Kleidung hat der FC Internationale Berlin sogar ein eigenes Nachhaltigkeitslogo entwickelt.
Ideenwettbewerb „Engagiert für Klimaschutz“ vom BBE
Bewerber*innen aufgepasst: Gesucht werden innovative Ideen, wie Organisationen in Kultur, Sport oder im sozialen Bereich eigene Zugänge zum Thema Klimaschutz entwickeln, selbst in ihrem Umfeld aktiv werden und so den politischen und gesellschaftlichen Diskurs bereichern.
Neue Bewerbungen sind bis zum 23. Februar 2023 möglich!
Jetzt bewerben!
Nachhaltigkeit auf allen Ebenen
Aus diesem Projekt wurde bald mehr. In stundenlangen Videokonferenzen entstand ein Nachhaltigkeitsmanagementsystem. Oliver Brendle brachte als Gründungsmitglied des Vereins, Nachhaltigkeitsexperte und Prüfer beim TÜV Rheinland seine Expertise ein. Unter anderem hat er den 1. FC Köln zertifiziert und sich gefragt, ob so etwas nicht auch im Amateursport möglich sei.
1980 gegründet von Mitgliedern der Friedensbewegung, tickte der FC Internationale Berlin schon immer etwas anders als andere Sportclubs. Von Anfang an setzte er sich für soziale Themen ein. Projekte mit Schulen und Geflüchteten gehören zu den Aktivitäten des Vereins, der heute 1300 Mitglieder und 50 Teams zählt. „Ein gutes Miteinander ist uns wichtiger als Leistung“, beschreibt Oliver Brendle den Vereinsspirit. Dennoch ist das Niveau auf dem Schöneberger Kunstrasen des FC Internationale Berlin hoch. Hier haben schon echte Profis ihre Karriere begonnen wie Hertha-Innenverteidiger Linus Gechter.
Auf dem Platz hat inzwischen das Training der C-Mädchen begonnen. Trainerin Nikola teilt die Teams ein. Sie passen sich den Ball zu und wärmen sich für das Trainingsspiel gegen die B-Mannschaft auf, das gleich ansteht. Den Frauenfußball zu fördern, ist ein weiteres Anliegen des Vereins. Acht rein weibliche Teams gibt es. Mit der ersten Cheftrainerin im Amateurfußball schaffte es der FC Internationale Berlin bereits in den 90ern in die Schlagzeilen.
Sebastian Brandstätter ist über seine Tochter zum Verein gekommen und trainiert seit Jahren Mädchenmannschaften. Aus einer Papiertüte sucht er am Spielfeldrand bunte Sportschuhe für eine Spielerin heraus. Die hat eine Mutter mitgebracht, weil ihre Tochter rausgewachsen ist. „Jetzt sind schon fast alle weg“, freut er sich. Denn nachhaltiger als jedes Bioshirt ist es, Sportkleidung möglichst lange zu tragen und nicht ständig neue zu kaufen.
Auf seinem zweiten Nachhaltigkeitsfest im Juni dieses Jahres organisierte der FC Internationale Berlin neben Workshops und Diskussionsrunden auch eine Kleidertauschbörse. Abgelegte Sportklamotten und Schuhe tauschten die Mitglieder untereinander. Ein Team nähte alte Trikots zu Kulturbeuteln und Federtaschen um und reparierte kaputte Kleidung. Dort kam auch Paco zu seinem Shirt. „Ich fand es total spannend, zu sehen, was eigentlich im Hintergrund in Sachen Nachhaltigkeit passiert“, sagt seine Mutter Gitajali Schmelcher. Die Aktionen des Vereins liefern auch Denkanstöße, den eigenen Alltag nachhaltiger zu gestalten.
Mehr als die Kleidung fällt bei der CO2-Bilanz des Vereins die Mobilität ins Gewicht. Mehr Stellplätze für Fahrräder sollen motivieren, nicht mit dem Auto zum Training zu kommen. Zu Auswärtsspielen bilden die Spieler*innen wenn möglich Fahrgemeinschaften oder nehmen den Vereinsbus.
