Ein Girokonto gegen den Klimawandel

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Ein Girokonto gegen den Klimawandel
Autor: Julien Wilkens 22.06.2021

Über Geld lässt sich vieles steuern – auch der Klimaschutz. Um die Klimakrise einzudämmen, müssten die Finanz­märkte Milliarden in nach­haltige Unternehmen und Produkte stecken. Anfang Mai hat die Bundes­regierung eine umfassende Strategie für „nachhaltige Finanzierung“ beschlossen. Das Ziel: Finanz­märkte so zu lenken, dass sie eine nach­haltige Wirtschafts­ordnung unter­stützen. Für Privat­anleger*innen soll es eine Nachhaltig­keits­ampel für Finanz­produkte geben. Die ist auch nötig, da selbst die Wahl des Giro­kontos etwas bewirken kann. Die Hinter­gründe der grünen Kehrt­wende erklärt Christian Klein, Professor für Unternehmens­finanzierung mit Schwerpunkt auf Sustainable Finance an der Universität Kassel.

Herr Klein, Sie lehren und forschen an der Uni Kassel zu Sustainable Finance, also nachhaltiger Finanz­wirtschaft. Können Sie das Prinzip kurz erklären?

Christian Klein: Wenn die Menschheit das Pariser Klima­schutz­abkommen einhalten und so den Klimawandel eindämmen will, dann steht die gesamte Wirtschaft vor einer gewaltigen Transformation. Und die wird Geld kosten. Dafür braucht es das Kapital aus den Finanz­märkten, denn Gelder aus Steuer­mitteln reichen dafür nicht aus. Sustainable Finance hat also die Aufgabe, Geld­ströme so umzuleiten, dass wir eine Welt kreieren, die auch noch für unsere Kinder lebens­wert ist.

Anfang Mai hat die Bundesregierung die erste deutsche Strategie für „nach­haltige Finanzierung“ beschlossen. Das Ziel: Investitionen für Klima­schutz und Nachhaltigkeit zu mobilisieren und Klimarisiken zu identifizieren. Nimmt Deutschland eine Vor­reiter­rolle ein?

Klein: Nicht wirklich, da sind andere Länder schon viel weiter. Aber immerhin versucht die Bundes­regierung, mit großen Schritten nachzuziehen. Auf EU-Ebene ist in den vergangenen zwei Jahren extrem viel passiert. Die EU definiert dabei für unter­schiedlichste Wirtschafts­aktivitäten, welche davon im Einklang mit dem Pariser Abkommen stehen: die sogenannte Taxonomie. Beispiels­weise: Wenn ein Unternehmen eine Tonne Stahl produziert und dabei unter einem bestimmten CO2-Emissions­wert bleibt, ist das taxonomie-konform, also im Einklang mit dem Pariser Klima­schutz­abkommen. Diese EU-Taxonomie ist aus meiner Sicht ein echter Gamechanger. Das Geniale an dieser Idee: Es ist nicht so, dass es entweder nach­haltige und nicht-nach­haltige Unternehmen gibt. Ein Unternehmen besteht aus verschiedenen Aktivitäten, die ganz unter­schiedlich sind. Da können einige keinen Einfluss auf das Klima haben, andere schon. Die Taxonomie ermöglicht es, zu sehen, wie viel Umsatz ein Unternehmen mit nachhaltigen Aktivitäten macht. Was Lobby­verbände aber gerade richtig nervös macht: Da entsteht eine Liste mit Wirtschafts­aktivitäten, die gesamt­gesellschaftlich als positiv oder als negativ angesehen werden.

Christian Klein
© privat

Christian Klein
Prof. Dr. Christian Klein ist Professor Nach­haltige Finanz­wirtschaft an der Universität Kassel und leitet das gleich­namige Fach­gebiet. Mit seinem Team beschäftigt er sich insbesondere mit dem Anlage­verhalten nach­haltiger Investoren, mit Eigenschaften nach­haltiger Geld­anlagen sowie mit den Auswirkungen von Nach­haltigkeit auf den Kapital­markt und den damit verbundenen Rahmen­bedingungen. Klein ist Mitglied im Management Board der Wissen­schafts­platt­form Sustainable Finance.

