Isabel Sutton oder das Fenster zur Welt

Isabel Sutton
Isabel Sutton oder das Fenster zur Welt
Autorin: Julia Fröhleke Fotos: Eamonn McCormack 12.04.2022

Von Homeoffice bis Homeschooling musste sich in der Pandemie vieles nach Hause verlagern. Aber ein Home-Austausch­programm für Journalist*innen? Isabel Sutton war die erste Stipendiatin beim Klima­journalismus-Netzwerk Clean Energy Wire (CLEW), die ausschließlich virtuell mitarbeitete.

Ein langsamer Einstieg ist nicht Isabel Suttons Art: Im Januar 2021 startete die Londoner Fernseh- und Radio­kultur­journalistin ihren – pandemie­bedingt rein digitalen – Journalist*innen­aus­tausch bei Clean Energy Wire. Das erste Thema, das sie bearbeitete und für das sie sich freiwillig meldete, hieß Bürger­energie­genossenschaften in Deutschland. „Das klang spannend! Ich musste mich in komplizierte technische, finanzielle und politische Fragen einarbeiten. Das war sehr heraus­fordernd“, sagt sie rück­blickend.

Die Mischung aus Neugierde, Offenheit und Selbst­vertrauen wurde zum Marken­zeichen ihrer Zeit als erstem digitalen Fellow bei CLEW. Geschäfts­führer Sven Egenter beschreibt die Journalistin als „Muster­beispiel für die positiven Dinge, die in einem rein digitalen Programm passieren können“. Milou Dirkx, die das weltweite Journalist*innen­netz­werk von CLEW betreut, pflichtet ihm bei: „Isabel denkt weiter und nimmt ungewöhnliche Perspektiven ein. In einer kleinen, dynamischen Organisation wie der unseren ist Platz für solche Menschen.“

Isabel Sutton läuft auf einer Straße
Neugierig, offen und selbstsicher: das Markenzeichen von Isabel Suttons Zeit bei CLEW © Eamonn McCormack

Von Kunst­geschichte zum Klimawandel

Als Isabel Sutton sich für das Austausch­programm der International Journalists’ Programmes (IJP) bewarb, lag ihr Fokus noch nicht auf Klima und Energie. Sie berichtete über Kultur und Kunst­geschichte, eine richtige Leidenschaft für diese Themen entwickelte sie aber nie. Als der Lockdown das Aufnehmen von TV- und Radiodokus unmöglich machte, suchte sie nach neuen Arbeits­möglichkeiten und stieß auf das IJP-Stipendium. Ihrer Bewerbung legte sie einen Kurzfilm über Tangier Island bei, eine langsam versinkende Insel vor der US-Ostküste, deren Bewohner*innen an Trump und Gott, aber weniger an den Klimawandel glauben. Darin zeichnete sie ein feinfühliges Bild dieser Menschen, das beim Betrachten Verwunderung und Sympathie gleichermaßen auslöste.

Die Verantwortlichen der IJP schlugen ihr daraufhin ein Stipendium bei CLEW vor. Sven Egenter und sein Team boten an, das Programm digital durch­zu­führen oder es zu verschieben. Isabel Sutton entschied sich für die digitale Variante. Schnell fühlte sie sich als Teil des Teams, beteiligte sich rege an den wöchentlichen Newsroom-Meetings, äußerte Ideen und stellte Fragen. Dass sie bis zu dem Zeitpunkt überwiegend TV- und Radio­journalismus gemacht hatte und CLEW Informationen in geschriebener Form publiziert, spornte sie an. „Eine News-Story zu schreiben ist eine komplett andere Aufgabe, als eine TV- oder Radiodoku zu machen. Mir war bewusst, dass ich das erst lernen muss. Bei CLEW arbeiten erfahrene Journalist*innen. Sie haben meine Artikel editiert, mir beigebracht, wie man Texte strukturiert“, sagt die Britin.