„Über ein Umwelt- und Sozialprojekt in Uganda von myclimate kompensieren wir einen CO2-Ausstoß von fünf Tonnen pro Jahr. Das ist mehr, als wir an den Standorten und mit dem Kleinbus direkt emittieren. Ab 2023 werden wir auch Emissionen erfassen, die nicht direkt von uns beeinflusst werden, also An- und Abreisen, Zuschauer*innen oder die Lieferkette“, sagt Anton Klischewski. Seit Februar hat er eine vom Landessportbund finanzierte halbe Stelle, mit der er sich ausschließlich dem Thema Nachhaltigkeit widmet.
Das ermöglicht ihm, auch größere Projekte anzugehen wie das Programm „INTERACTION – für mehr Klimaschutz im und durch Sport“. Als ein von fünf Pilotprojekten im Bereich Klimaschutz gewann der Verein einen Ideenwettbewerb des Rahmenprogramms „Engagiert für Klimaschutz“ des Bundesnetzwerkes Bürgerschaftliches Engagement. Mit dem Preisgeld stellte der Verein im Juni unter anderem seinen zweiten Nachhaltigkeitstag auf die Beine, mit Workshops und hochkarätig besetzten Podiumsdiskussionen. Auf der größten europäischen Sportmesse, der SPOBIS in Düsseldorf, gewann der Verein den erstmals verliehenen Award für Nachhaltigkeit im Sport – und setzte sich damit sogar gegen den FC St. Pauli durch.
Mehr als gute Vorsätze
Die Idee, das Thema Nachhaltigkeit in den Sport zu tragen, ist den Mitgliedern der AG Nachhaltigkeit eine Herzensangelegenheit. „Man erreicht über den Sport einfach unheimlich viele Leute“, sagt Oliver Brendle. „Sie nehmen hoffentlich auch die ein oder andere Anregung mit nach Hause.“
Das Zertifikat wird nur für drei Jahre vergeben. Die jährlichen Kontrollen führen seiner Erfahrung nach dazu, dass Unternehmen oder Organisationen am Ball bleiben. „Sonst versanden die guten Vorsätze schnell, und es kommt immer etwas Wichtigeres dazwischen“, sagt er.
Doch nicht bei allen stoßen die Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit auf Gegenliebe. Da ist zum Beispiel das Bratwurst-Dilemma. Eine Mitgliederumfrage hat ein Interesse an veganen und vegetarischen Alternativen gezeigt. Am liebsten würden die Mitglieder der AG Nachhaltigkeit komplett auf Biofleisch umstellen. Das ist aber nicht halal, also nach islamischem Ritus geschlachtet, was dem inklusiven Gedanken des Vereins mit vielen türkisch- und arabischstämmigen Mitgliedern widerspricht.
Immerhin: Bei den Feriencamps gibt es kaum noch Fleisch. Das Ziel ist, dort 80 Prozent Biolebensmittel und ansonsten regionales Essen anzubieten. Die höheren Kosten möchte der FC Internationale Berlin künftig durch einen neu gegründeten Nachhaltigkeitsfonds abfedern, der durch Spenden gefördert werden soll. Auch auf Einweggeschirr verzichtet der Verein: Die Apfelschorle nach dem Training trinken Spieler*innen aus Pfandflaschen. Für eine korrekte Mülltrennung sind die Tonnen am Spielfeldrand und in den Umkleiden übersichtlich beschriftet.
„Eine gute Kommunikation geht langsam und Schritt für Schritt. Die Mitglieder sollen nicht das Gefühl haben, dass ihnen etwas genommen wird“, sagt Anton Klischewski. Oliver Brendle ergänzt: „Nachhaltigkeit muss Spaß machen, sonst stößt sie auf Ablehnung.“
In Zukunft wird der FC Internationale Berlin möglicherweise auf dem ersten Platz Berlins mit Korkbelag kicken. Kork ist ein natürliches Material, bei dem der Abrieb von Mikroplastik entfällt. Noch muss er allerdings den Praxistest bestehen.
BBE Engagiert für Klimaschutz
In Sport- und Kulturvereinen oder Katastrophenschutz- und Wohlfahrtsverbänden dreht sich das Engagement längst auch um den Klimaschutz. Das haben die Veranstaltungen von „Engagiert für Klimaschutz“ des Bundesnetzwerkes Bürgerschaftliches Engagement gezeigt. Besonders spannende Projekte wie der Verein FC Internationale Berlin wurden schon gefördert. Neue Bewerbungen sind bis zum 23. Februar 2023 möglich!