Frankreich möchte, dass Atomenergie als nachhaltig gelten soll …

Klein: Das hat Deutschland klargemacht: nicht mit uns. Aber Deutschland hält daran fest, dass Erdgas als eine nachhaltige Energie in die Taxonomie aufgenommen wird. Auf die Idee muss man erst mal kommen: Wir sagen, dass der Klima­wandel durch die Verbrennung von fossilen Brenn­stoffen herbei­geführt wird – und geben dem Verbrennen von Gas das Label „nachhaltig“ … Da stecken hand­feste wirtschaftliche Interessen dahinter. Dabei kann man ja Energie aus Gas – oder meinetwegen Atomenergie – als Übergangs­technologie nutzen, ohne sie nach­haltig zu nennen.

Hände halten Weltkugel
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Wie kamen die Länder in Brüssel zu einem Kompromiss?

Klein: Gar nicht. Die Einigung stand vor dem Scheitern, da gab es die politische Lösung, die Entscheidung über die Themen Atom- und Gasenergie zu vertagen. Dasselbe gilt für Bioenergie – dahinter stecken Interessen der nordischen Staaten mit großen Wald­flächen und die Frage, wie grün es sein kann, Holz zu verbrennen. Diese Taxonomie ist genial, weil sie gerade durch­dekliniert wird und beim Klima­wandel anfängt, aber auch weitere ESG-Kriterien („Environment, Social, Governance“, Anm. d. R.) enthält. Dabei ist der Klima­aspekt noch am einfachsten quantifizier­bar, zum Beispiel durch CO2-Ausstoß. Bei Menschen­rechten oder Biodiversität wird das schon heikler.

Schon heute kann man als Kleinanleger*in etliche grüne Finanz­produkte kaufen. Was ändert sich durch die neue Strategie der Bundes­regierung?

Klein: Das Wort „Nachhaltigkeit“ ist nicht geschützt. Alles kann nachhaltig genannt werden, jede*r Anbieter*in definiert das anders. Als ich das erste Mal gehört habe, dass Brüssel versucht, Nach­haltigkeit zu definieren, habe ich lachen müssen. Denn darüber, was nach­haltig ist, streiten Wissen­schaftler*innen seit Jahren. Aber die Kommission hat es geschafft – durch diesen Weg mit der Taxonomie. Das ändert für den Klein­anleger, die Klein­anlegerin auch etwas. Wenn er/sie in naher Zukunft zur*m Bank­berater*in geht, wird diese*r verpflichtet sein, zu fragen, wie Anleger*innen es mit der Nachhaltigkeit halten, und muss über Themen wie eben die Taxonomie reden. Das wird spannend.

Das klingt alles andere als einfach – anders als die Nach­haltigkeits­ampel für Finanz­produkte, die die Bundes­regierung mit Nachdruck verfolgt.

Klein: Der Sustainable-Finance-Beirat, dem ich zuarbeiten durfte, hat eine Klassifizierungs­skala mit fünf Stufen vorgeschlagen, von Grün über Gelb und Orange bis Dunkelrot. Ähnlich wie beim Nutri-Score für Lebens­mittel im Supermarkt. So eine Ampel soll für alle Finanz­produkte gelten, also für Fonds, aber auch Versicherungen, Bausparen oder auch das Girokonto.

Was hat denn das gute alte Girokonto mit dem Klima­wandel zu tun?

Klein: Die Idee ist, dass den Verbraucher*innen bewusst wird, dass alles, was sie mit ihrem Geld machen, eine Wirkung erzeugt. Wenn das Geld auf dem Giro­konto ist, dann liegt es da nicht nur rum, sondern die Bank macht etwas damit. Sie investiert es in Kohle, Rüstung und Co. – oder eben nicht. Das kann dann mit der Ampel schnell gezeigt werden. Schon jetzt gibt es solche grünen Banken, doch die Mehrzahl der Verbraucher*innen kennt diese nicht. Die meisten Menschen kommen gar nicht auf die Idee, dass sie mit ihrem Girokonto etwas bewirken können. Spannend wird es, wenn auch die kleinen Geld­institute sich über­legen müssen, ob sie wirklich rote oder gelbe Giro­konten anbieten oder ob sie nicht doch noch nach­haltiger investieren wollen. Wenn alle Banken in der Breite anfangen, ihre Finanzierungen umzuschichten, dann ist die Aufgabe von Sustainable Finance geschafft.