Das lief derart gut, dass sie bereits im zweiten Monat ihres Stipendiums der britischen Tages­zeitung „The Guardian“ eine Story anbot, die man dort prompt annahm und veröffentlichte. „Im Newsroom-Meeting sprach jemand über die Erfolge der Klima­liste bei Kommunalwahlen, und ich hatte sofort das Gefühl, dass das in einer britischen Tages­zeitung stehen könnte“, erzählt Sutton. Sven Egenter war verblüfft: „Bei dieser ‚Guardian‘-Geschichte dachte ich nur: Wow, das ging zackig. Das war beeindruckend.“

Isabel Sutton arbeitet am Computer
Im Fellowship erweitert die TV- und Radiojournalistin ihre Kompetenzen und schreibt Texte, die sogar der Guardian veröffentlicht © Eamonn McCormack

Offenheit als Schlüssel zum Erfolg

Weder die Tatsache, dass sie sich bis dahin nur wenig mit Klima- und Energie­themen beschäftigt hatte, noch die fehlende Erfahrung mit dem Schreiben von Artikeln standen Isabel Sutton dabei im Weg. Sie sah die Möglichkeiten, nicht die Hindernisse. Und diese Grund­einstellung zieht sich durch ihr Leben. Bei der Frage, was sie aufgrund des Online-only-Formats des Stipendiums vielleicht nicht erleben und erlernen konnte, findet sie heute Aspekte, gerät aber nicht ins Jammern: „Wäre ich vor Ort gewesen, hätte ich vielleicht die deutsche Perspektive und die alltägliche journalistische Arbeit des CLEW-Newsrooms besser mitbekommen. Das Fellowship hätte vermutlich mehr Dimensionen gehabt – zumindest eine dritte Dimension“, nimmt sie es mit Humor.

Sie betont immer wieder die gelebte Offenheit bei CLEW: „Ich fühlte mich nie wie eine außen­stehende Beobachterin, ich war sofort ein Teil dieses Teams.“ Das bestätigt auch Milou Dirkx: „Isabel kam rein, machte mit, stellte Fragen. Sie hat immer wieder ausgelotet, wo sie etwas beitragen kann.“ Eigentlich war Isabel Suttons Zeit als Fellow auf zwei Monate angelegt. Weil es in beide Richtungen so gut harmonierte, wurden daraus sechs.

So fern und doch so nah: Die gemeinsame Erfahrung der Pandemie hat Isabel geholfen, ... © Eamonn McCormack
© Eamonn McCormack
... sich trotz der Distanz zwischen London und Berlin schnell ins Team zu integrieren. © Eamonn McCormack

Klimajournalismus, der über Grenzen geht

In den wöchentlichen Meetings – eines für alle Newsroom-Journalist*innen und eines für alle Team­mitglieder – erhielt sie viel Einblick in die Projekte, an denen ihre Kolleg*innen arbeiteten. Der Austausch ermöglichte ihr, schnell heraus­zu­finden, an wen sie sich bei welchen Fragen wenden konnte. Inhaltlich erweiterte sie Themen, die bei CLEW schon in Bearbeitung waren, um eine inter­nationale Perspektive. Auf ihren Vorschlag hin wurde die Artikelserie über die deutsche Klima­bewegung um ähnliche Protest­gruppen in anderen EU-Ländern erweitert. Sie selbst übernahm die britische Perspektive, eine Stipendiatin aus Warschau die polnische, eine spanische Journalistin aus dem Netzwerk berichtete aus ihrem Heimatland.

Sven Egenter
Als Chef­redakteur und Geschäfts­führer leitet Sven Egenter CLEW © CLEW
Milou Dirkx
Milou Dirkx betreut das welt­weite CLEW-Journalist*innen­netz­werk © CLEW

Entstanden ist dadurch ein Paradebeispiel für grenz­über­schreitenden Klima­journalismus, ein Kern­thema von CLEW. Sven Egenter erklärt, warum die inter­nationale Zusammen­arbeit bei der Klima­bericht­erstattung zentral ist: „Wir müssen klarmachen, dass das, was wir in Deutschland tun, Auswirkungen auf andere Länder hat – und umgekehrt. Dafür braucht es Journalismus, der grenz­über­schreitend denkt.“ IJP-Fellows wie Isabel Sutton bringen inter­nationale Perspektiven bei CLEW ein und sollen Multi­plikator*innen dieses grenz­über­schreitenden, kollaborativen Ansatzes werden.

