„Das ist eure Schule!“

Schuleingang
„Das ist eure Schule!“
Autorin: Saskia Weneit Fotos: Nathan Zentveld 15.07.2020

Pinke Bilderrahmen, eine goldene Tischtennis­platte, gemütliche Chill-out-Zonen – in Mainz gestalteten Kinder und Jugendliche ihre Schule um. Und lernten dabei zwischen Pinsel, Farbtopf und Hölzern, dass sie ihr Umfeld mit­gestalten und -denken können.

Auf dem Weg in den Unterricht noch schnell ein „Ich war hier“ oder eine Zeichnung an die Wand kritzeln? In der Mainzer Kanonikus-Kir-Realschule (KKR) ist die Schüler­poesie sogar eingerahmt – in leuchtendes Pink. Die Idee kam Schülerinnen der sechsten Klassen, als sie auf der Suche nach einem Kunst­projekt durch ihre Schule streiften. Mit wachen Augen entdeckten sie das Gebäude neu, sahen die vollgeschriebenen Wände – und das Potenzial.

Eine in schwarz und gelb bemalte Wand der Mainzer Kanonikus-Kir-Realschule
Wie Wandfarbe und Selbstwirksamkeit zusammenhängen, zeigt sich an der Mainzer Schule. © Nathan Zentveld
Pinker Bilderrahmen
Die Schüler*innen sind stolz auf ihre Ideen wie den pinken Bilder­rahmen. © Nathan Zentveld

„Wir wollten einen Platz schaffen, damit Schüler*innen auf die Wand schreiben können. Ohne die Sorge, etwas zu beschädigen und Ärger zu bekommen“, erinnert sich Iman El Marini. Angeleitet und ermutigt wurden sie und ihre Mitschüler*innen von Studierenden im Fach­bereich Kunst­didaktik der Kunst­hoch­schule Mainz. Inzwischen ist Iman in der achten Klasse, doch wenn sie heute an den Rahmen vorbei­kommt, ist sie noch immer stolz. „Ich hab das gemacht, wir hatten die Idee, und jetzt hängt das da und wird genutzt – das ist toll!“, sagt die 14-jährige Iman. Es war das erste Mal, dass sie so aktiv Kunst gemacht hat.

Als eine von sechs Referenzschulen in Rheinland-Pfalz nimmt die KKR-Kultur­schule an dem Programm „Generation K“ teil. Hauptsächlich richtet es sich an die Schüler*innen der fünften bis zehnten Klassen. Künstler*innen und Studierende der Kunst­hoch­schule kommen mehr­mals pro Woche in die beteiligten Schulen, um mit den Kindern und Jugendlichen an kreativen Projekten zu arbeiten und das Gebäude in eine künstlerische Fläche zu verwandeln.

Kreative Problem­lösungs­kompetenz

„Jedes Kind kann Kunst“, ist Margret Bamberger überzeugt. Die Pädagogin ist seit dem Projekt­start vor drei Jahren an der Schule und treibt als zweite Konrektorin die Idee der Kulturschule voran. Dafür holt sie außer­schulische Partner wie die Kunst­hoch­schule Mainz, Künstler*innen des Projekts „Generation K“ und die Kunst­halle Mainz in den Unterricht. Ihr geht es dabei um die Potenziale, die die kreative Auseinander­setzung mit dem Umfeld, mit Heraus­forderungen und Ideen freisetzt. „Diese kreative Problem­lösungs­kompetenz ist es, die mich von dem Konzept der Kultur­schule so über­zeugt“, sagt Margret Bamberger. Die Konrektorin glaubt dabei an den „Schneeball-Effekt“: Erlaubt man Kindern und Jugendlichen, sich künstlerisch im und am Gebäude aus­zu­drücken, und fördert man ihre Ideen, strahlt das auf die gesamte Schüler­schaft aus.

Konrektorin Margret Bamberger
Konrektorin Margret Bamberger ist überzeugt: "Jedes Kind kann Kunst." © Nathan Zentveld

Noch immer lieben die Schüler*innen die gold­besprühte Tisch­tennis­platte, die oben und unten mit gelbem Teppich beklebt ist. Auch für Iman ist das einer der besten Einfälle, um das Gebäude mehr an die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen anzupassen und zu chillen. Konrektorin Bamberger ist noch heute beeindruckt, mit wie viel Taten­drang und Ideen die Schüler*innen das Gebäude verändert haben. Ob drinnen oder draußen – sie bauten gemütliche Ecken, die sie „Chill-out-Zonen“ nennen, bepflanzten sie teilweise und polsterten sie. Kleine Rück­zugs­räume vom hektischen Schul­alltag.

Kanonikus-Kir-Realschule in Mainz
Die Kanonikus-Kir-Real­schule in Mainz. © Nathan Zentveld

Bei der Umsetzung solcher Projekte lernen die Schüler*innen, Schwierigkeiten selbst­bewusst anzugehen, andere zu über­zeugen und sich nicht ausbremsen zu lassen. Und sie fühlen sich ernst genommen, denn es sind ihre Wahr­nehmung und ihre Ideen, die umgesetzt werden. „Wenn wir die Schüler*innen daran Anteil nehmen lassen, wie das Gebäude aussieht, fühlen sie sich nicht nur wohler, sondern sie identifizieren sich auch stärker mit der Schule“, sagt Bamberger. Diese Erfahrung der Selbst­wirksamkeit sei es, die sich auf die gesamte Entwicklung der jungen Menschen auswirke.

