Was der Fußball gegen Rassismus tun kann

Was der Fußball gegen Rassismus tun kann
Autor: Matthias Klein 05.02.2021

Im Stadion von der Tribüne oder in sozialen Medien: Fußballprofis sind immer wieder mit rassistischen Beleidigungen konfrontiert. „Ich hatte damals das Gefühl, alleine zu stehen“, erzählt der frühere Nationalspieler Gerald Asamoah im Interview. Was sich zum Positiven geändert hat – und was jeder einzelne Fan tun sollte.

Ob in der Champions League oder in der Kreisklasse: Im Fußball gibt es immer wieder rassistische Vorfälle. Wie groß ist das Problem, Herr Asamoah?

Gerald Asamoah: Sehr groß. Wir sitzen im Jahr 2021 hier und reden darüber, also haben wir ein sehr großes Problem. Ich habe mir sehr gewünscht, dass es im Laufe der Jahre kleiner wird. Aber es ist leider das Gegenteil passiert.

© Privat

Gerald Asamoah

Gerald Asamoah ist Manager der U23-Mannschaft des FC Schalke 04. Als Spieler absolvierte er 323 Bundesligaspiele. Zwischen 2001 und 2006 lief er 43 Mal für die deutsche Nationalmannschaft auf.

In den sozialen Medien können Menschen unerkannt ihre Meinung äußern. Das hat es schlimmer gemacht. Auch im Fußballstadion fühlen sich viele Menschen frei, aus der Menge heraus irgendwelche Sachen von sich zu geben. Sie sagen Dinge, die sie sonst wohl nicht sagen würden. Das ist brutal. Deshalb ist Zivilcourage so wichtig. Menschen müssen sich trauen zu sagen: Das hat hier keinen Platz.

Das Problem ist größer geworden, sagen Sie. Erleben Sie das auch außerhalb des Fußballs?

Asamoah: Ja. Bei mir ist es so: Wenn die Menschen nicht wissen, dass ich der Fußballer Asamoah bin, merke ich ihre Blicke. Geh mal als Schwarzer in einen Luxusmode-Laden, da steht sofort Security-Personal um dich herum. Oder du fährst ein großes Auto. Da wirst du schräg angeschaut: Wie kann der Schwarze ein so großes Auto fahren? Das ist Alltagsrassismus. Es tut weh zu erleben, dass sich das einfach kaum ändert.

Sie sagen, die Leute reagieren so, wenn sie Sie nicht erkennen. Schützt Ihre Bekanntheit?

Asamoah: Ja, sehr. Aber ich möchte nicht nur für mich selbst sprechen. Ich will nicht, dass meine Kinder das durchleben, was ich einmal durchleben musste. Dass Menschen mich erkennen, ist schön. Aber ich will nicht nur akzeptiert werden, weil ich bekannt bin. Ich will, dass es egal ist, wo jemand herkommt, welches Geschlecht man hat oder welchem Glauben man angehört.

Digitaler Mercator Salon mit Gerald Asamoah

18. Feb. 2021, 17:00 Uhr

Was kann der Fußball gegen Rassismus tun?

Ausgrenzung und Hass: Auch im Fußball kommt es immer wieder zu rassistischen Vorfällen. Gerald Asamoah kennt das aus eigenem Erleben. Wir möchten seine Perspektive kennenlernen: Was hat er erlebt, als Kind, als Profi, als Nationalspieler? Was kann der Sport aus seiner Sicht bewirken? Mehr Informationen finden Sie hier.

Sie waren 12 Jahre alt, als Sie aus Ghana nach Deutschland gekommen sind. Was haben Sie hierzulande erlebt?

Asamoah: Meine Vorfreude auf Deutschland war enorm. Ich bin in Ghana in einem Dorf bei meiner Oma aufgewachsen, wir hatten wenig. Meine Eltern waren schon in Deutschland. Ich habe mich sehr darauf gefreut, sie endlich richtig kennenzulernen. Natürlich hatte ich ein Bild von Deutschland vor Augen – und da waren keine Vorurteile gegen Schwarze. Wenn zu uns in Ghana Weiße kamen, dann haben wir zur Begrüßung gesungen. Wir waren sehr froh, sie zu treffen. Das N-Wort kannte ich nicht einmal. Ich habe es zum ersten Mal in Deutschland auf dem Schulhof gehört. Dort wurde mir erklärt, was es heißt. Ich habe mich gewehrt, ich habe dagegengehalten, auch körperlich – das musste sein. Ich habe gemerkt: Ich bin anders. Ich gehöre nicht dazu. Ich werde nicht gesehen wie die anderen. Das hat mich enorm wütend gemacht.

