Isabel Sutton oder das Fenster zur Welt
Von Homeoffice bis Homeschooling musste sich in der Pandemie vieles nach Hause verlagern. Aber ein Home-Austauschprogramm für Journalist*innen? Isabel Sutton war die erste Stipendiatin beim Klimajournalismus-Netzwerk Clean Energy Wire (CLEW), die ausschließlich virtuell mitarbeitete.
Ein langsamer Einstieg ist nicht Isabel Suttons Art: Im Januar 2021 startete die Londoner Fernseh- und Radiokulturjournalistin ihren – pandemiebedingt rein digitalen – Journalist*innenaustausch bei Clean Energy Wire. Das erste Thema, das sie bearbeitete und für das sie sich freiwillig meldete, hieß Bürgerenergiegenossenschaften in Deutschland. „Das klang spannend! Ich musste mich in komplizierte technische, finanzielle und politische Fragen einarbeiten. Das war sehr herausfordernd“, sagt sie rückblickend.
Die Mischung aus Neugierde, Offenheit und Selbstvertrauen wurde zum Markenzeichen ihrer Zeit als erstem digitalen Fellow bei CLEW. Geschäftsführer Sven Egenter beschreibt die Journalistin als „Musterbeispiel für die positiven Dinge, die in einem rein digitalen Programm passieren können“. Milou Dirkx, die das weltweite Journalist*innennetzwerk von CLEW betreut, pflichtet ihm bei: „Isabel denkt weiter und nimmt ungewöhnliche Perspektiven ein. In einer kleinen, dynamischen Organisation wie der unseren ist Platz für solche Menschen.“
Von Kunstgeschichte zum Klimawandel
Als Isabel Sutton sich für das Austauschprogramm der International Journalists’ Programmes (IJP) bewarb, lag ihr Fokus noch nicht auf Klima und Energie. Sie berichtete über Kultur und Kunstgeschichte, eine richtige Leidenschaft für diese Themen entwickelte sie aber nie. Als der Lockdown das Aufnehmen von TV- und Radiodokus unmöglich machte, suchte sie nach neuen Arbeitsmöglichkeiten und stieß auf das IJP-Stipendium. Ihrer Bewerbung legte sie einen Kurzfilm über Tangier Island bei, eine langsam versinkende Insel vor der US-Ostküste, deren Bewohner*innen an Trump und Gott, aber weniger an den Klimawandel glauben. Darin zeichnete sie ein feinfühliges Bild dieser Menschen, das beim Betrachten Verwunderung und Sympathie gleichermaßen auslöste.
Die Verantwortlichen der IJP schlugen ihr daraufhin ein Stipendium bei CLEW vor. Sven Egenter und sein Team boten an, das Programm digital durchzuführen oder es zu verschieben. Isabel Sutton entschied sich für die digitale Variante. Schnell fühlte sie sich als Teil des Teams, beteiligte sich rege an den wöchentlichen Newsroom-Meetings, äußerte Ideen und stellte Fragen. Dass sie bis zu dem Zeitpunkt überwiegend TV- und Radiojournalismus gemacht hatte und CLEW Informationen in geschriebener Form publiziert, spornte sie an. „Eine News-Story zu schreiben ist eine komplett andere Aufgabe, als eine TV- oder Radiodoku zu machen. Mir war bewusst, dass ich das erst lernen muss. Bei CLEW arbeiten erfahrene Journalist*innen. Sie haben meine Artikel editiert, mir beigebracht, wie man Texte strukturiert“, sagt die Britin.
Das lief derart gut, dass sie bereits im zweiten Monat ihres Stipendiums der britischen Tageszeitung „The Guardian“ eine Story anbot, die man dort prompt annahm und veröffentlichte. „Im Newsroom-Meeting sprach jemand über die Erfolge der Klimaliste bei Kommunalwahlen, und ich hatte sofort das Gefühl, dass das in einer britischen Tageszeitung stehen könnte“, erzählt Sutton. Sven Egenter war verblüfft: „Bei dieser ‚Guardian‘-Geschichte dachte ich nur: Wow, das ging zackig. Das war beeindruckend.“
Offenheit als Schlüssel zum Erfolg
Weder die Tatsache, dass sie sich bis dahin nur wenig mit Klima- und Energiethemen beschäftigt hatte, noch die fehlende Erfahrung mit dem Schreiben von Artikeln standen Isabel Sutton dabei im Weg. Sie sah die Möglichkeiten, nicht die Hindernisse. Und diese Grundeinstellung zieht sich durch ihr Leben. Bei der Frage, was sie aufgrund des Online-only-Formats des Stipendiums vielleicht nicht erleben und erlernen konnte, findet sie heute Aspekte, gerät aber nicht ins Jammern: „Wäre ich vor Ort gewesen, hätte ich vielleicht die deutsche Perspektive und die alltägliche journalistische Arbeit des CLEW-Newsrooms besser mitbekommen. Das Fellowship hätte vermutlich mehr Dimensionen gehabt – zumindest eine dritte Dimension“, nimmt sie es mit Humor.
Sie betont immer wieder die gelebte Offenheit bei CLEW: „Ich fühlte mich nie wie eine außenstehende Beobachterin, ich war sofort ein Teil dieses Teams.“ Das bestätigt auch Milou Dirkx: „Isabel kam rein, machte mit, stellte Fragen. Sie hat immer wieder ausgelotet, wo sie etwas beitragen kann.“ Eigentlich war Isabel Suttons Zeit als Fellow auf zwei Monate angelegt. Weil es in beide Richtungen so gut harmonierte, wurden daraus sechs.
