Ein Girokonto gegen den Klimawandel
Über Geld lässt sich vieles steuern – auch der Klimaschutz. Um die Klimakrise einzudämmen, müssten die Finanzmärkte Milliarden in nachhaltige Unternehmen und Produkte stecken. Anfang Mai hat die Bundesregierung eine umfassende Strategie für „nachhaltige Finanzierung“ beschlossen. Das Ziel: Finanzmärkte so zu lenken, dass sie eine nachhaltige Wirtschaftsordnung unterstützen. Für Privatanleger*innen soll es eine Nachhaltigkeitsampel für Finanzprodukte geben. Die ist auch nötig, da selbst die Wahl des Girokontos etwas bewirken kann. Die Hintergründe der grünen Kehrtwende erklärt Christian Klein, Professor für Unternehmensfinanzierung mit Schwerpunkt auf Sustainable Finance an der Universität Kassel.
Herr Klein, Sie lehren und forschen an der Uni Kassel zu Sustainable Finance, also nachhaltiger Finanzwirtschaft. Können Sie das Prinzip kurz erklären?
Christian Klein: Wenn die Menschheit das Pariser Klimaschutzabkommen einhalten und so den Klimawandel eindämmen will, dann steht die gesamte Wirtschaft vor einer gewaltigen Transformation. Und die wird Geld kosten. Dafür braucht es das Kapital aus den Finanzmärkten, denn Gelder aus Steuermitteln reichen dafür nicht aus. Sustainable Finance hat also die Aufgabe, Geldströme so umzuleiten, dass wir eine Welt kreieren, die auch noch für unsere Kinder lebenswert ist.
Anfang Mai hat die Bundesregierung die erste deutsche Strategie für „nachhaltige Finanzierung“ beschlossen. Das Ziel: Investitionen für Klimaschutz und Nachhaltigkeit zu mobilisieren und Klimarisiken zu identifizieren. Nimmt Deutschland eine Vorreiterrolle ein?
Klein: Nicht wirklich, da sind andere Länder schon viel weiter. Aber immerhin versucht die Bundesregierung, mit großen Schritten nachzuziehen. Auf EU-Ebene ist in den vergangenen zwei Jahren extrem viel passiert. Die EU definiert dabei für unterschiedlichste Wirtschaftsaktivitäten, welche davon im Einklang mit dem Pariser Abkommen stehen: die sogenannte Taxonomie. Beispielsweise: Wenn ein Unternehmen eine Tonne Stahl produziert und dabei unter einem bestimmten CO2-Emissionswert bleibt, ist das taxonomie-konform, also im Einklang mit dem Pariser Klimaschutzabkommen. Diese EU-Taxonomie ist aus meiner Sicht ein echter Gamechanger. Das Geniale an dieser Idee: Es ist nicht so, dass es entweder nachhaltige und nicht-nachhaltige Unternehmen gibt. Ein Unternehmen besteht aus verschiedenen Aktivitäten, die ganz unterschiedlich sind. Da können einige keinen Einfluss auf das Klima haben, andere schon. Die Taxonomie ermöglicht es, zu sehen, wie viel Umsatz ein Unternehmen mit nachhaltigen Aktivitäten macht. Was Lobbyverbände aber gerade richtig nervös macht: Da entsteht eine Liste mit Wirtschaftsaktivitäten, die gesamtgesellschaftlich als positiv oder als negativ angesehen werden.
Christian Klein
Prof. Dr. Christian Klein ist Professor Nachhaltige Finanzwirtschaft an der Universität Kassel und leitet das gleichnamige Fachgebiet. Mit seinem Team beschäftigt er sich insbesondere mit dem Anlageverhalten nachhaltiger Investoren, mit Eigenschaften nachhaltiger Geldanlagen sowie mit den Auswirkungen von Nachhaltigkeit auf den Kapitalmarkt und den damit verbundenen Rahmenbedingungen. Klein ist Mitglied im Management Board der Wissenschaftsplattform Sustainable Finance.