Sie mussten sich wehren, sagen Sie. Was hat Ihnen geholfen? Sie haben ja schon immer gerne Fußball gespielt, welche Rolle spielte der Sport?

Asamoah: Es geht um Akzeptanz. Sie haben auf dem Schulhof Fußball gespielt. Irgendwann durfte ich mal mitspielen. Sie haben gemerkt: Oh, der kann was am Ball. Sie haben mich akzeptiert, weil sie gesehen haben, dass ich was kann. Vorher wurde ich auf meine Hautfarbe reduziert. Ich will nicht alles schlecht reden. Ich hatte Glück. Ich kam in eine Klasse, in der die Mitschüler sehr nett waren. Aber auf dem Schulhof waren einige Idioten.

Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft beim WM-Qualifikationsspiel 2001 gegen die Ukraine mit Gerald Asamoah (links unten). © Getty Images

Sie wurden Profi. Später entschieden Sie sich, für die deutsche Nationalmannschaft aufzulaufen. Hat sich durch den deutschen Pass etwas geändert?

Asamoah: Mir war nicht bewusst, dass sich dadurch etwas ändern könnte. Es war eine Bauchentscheidung. Ich habe mich wohl gefühlt in diesem Land. Die Menschen, die mir wichtig waren, haben mich so angenommen wie ich bin. Hinterher sind Schwarze zu mir gekommen, haben sich bedankt und gesagt, dass sie nun an ihrem Arbeitsplatz anders gesehen werden. Es ist bitter, dass es dafür einen deutschen Nationalspieler braucht.

Sie sind auf dem Fußballplatz immer wieder rassistisch beleidigt worden. Wie kann man darauf reagieren? Kevin-Prince Boateng hat 2013 mit seinen Mitspielern vom AC Mailand den Platz verlassen. Darauf gab es viele Reaktionen.

Asamoah: Es gibt kein Rezept dafür. Das muss jeder für sich entscheiden, wenn er es erlebt. Ich würde niemals jemanden für seine Reaktion verurteilen. Ich habe damals gesagt: Ich spiele weiter, weil ich meinen Sport liebe – und jetzt werde ich erst recht zeigen, wie gut ich bin. Ich habe gerade dann sehr gut gespielt. Kevin hat sich anders entschieden. Was ich sehr gut fand: Seine Mitspieler sind auch gegangen, das Spiel war vorbei. Zu meiner Zeit wäre das anders gewesen. Ich wäre nur ausgewechselt worden.

Jetzt trauen sich Menschen, den Mund aufzumachen. Endlich reden auch Fußballprofis öffentlich über Rassismus.

Das heißt Ihre Mitspieler, Trainer und Umfeld haben Sie damals nicht so unterstützt?

Asamoah: Ich hatte damals das Gefühl, alleine zu stehen. Wir haben zwar darüber gesprochen. Aber ich habe nicht eine solche Unterstützung wie heute bekommen. Als ich 2006 nach der WM in Deutschland, dem Sommermärchen, beleidigt wurde, hätte ich erwartet, dass sich alle hinter mich stellen. Das war nicht der Fall. Jetzt trauen sich Menschen, den Mund aufzumachen. Endlich reden auch Fußballprofis öffentlich über Rassismus.

Sie haben vorhin Zivilcourage angesprochen. Was können die Fans im Stadion tun?

Asamoah: Es gab vergangenes Jahr in Münster ein tolles Beispiel. Dort wurde bei einem Spiel gegen Würzburg der gegnerische Spieler Leroy Kwadwo beleidigt. Die Zuschauer auf der Tribüne haben auf den Mann gezeigt, die Polizei konnte ihn festnehmen. Das ist es. Wenn wir das hinbekommen, erreichen wir sehr viel. Früher haben die anderen mitgemacht.

Der Fußball hat eine große Breitenwirkung. Was kann der Sport gegen Rassismus tun?

Asamoah: Der Fußball tut sehr viel. Es ist egal, wo du herkommst, wie du aussiehst, wen du liebst: Wirf einen Ball in die Mitte und alle fangen an zu spielen. Schau in eine Kabine: Da sitzt ein Afrikaner, ein Brasilianer, ein Amerikaner, ein Deutscher. Sie haben ein Ziel, sie wollen erfolgreich sein. Auf dem Platz musst du zusammenspielen. Deshalb sage ich: Der Fußball ist ein Vorbild.