mobiles zahlen
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Trotzdem haben Investor*innen nicht auf ein Finanz­ämpelchen gewartet. Und Warren Buffett, auf den viele Anleger*innen blicken, hat zuletzt mit seiner Investment­gesellschaft Berkshire Hathaway seine Positionen in fossiler Energie ausgebaut …

Klein: An den Kapitalmärkten geht es um die Wette: Werden wir die Ziele des Pariser Abkommens erreichen oder nicht? Und wenn ja, dann geht die Wette nicht auf, weil Ölfirmen darin keine Zukunft haben. Es ist also immer die Wette für oder gegen eine bessere Zukunft. Buffett wettet dagegen.

Und Sie?

Klein: Ich wette dafür! Und was mir Hoffnung macht: In den vergangenen zwei Jahren hat sich der Wind an den Kapital­märkten gedreht. Immer mehr Investor*innen setzen mit ihrem Geld auf eine Paris-konforme Wirtschaft, die nicht auf fossile Energie­träger setzt. Und jeder*m ist frei­gestellt, so oder so zu wetten. Buffett wettet offenbar dagegen. Ich als Wissenschaftler, aber auch als Familien­vater wette dafür. Nach­haltige Finanz­produkte laufen bisher mindestens so gut wie konventionelle. Und wer nach­haltig investiert, wettet ja auf eine nach­haltige Zukunft. Deshalb haben Unternehmen wie der Elektro­auto-Hersteller Tesla solch eine hohe Markt­kapitalisierung erreicht – während andere, zum Beispiel Ölfirmen, an Wert verloren haben. Bei Auto­herstellern schauen Investor*innen ganz genau, wie die Elektro-Strategie aussieht. Deshalb war es schon in der Vergangenheit so, dass Anleger*innen mit einem nachhaltigen Investment gut gefahren sind. Spannend wird es wirklich, wenn jetzt auch die Aspekte wie Menschen­rechte und Biodiversität in den Vorder­grund rücken. Das heißt, dass die Finanz­märkte auf eine bessere Welt wetten, in der Menschen­rechte und Arten­vielfalt wichtig sind. Dann gewinnen wir doppelt: als Anleger*innen – und als Menschheit.

Wie können Kleinanleger*innen schon heute nachhaltig investieren?

Klein: Wir forschen an der Uni Kassel viel zu Kleinanleger*innen, und bemerkens­wert ist, dass in Deutschland ein klares Schwarz-Weiß-Denken vorherrscht. Ein Unternehmen ist erst nach­haltig, wenn es Wind­räder baut, eine Frauen­quote hat und Kinder­gärten in Ländern der Zulieferer­staaten baut. Dabei ist Nach­haltigkeit ein Prozess, ein Dazwischen in Grautönen. Beispiel Thyssenkrupp: Das Unternehmen baut auf der einen Seite U-Boote – also Rüstungs­güter, die bei ESG-Kriterien durchfallen –, arbeitet auf der anderen Seite aber mit Nachdruck an Methoden, um Stahl CO2-neutral herzu­stellen. Dabei muss man wissen: Stahl, Beton und Zement sind die größten CO2-Emittenten in Deutschland. Ich würde mir wünschen, dass Kleinanleger*innen allmählich anfangen, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Sie müssen ja nicht gleich die Welt retten; es reicht, wenn sie etwas mehr darauf achten, nichts Böses zu machen. Und da hilft die Ampel zur ersten Einordnung ungemein.

Wissenschaftsplattform Sustainable Finance

Die Wissenschafts­platt­form Sustainable Finance vereint fünf deutsche Forschungs­einrichtungen, die seit vielen Jahren intensiv zum Thema Sustainable Finance forschen. Ziel der Plattform ist es, mit wissenschaftlich fundierten Methoden dazu bei­zu­tragen, dass der Finanz­markt seine notwendige unter­stützende Rolle in der Transformation hin zu einer nach­haltigen und klima­freundlichen Gesellschaft über­nimmt. Die Stiftung Mercator fördert das Projekt.

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