Am härtesten trifft es die Ärmsten

Am härtesten trifft es die Ärmsten
Autorin: Caroline Friedmann Fotos: Andrea Vollmer 05.11.2021

Der Klimawandel bringt nicht nur unsere Umwelt aus dem Gleichgewicht, er verstärkt auch soziale Ungleichheiten. Der Geograf, Politik­wissen­schaftler und Klima­experte David Williams erforscht, wie sich dieser Trend abwenden lässt.

Seine lockere Art lässt David Williams auf den ersten Blick wie jemanden wirken, der immer für einen Spaß zu haben ist. Doch beruflich widmet sich der 31-Jährige ernsthaften Fragen, die die ganze Welt bewegen. Oder sie zumindest bewegen sollten. Denn Williams erforscht seit Jahren, wie der Klima­wandel die soziale Ungleichheit in unterschiedlichen Ländern verschärft und wie besonders vom Klima­wandel betroffene Bevölkerungs­gruppen besser mit den Folgen von Umwelt­veränderungen zurecht­kommen und sich anpassen können.

Hotspot der globalen Erwärmung

Ein Jahr lang hat Williams im Rahmen eines Forschungsprojekts als Fellow am Istanbul Policy Center die Konsequenzen der Klimakrise am Beispiel der türkischen Metropole untersucht. „Die Türkei liegt im südlichen Gürtel des Mittel­meer­raums, der als Hotspot der globalen Erwärmung gilt“, erklärt Williams. „Außerdem haben Expertinnen und Experten für die ohnehin schon hoch­wasser­gefährdete Schwarz­meer­küste vermehrt extreme Nieder­schlags­ereignisse prognostiziert.“ Istanbul sei repräsentativ für andere Städte, die schnell gewachsen seien, so Williams. „Studien zeigen auch, dass die Folgen des Klimawandels in Istanbul besonders spürbar sein werden.“

David Williams forscht mit Weitsicht. Der 31-Jährige kämpft für Klimagerechtigkeit.
David Williams forscht mit Weitsicht. Der 31-Jährige kämpft für Klimagerechtigkeit. © Andrea Vollmer

Bei seinem Forschungsprojekt geht es Williams vor allem um die unterschiedlichen gesellschaftlichen Auswirkungen von Hitze­wellen, Über­schwemmungen und anderen Folgen der globalen Erwärmung. Denn der Klimawandel betrifft nicht alle Menschen gleichermaßen, sondern vor allem die Benachteiligten einer Gesellschaft. „Zum Beispiel gibt es in ein­kommens­schwachen Gebieten in städtischen Räumen meistens weniger Grün­flächen. Dadurch staut sich die Hitze, und Wasser kann nicht so gut abfließen“, so Williams. Deshalb seien diese Gebiete stärker von Hochwasser bedroht. „In meinem Projekt habe ich die Maß­nahmen­kataloge unter­schiedlicher Städte analysiert und geschaut, inwiefern sie diese Ungleichheiten berücksichtigen. Aber in den wenigsten Städten gibt es dazu konkrete Pläne.“

Für seine Arbeit, aber auch privat fotografiert David Williams regelmäßig Betonwüsten.
Den Park am Gleisdreieck in Berlin fotografiert Williams, weil er für ihn ein gutes Beispiel für eine klima­gerechte Stadt ist. Auf den 31,5 Hektar Brachen des ehemaligen Anhalter und Potsdamer Güterbahnhofs am Gleis­dreieick skaten heute Kinder, Menschen genießen das Grün für alle mittendrin. © Andrea Vollmer

Forschung in Südafrika und auf Mauritius

Schon während seines Studiums und seiner Doktorarbeit beschäftigte sich David Samuel Williams, wie er mit vollem Namen heißt, mit der Klimakrise. Nach seinem Bachelor­abschluss in Geografie an der University of Salford nahe Manchester studierte er Globale Transformation und Umwelt­veränderung an der Universität Hamburg. In seiner Masterarbeit untersuchte er, wie stark sogenannte informelle Siedlungen – also sehr einkommens­schwache, marginalisierte Siedlungen – durch den Klimawandel gefährdet sind. Dafür ging er zunächst als Master­student des Climate Service Center Germany (GERICS), einer wissenschaftlichen Einrichtung des Helmholtz-Zentrums Hereon in Hamburg, für drei Monate nach Südafrika. Und während seiner Promotion in Politik­wissenschaft verschlug es ihn im Namen der Forschung nach Mauritius im Indischen Ozean.

