Am härtesten trifft es die Ärmsten
Der Klimawandel bringt nicht nur unsere Umwelt aus dem Gleichgewicht, er verstärkt auch soziale Ungleichheiten. Der Geograf, Politikwissenschaftler und Klimaexperte David Williams erforscht, wie sich dieser Trend abwenden lässt.
Seine lockere Art lässt David Williams auf den ersten Blick wie jemanden wirken, der immer für einen Spaß zu haben ist. Doch beruflich widmet sich der 31-Jährige ernsthaften Fragen, die die ganze Welt bewegen. Oder sie zumindest bewegen sollten. Denn Williams erforscht seit Jahren, wie der Klimawandel die soziale Ungleichheit in unterschiedlichen Ländern verschärft und wie besonders vom Klimawandel betroffene Bevölkerungsgruppen besser mit den Folgen von Umweltveränderungen zurechtkommen und sich anpassen können.
Hotspot der globalen Erwärmung
Ein Jahr lang hat Williams im Rahmen eines Forschungsprojekts als Fellow am Istanbul Policy Center die Konsequenzen der Klimakrise am Beispiel der türkischen Metropole untersucht. „Die Türkei liegt im südlichen Gürtel des Mittelmeerraums, der als Hotspot der globalen Erwärmung gilt“, erklärt Williams. „Außerdem haben Expertinnen und Experten für die ohnehin schon hochwassergefährdete Schwarzmeerküste vermehrt extreme Niederschlagsereignisse prognostiziert.“ Istanbul sei repräsentativ für andere Städte, die schnell gewachsen seien, so Williams. „Studien zeigen auch, dass die Folgen des Klimawandels in Istanbul besonders spürbar sein werden.“
Bei seinem Forschungsprojekt geht es Williams vor allem um die unterschiedlichen gesellschaftlichen Auswirkungen von Hitzewellen, Überschwemmungen und anderen Folgen der globalen Erwärmung. Denn der Klimawandel betrifft nicht alle Menschen gleichermaßen, sondern vor allem die Benachteiligten einer Gesellschaft. „Zum Beispiel gibt es in einkommensschwachen Gebieten in städtischen Räumen meistens weniger Grünflächen. Dadurch staut sich die Hitze, und Wasser kann nicht so gut abfließen“, so Williams. Deshalb seien diese Gebiete stärker von Hochwasser bedroht. „In meinem Projekt habe ich die Maßnahmenkataloge unterschiedlicher Städte analysiert und geschaut, inwiefern sie diese Ungleichheiten berücksichtigen. Aber in den wenigsten Städten gibt es dazu konkrete Pläne.“
Forschung in Südafrika und auf Mauritius
Schon während seines Studiums und seiner Doktorarbeit beschäftigte sich David Samuel Williams, wie er mit vollem Namen heißt, mit der Klimakrise. Nach seinem Bachelorabschluss in Geografie an der University of Salford nahe Manchester studierte er Globale Transformation und Umweltveränderung an der Universität Hamburg. In seiner Masterarbeit untersuchte er, wie stark sogenannte informelle Siedlungen – also sehr einkommensschwache, marginalisierte Siedlungen – durch den Klimawandel gefährdet sind. Dafür ging er zunächst als Masterstudent des Climate Service Center Germany (GERICS), einer wissenschaftlichen Einrichtung des Helmholtz-Zentrums Hereon in Hamburg, für drei Monate nach Südafrika. Und während seiner Promotion in Politikwissenschaft verschlug es ihn im Namen der Forschung nach Mauritius im Indischen Ozean.
In Durban, einer Küstenstadt in Südafrika, arbeitete er mit Menschen einer Siedlung nahe einem Fluss zusammen, die häufig überschwemmt wird. „Natürlich kennen die Leute vor Ort die Überschwemmungsgefahr, aber für viele ist es dort immer noch besser als der Ort, aus dem sie kommen, weil es in der Stadt nun mal Jobs gibt“, erklärt Williams. Die Lage auf Mauritius schildert er ähnlich. Und bei beiden Forschungsreisen stellt er fest: „Die Menschen, die am wenigsten zum Problem beitragen, weil sie nur einen kleinen CO2-Fußabdruck haben, leiden unter dem Klimawandel am meisten. Frühwarnsysteme und die notärztliche Versorgung werden zwar vielerorts besser, aber langfristig müssen Maßnahmen zur Bekämpfung dieser Ungleichheit getroffen werden.“ Dabei sieht er vor allem die Stadtplaner*innen in der Pflicht, die Städte klimagerechter zu gestalten – mit Parks, Grünflächen und einem Zugang zu Ressourcen für alle dort lebenden Menschen. Vor allem sei es wichtig, lokale Gemeinden direkt in die Planung miteinzubeziehen, um die Bedürfnisse der dort lebenden Menschen besser zu verstehen. In bevölkerungsreichen Städten wie Istanbul sei dies zwar schwer umzusetzen, aber nicht unmöglich.
Faszination Erde
Den Blick über das eigene Land hinaus zu richten und global zu denken hat Williams schon in seiner Kindheit gelernt. Als Sohn einer Irin und eines Schotten in Darmstadt geboren, wuchs er deutsch- und englischsprachig auf und verstand früh, „dass die Welt größer ist als Deutschland“. Wie viel größer, sah er an der Arbeit seines Vaters, der bis zur Rente als Satelliteningenieur für die europäische Satellitenorganisation EUMETSAT tätig war. „Ich wurde mit Satellitenbildern groß, vor allem Wolkenbilder haben mich fasziniert“, erzählt er lachend. „Mich hat aber schon immer mehr der soziale Aspekt der Dinge interessiert, weniger der technische.“ Einen analytischen Blick auf die Dinge wirft Williams nicht nur in zahlreichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Artikeln, sondern auch privat, wenn er schreibt oder Betonwüsten und andere klimaschädliche Umgebungen mit der Kamera einfängt. Besonders aber liebt Williams gutes Essen. „Ich esse und koche gerne scharf“, gesteht er. Das passe auch gut zu den Orten, in denen seine Forschung beheimatet ist.
Einsatz für mehr Klimagerechtigkeit
Seit September 2021 lebt der 31-Jährige in Berlin. Nach seinem Fellowship in Istanbul hat er dort eine Stelle bei einer politischen Stiftung angenommen. Im Februar geht es im Auftrag der Stiftung nach New York, wo Williams UN-Prozesse kritisch begleiten und die Klimagerechtigkeit voranbringen soll. Eine große Aufgabe. Doch Williams weiß diese Chance zu schätzen – und will langfristig etwas zurückgeben. „Ich würde gerne anderen Menschen den Support geben können, der auch mir am Anfang meines beruflichen Werdegangs gegeben wurde und auch jetzt noch gegeben wird“, sagt er. „Und ich würde gerne eines Tages auf mein Leben zurückblicken und mit mir selbst darüber im Reinen sein, was ich mit meinen ganzen Privilegien so angestellt habe. Wenn dazu die Lösung der globalen Klimakrise zählt, indem die Reichen für ihren CO2-intensiven Lebensstil endlich zur Kasse gebeten werden, wäre das ja schon mal ein Anfang.“
Mercator-IPC Fellowship Programm
Das IPC-Fellowship Programm ist das Herzstück des Istanbul Policy Center (IPC). Die Initiative nimmt sich dem Austausch von Menschen und Ideen in der Türkei an.
https://ipc.sabanciuniv.edu/