Nach dem Ende ihres IJP-Stipendiums bei CLEW im Juni 2021 blieb Isabel Sutton Teil des Netzwerks. Mit Milou Dirkx arbeitet sie derzeit an einer Workshop-Reihe, die Journalist*innen befähigen soll, besser über Klima­klagen zu berichten. Dem vorangegangen sind zwei längere Artikel über Klima­prozesse, die wiederum die globalen Zusammen­hänge des Themas zeigen: Da klagt etwa ein peruanischer Berg­führer gegen den deutschen Energie­konzern RWE, weil er die Gletscher­schmelze in seiner Heimat mit der Unternehmens­tätigkeit in Verbindung bringt. Ohne Zweifel lässt sich so eine Geschichte besser erzählen, wenn peruanische und deutsche Journalist*innen kooperieren.

Eine Gemeinsamkeit, die zusammen­schweißt

Die Zusammenarbeit mit Isabel Sutton funktioniert – über das Ende des Stipendiums hinaus. Aber wie gelingt es, den Menschen hinter dem Journalisten, der Journalistin digital kennen­zu­lernen? Durch eine Gemeinsamkeit, die zusammen­schweißt: der Lockdown. Isabel Sutton erläutert: „Die gemeinsame Pandemie­erfahrung hat uns einander näher­gebracht, man konnte die Situation der anderen sofort nach­fühlen. Ich habe zu dieser Zeit in einer sehr kleinen Wohnung gelebt und kaum Menschen gesehen. Der regelmäßige Kontakt mit den freundlichen und interessierten CLEW-Kolleg*innen war sehr inspirierend und wohltuend.“ Ein Gefühl, das auch Sven Egenter beschreibt: „Isabel war unser Fenster zur Welt, und wir waren ihres.“

Dieses Fenster öffnete Isabel auch bei gelegentlichen virtuellen Treffen abseits der Arbeit, die CLEW zur Auflockerung der Stimmung in der Pandemie veranstaltete. Dabei kam ihr britischer Humor zum Vorschein, erzählt Dirkx: „Einmal sollten alle ein Bild ihres Lieblings­orts in ihrer Wohnung zeigen. Die meisten präsentierten ihren Balkon oder ihre Couch. Isabel schickte ein Foto eines an der Wand montierten Flaschen­öffners.“

Enthusiastisch, aber nie streberhaft, interessiert, aber nie aufdringlich, witzig, aber nie übertrieben: Bei den meisten Fragen in unserem Interview nimmt Isabel Sutton sich viel Zeit, um über die Antwort nach­zu­denken. Auf die Frage, wie der Austausch ihre Arbeits­weise als Journalistin heute prägt, reagiert sie ungewöhnlich schnell: „Ich habe bei CLEW einen thematischen Fokus gefunden, dafür bin ich wirklich sehr dankbar. Nicht nur, weil es ein Thema ist, das mir am Herzen liegt, sondern auch, weil es mich zufriedenstellt, mein Wissen in einem Bereich stetig zu erweitern.“

CLEAN ENERGY WIRE (CLEW)

Clean Energy Wire produziert und unter­stützt qualitativ hoch­wertigen Journalismus über Energie­wende und Klima­wandel. Das Newsroom-Team erstellt einen täglichen News­letter mit Nachrichten und Analysen zur deutschen Klima- und Energie­politik. Die Organisation fördert grenz­über­schreitende Zusammen­arbeit zwischen Journalist*innen und vermittelt Expert*innen. Über 280 Journalist*innen aus 76 Ländern sind Teil des CLEW-Netzwerks. Seit 2015 arbeitet CLEW mit den Inter­national Journalists’ Programmes (IJP) zusammen und nimmt regel­mäßig Stipendiat*innen aus dem Ausland im eigenen Newsroom auf.
cleanenergywire.org