Frankreich möchte, dass Atomenergie als nachhaltig gelten soll …
Klein: Das hat Deutschland klargemacht: nicht mit uns. Aber Deutschland hält daran fest, dass Erdgas als eine nachhaltige Energie in die Taxonomie aufgenommen wird. Auf die Idee muss man erst mal kommen: Wir sagen, dass der Klimawandel durch die Verbrennung von fossilen Brennstoffen herbeigeführt wird – und geben dem Verbrennen von Gas das Label „nachhaltig“ … Da stecken handfeste wirtschaftliche Interessen dahinter. Dabei kann man ja Energie aus Gas – oder meinetwegen Atomenergie – als Übergangstechnologie nutzen, ohne sie nachhaltig zu nennen.
Wie kamen die Länder in Brüssel zu einem Kompromiss?
Klein: Gar nicht. Die Einigung stand vor dem Scheitern, da gab es die politische Lösung, die Entscheidung über die Themen Atom- und Gasenergie zu vertagen. Dasselbe gilt für Bioenergie – dahinter stecken Interessen der nordischen Staaten mit großen Waldflächen und die Frage, wie grün es sein kann, Holz zu verbrennen. Diese Taxonomie ist genial, weil sie gerade durchdekliniert wird und beim Klimawandel anfängt, aber auch weitere ESG-Kriterien („Environment, Social, Governance“, Anm. d. R.) enthält. Dabei ist der Klimaaspekt noch am einfachsten quantifizierbar, zum Beispiel durch CO2-Ausstoß. Bei Menschenrechten oder Biodiversität wird das schon heikler.
Schon heute kann man als Kleinanleger*in etliche grüne Finanzprodukte kaufen. Was ändert sich durch die neue Strategie der Bundesregierung?
Klein: Das Wort „Nachhaltigkeit“ ist nicht geschützt. Alles kann nachhaltig genannt werden, jede*r Anbieter*in definiert das anders. Als ich das erste Mal gehört habe, dass Brüssel versucht, Nachhaltigkeit zu definieren, habe ich lachen müssen. Denn darüber, was nachhaltig ist, streiten Wissenschaftler*innen seit Jahren. Aber die Kommission hat es geschafft – durch diesen Weg mit der Taxonomie. Das ändert für den Kleinanleger, die Kleinanlegerin auch etwas. Wenn er/sie in naher Zukunft zur*m Bankberater*in geht, wird diese*r verpflichtet sein, zu fragen, wie Anleger*innen es mit der Nachhaltigkeit halten, und muss über Themen wie eben die Taxonomie reden. Das wird spannend.
Das klingt alles andere als einfach – anders als die Nachhaltigkeitsampel für Finanzprodukte, die die Bundesregierung mit Nachdruck verfolgt.
Klein: Der Sustainable-Finance-Beirat, dem ich zuarbeiten durfte, hat eine Klassifizierungsskala mit fünf Stufen vorgeschlagen, von Grün über Gelb und Orange bis Dunkelrot. Ähnlich wie beim Nutri-Score für Lebensmittel im Supermarkt. So eine Ampel soll für alle Finanzprodukte gelten, also für Fonds, aber auch Versicherungen, Bausparen oder auch das Girokonto.
Was hat denn das gute alte Girokonto mit dem Klimawandel zu tun?
Klein: Die Idee ist, dass den Verbraucher*innen bewusst wird, dass alles, was sie mit ihrem Geld machen, eine Wirkung erzeugt. Wenn das Geld auf dem Girokonto ist, dann liegt es da nicht nur rum, sondern die Bank macht etwas damit. Sie investiert es in Kohle, Rüstung und Co. – oder eben nicht. Das kann dann mit der Ampel schnell gezeigt werden. Schon jetzt gibt es solche grünen Banken, doch die Mehrzahl der Verbraucher*innen kennt diese nicht. Die meisten Menschen kommen gar nicht auf die Idee, dass sie mit ihrem Girokonto etwas bewirken können. Spannend wird es, wenn auch die kleinen Geldinstitute sich überlegen müssen, ob sie wirklich rote oder gelbe Girokonten anbieten oder ob sie nicht doch noch nachhaltiger investieren wollen. Wenn alle Banken in der Breite anfangen, ihre Finanzierungen umzuschichten, dann ist die Aufgabe von Sustainable Finance geschafft.