Klimajournalismus, der über Grenzen geht
In den wöchentlichen Meetings – eines für alle Newsroom-Journalist*innen und eines für alle Teammitglieder – erhielt sie viel Einblick in die Projekte, an denen ihre Kolleg*innen arbeiteten. Der Austausch ermöglichte ihr, schnell herauszufinden, an wen sie sich bei welchen Fragen wenden konnte. Inhaltlich erweiterte sie Themen, die bei CLEW schon in Bearbeitung waren, um eine internationale Perspektive. Auf ihren Vorschlag hin wurde die Artikelserie über die deutsche Klimabewegung um ähnliche Protestgruppen in anderen EU-Ländern erweitert. Sie selbst übernahm die britische Perspektive, eine Stipendiatin aus Warschau die polnische, eine spanische Journalistin aus dem Netzwerk berichtete aus ihrem Heimatland.
Entstanden ist dadurch ein Paradebeispiel für grenzüberschreitenden Klimajournalismus, ein Kernthema von CLEW. Sven Egenter erklärt, warum die internationale Zusammenarbeit bei der Klimaberichterstattung zentral ist: „Wir müssen klarmachen, dass das, was wir in Deutschland tun, Auswirkungen auf andere Länder hat – und umgekehrt. Dafür braucht es Journalismus, der grenzüberschreitend denkt.“ IJP-Fellows wie Isabel Sutton bringen internationale Perspektiven bei CLEW ein und sollen Multiplikator*innen dieses grenzüberschreitenden, kollaborativen Ansatzes werden.
Nach dem Ende ihres IJP-Stipendiums bei CLEW im Juni 2021 blieb Isabel Sutton Teil des Netzwerks. Mit Milou Dirkx arbeitet sie derzeit an einer Workshop-Reihe, die Journalist*innen befähigen soll, besser über Klimaklagen zu berichten. Dem vorangegangen sind zwei längere Artikel über Klimaprozesse, die wiederum die globalen Zusammenhänge des Themas zeigen: Da klagt etwa ein peruanischer Bergführer gegen den deutschen Energiekonzern RWE, weil er die Gletscherschmelze in seiner Heimat mit der Unternehmenstätigkeit in Verbindung bringt. Ohne Zweifel lässt sich so eine Geschichte besser erzählen, wenn peruanische und deutsche Journalist*innen kooperieren.
Eine Gemeinsamkeit, die zusammenschweißt
Die Zusammenarbeit mit Isabel Sutton funktioniert – über das Ende des Stipendiums hinaus. Aber wie gelingt es, den Menschen hinter dem Journalisten, der Journalistin digital kennenzulernen? Durch eine Gemeinsamkeit, die zusammenschweißt: der Lockdown. Isabel Sutton erläutert: „Die gemeinsame Pandemieerfahrung hat uns einander nähergebracht, man konnte die Situation der anderen sofort nachfühlen. Ich habe zu dieser Zeit in einer sehr kleinen Wohnung gelebt und kaum Menschen gesehen. Der regelmäßige Kontakt mit den freundlichen und interessierten CLEW-Kolleg*innen war sehr inspirierend und wohltuend.“ Ein Gefühl, das auch Sven Egenter beschreibt: „Isabel war unser Fenster zur Welt, und wir waren ihres.“
Dieses Fenster öffnete Isabel auch bei gelegentlichen virtuellen Treffen abseits der Arbeit, die CLEW zur Auflockerung der Stimmung in der Pandemie veranstaltete. Dabei kam ihr britischer Humor zum Vorschein, erzählt Dirkx: „Einmal sollten alle ein Bild ihres Lieblingsorts in ihrer Wohnung zeigen. Die meisten präsentierten ihren Balkon oder ihre Couch. Isabel schickte ein Foto eines an der Wand montierten Flaschenöffners.“
Enthusiastisch, aber nie streberhaft, interessiert, aber nie aufdringlich, witzig, aber nie übertrieben: Bei den meisten Fragen in unserem Interview nimmt Isabel Sutton sich viel Zeit, um über die Antwort nachzudenken. Auf die Frage, wie der Austausch ihre Arbeitsweise als Journalistin heute prägt, reagiert sie ungewöhnlich schnell: „Ich habe bei CLEW einen thematischen Fokus gefunden, dafür bin ich wirklich sehr dankbar. Nicht nur, weil es ein Thema ist, das mir am Herzen liegt, sondern auch, weil es mich zufriedenstellt, mein Wissen in einem Bereich stetig zu erweitern.“
CLEAN ENERGY WIRE (CLEW)
Clean Energy Wire produziert und unterstützt qualitativ hochwertigen Journalismus über Energiewende und Klimawandel. Das Newsroom-Team erstellt einen täglichen Newsletter mit Nachrichten und Analysen zur deutschen Klima- und Energiepolitik. Die Organisation fördert grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Journalist*innen und vermittelt Expert*innen. Über 280 Journalist*innen aus 76 Ländern sind Teil des CLEW-Netzwerks. Seit 2015 arbeitet CLEW mit den International Journalists’ Programmes (IJP) zusammen und nimmt regelmäßig Stipendiat*innen aus dem Ausland im eigenen Newsroom auf.
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