David Williams begutachtet Birke
© Andrea Vollmer
kleine Spinne auf Hand von David Williams
Schon seit seiner Kindheit ist David Williams von Natur und Erde fasziniert. © Andrea Vollmer

In Durban, einer Küstenstadt in Südafrika, arbeitete er mit Menschen einer Siedlung nahe einem Fluss zusammen, die häufig überschwemmt wird. „Natürlich kennen die Leute vor Ort die Über­schwemmungs­gefahr, aber für viele ist es dort immer noch besser als der Ort, aus dem sie kommen, weil es in der Stadt nun mal Jobs gibt“, erklärt Williams. Die Lage auf Mauritius schildert er ähnlich. Und bei beiden Forschungs­reisen stellt er fest: „Die Menschen, die am wenigsten zum Problem beitragen, weil sie nur einen kleinen CO2-Fuß­abdruck haben, leiden unter dem Klima­wandel am meisten. Früh­warn­systeme und die notärztliche Versorgung werden zwar vielerorts besser, aber lang­fristig müssen Maßnahmen zur Bekämpfung dieser Ungleichheit getroffen werden.“ Dabei sieht er vor allem die Stadt­planer*innen in der Pflicht, die Städte klima­gerechter zu gestalten – mit Parks, Grünflächen und einem Zugang zu Ressourcen für alle dort lebenden Menschen. Vor allem sei es wichtig, lokale Gemeinden direkt in die Planung miteinzubeziehen, um die Bedürfnisse der dort lebenden Menschen besser zu verstehen. In bevölkerungs­reichen Städten wie Istanbul sei dies zwar schwer umzusetzen, aber nicht unmöglich.

Faszination Erde

Den Blick über das eigene Land hinaus zu richten und global zu denken hat Williams schon in seiner Kindheit gelernt. Als Sohn einer Irin und eines Schotten in Darmstadt geboren, wuchs er deutsch- und englischsprachig auf und verstand früh, „dass die Welt größer ist als Deutschland“. Wie viel größer, sah er an der Arbeit seines Vaters, der bis zur Rente als Satelliten­ingenieur für die europäische Satelliten­organisation EUMETSAT tätig war. „Ich wurde mit Satelliten­bildern groß, vor allem Wolken­bilder haben mich fasziniert“, erzählt er lachend. „Mich hat aber schon immer mehr der soziale Aspekt der Dinge interessiert, weniger der technische.“ Einen analytischen Blick auf die Dinge wirft Williams nicht nur in zahlreichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Artikeln, sondern auch privat, wenn er schreibt oder Betonwüsten und andere klima­schädliche Umgebungen mit der Kamera einfängt. Besonders aber liebt Williams gutes Essen. „Ich esse und koche gerne scharf“, gesteht er. Das passe auch gut zu den Orten, in denen seine Forschung beheimatet ist.

Einsatz für mehr Klima­gerechtigkeit

Seit September 2021 lebt der 31-Jährige in Berlin. Nach seinem Fellowship in Istanbul hat er dort eine Stelle bei einer politischen Stiftung angenommen. Im Februar geht es im Auftrag der Stiftung nach New York, wo Williams UN-Prozesse kritisch begleiten und die Klima­gerechtigkeit voranbringen soll. Eine große Aufgabe. Doch Williams weiß diese Chance zu schätzen – und will lang­fristig etwas zurückgeben. „Ich würde gerne anderen Menschen den Support geben können, der auch mir am Anfang meines beruflichen Werdegangs gegeben wurde und auch jetzt noch gegeben wird“, sagt er. „Und ich würde gerne eines Tages auf mein Leben zurück­blicken und mit mir selbst darüber im Reinen sein, was ich mit meinen ganzen Privilegien so angestellt habe. Wenn dazu die Lösung der globalen Klimakrise zählt, indem die Reichen für ihren CO2-intensiven Lebensstil endlich zur Kasse gebeten werden, wäre das ja schon mal ein Anfang.“

Mercator-IPC Fellowship Programm

Das IPC-Fellowship Programm ist das Herzstück des Istanbul Policy Center (IPC). Die Initiative nimmt sich dem Austausch von Menschen und Ideen in der Türkei an.
https://ipc.sabanciuniv.edu/