Trotzdem haben Investor*innen nicht auf ein Finanzämpelchen gewartet. Und Warren Buffett, auf den viele Anleger*innen blicken, hat zuletzt mit seiner Investmentgesellschaft Berkshire Hathaway seine Positionen in fossiler Energie ausgebaut …
Klein: An den Kapitalmärkten geht es um die Wette: Werden wir die Ziele des Pariser Abkommens erreichen oder nicht? Und wenn ja, dann geht die Wette nicht auf, weil Ölfirmen darin keine Zukunft haben. Es ist also immer die Wette für oder gegen eine bessere Zukunft. Buffett wettet dagegen.
Und Sie?
Klein: Ich wette dafür! Und was mir Hoffnung macht: In den vergangenen zwei Jahren hat sich der Wind an den Kapitalmärkten gedreht. Immer mehr Investor*innen setzen mit ihrem Geld auf eine Paris-konforme Wirtschaft, die nicht auf fossile Energieträger setzt. Und jeder*m ist freigestellt, so oder so zu wetten. Buffett wettet offenbar dagegen. Ich als Wissenschaftler, aber auch als Familienvater wette dafür. Nachhaltige Finanzprodukte laufen bisher mindestens so gut wie konventionelle. Und wer nachhaltig investiert, wettet ja auf eine nachhaltige Zukunft. Deshalb haben Unternehmen wie der Elektroauto-Hersteller Tesla solch eine hohe Marktkapitalisierung erreicht – während andere, zum Beispiel Ölfirmen, an Wert verloren haben. Bei Autoherstellern schauen Investor*innen ganz genau, wie die Elektro-Strategie aussieht. Deshalb war es schon in der Vergangenheit so, dass Anleger*innen mit einem nachhaltigen Investment gut gefahren sind. Spannend wird es wirklich, wenn jetzt auch die Aspekte wie Menschenrechte und Biodiversität in den Vordergrund rücken. Das heißt, dass die Finanzmärkte auf eine bessere Welt wetten, in der Menschenrechte und Artenvielfalt wichtig sind. Dann gewinnen wir doppelt: als Anleger*innen – und als Menschheit.
Wie können Kleinanleger*innen schon heute nachhaltig investieren?
Klein: Wir forschen an der Uni Kassel viel zu Kleinanleger*innen, und bemerkenswert ist, dass in Deutschland ein klares Schwarz-Weiß-Denken vorherrscht. Ein Unternehmen ist erst nachhaltig, wenn es Windräder baut, eine Frauenquote hat und Kindergärten in Ländern der Zuliefererstaaten baut. Dabei ist Nachhaltigkeit ein Prozess, ein Dazwischen in Grautönen. Beispiel Thyssenkrupp: Das Unternehmen baut auf der einen Seite U-Boote – also Rüstungsgüter, die bei ESG-Kriterien durchfallen –, arbeitet auf der anderen Seite aber mit Nachdruck an Methoden, um Stahl CO2-neutral herzustellen. Dabei muss man wissen: Stahl, Beton und Zement sind die größten CO2-Emittenten in Deutschland. Ich würde mir wünschen, dass Kleinanleger*innen allmählich anfangen, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Sie müssen ja nicht gleich die Welt retten; es reicht, wenn sie etwas mehr darauf achten, nichts Böses zu machen. Und da hilft die Ampel zur ersten Einordnung ungemein.
Wissenschaftsplattform Sustainable Finance
Die Wissenschaftsplattform Sustainable Finance vereint fünf deutsche Forschungseinrichtungen, die seit vielen Jahren intensiv zum Thema Sustainable Finance forschen. Ziel der Plattform ist es, mit wissenschaftlich fundierten Methoden dazu beizutragen, dass der Finanzmarkt seine notwendige unterstützende Rolle in der Transformation hin zu einer nachhaltigen und klimafreundlichen Gesellschaft übernimmt. Die Stiftung Mercator fördert das Projekt.