Sich künstlerisch die Welt erschließen

„Die Schüler*innen verbringen so viel Lebens­zeit in schulischen Räumen. Zu merken, dass man etwas verändern und den Raum Schule aktiv mit­gestalten kann, inspiriert sie“, sagt Bock. Die Jugendlichen werten dabei nicht nur die Fassade der Schule auf, sondern auch sich selbst. Dieser künstlerische Zugang ist lebendig und einprägsam und hat auch einen positiven Effekt auf die schulischen Leistungen in anderen Fächern: Die Jugendlichen lernen, wie aus einer Idee ein Konzept und schließlich etwas Greifbares entsteht.

Schule als Aus­stellungs­ort

Ideen machen, Konzepte entwickeln, Umsetzungen steuern – Kompetenzen, die die Schüler*innen für ihre berufliche Zukunft brauchen können. Lernen sie, einen Einfall in ein konkretes Projekt zu verwandeln, sich von Rückschlägen oder Skepsis aus dem Umfeld nicht einschüchtern zu lassen und es zu Ende zu bringen, stärkt das ihr Selbst­bewusst­sein enorm. Als der bildende Künstler Erik Schmelz an der KKR startete, wollte er den Schüler*innen genau diese Erfahrung vermitteln. So kam ihm die Idee, eine Schüler­firma zu gründen, die kreative Projekte umsetzt, genannt „IKU“ (Idee.Konzept.Umsetzung).

Zu Anfang waren die Schüler*innen noch zurück­haltend und unsicher, inwieweit sie in die Gestaltung des Schul­gebäudes eingreifen dürfen. Erik Schmelz erinnert sich, wie er sie wach­rüttelte: „Ihr seid in der Überzahl – das ist eure Schule!“ Es war der Schlüssel­moment, in dem sie verstanden, dass sie die Schule mit­gestalten und mitdenken können. „Die Schüler*innen bringen alles mit – diese Ressourcen und Interessen muss man nur nutzen, sie bestärken und sich entfalten lassen“, ist der Künstler überzeugt. In der Kunst gehe es auch darum, sich auszuprobieren und scheitern zu können. Und dann weiter­zu­machen. Eine Kompetenz, die für das gesamte Leben stärkt.

Erik Schmelz
Künstler Erik Schmelz bestärkte die Kinder, sich zu entfalten. © privat

Schließlich waren die zehn Schülerinnen Feuer und Flamme und gingen, zunehmend selbst­bewusst, ans Werk. Der erste Auftrag war die Konzeption, Organisation und Realisation einer Ausstellung in der Schule mit Werken externer Künstler*innen. Die Mädchen gründeten ein Kuratorinnen­team, suchten die Kunst­objekte aus, legten die Gestaltung fest, kommunizierten mit den Künstler*innen, kümmerten sich um Plakate, Flyer und Sponsoren – und lernten, gemeinsam eine Vision umzusetzen. Erik Schmelz zog sich immer mehr aus dem Projekt zurück und überließ den Schüler*innen die Organisation. „Mit so einer Aufgabe gewinnen die Kinder und Jugendlichen immer mehr Zutrauen in sich selbst, sie lernen, dass sie Probleme selbst lösen können“, so der bildende Künstler.

Stephan Bock
Stephan Bock leitet das Programm "Generation K – Kultur trifft Schule". © privat
Bemalte Wand im Schulgebäude
Gestalten Schüler*innen ihre Schule, kann das die Identifikation mit ihr steigern. © Nathan Zentveld
Tischtennisplatte mit Teppich
Kreativität ist manchmal auch eine Tisch­tennis­platte mit Teppich. © Nathan Zentveld

Veränderung braucht Zeit

Der Zugang zum Lehrpersonal war nicht immer leicht. „Ich bin ja nicht so der/die Kreative“, hörte Erik Schmelz oft im Dialog mit den Pädagog*innen. Ein Irrtum, davon ist der 44-jährige Künstler überzeugt. „Wir wollten die Lust an Kreativität wieder­erwecken. Es geht ja bei ,Generation K‘ nicht um das künstlerische Werk, sondern darum, kreative Lösungen für etwas zu finden“, sagt er.

Ist der Knoten erst mal geplatzt, profitiert die ganze Schule von dem positiven Effekt. Margret Bamberger weiß zu schätzen, dass immer mehr Kolleg*innen sich der kreativen Stoff­vermittlung öffnen und sich interessiert mit den Künstler*innen aus­tauschen. „Das Schiff ist im Wasser, die Strömung ist da und nicht mehr auf­zu­halten“, sagt sie. Auch Stephan Bock ist von dem positiven Effekt überzeugt: „Lehr­kräfte und Schüler*innen merken das ganz von selbst. Ein künstlerischer Zugang zu Lern­inhalten spricht mehr Sinne gleich­zeitig an, ist lebendig und einprägsam. Kinder verstehen mehr, haben mehr Spaß im Unterricht, und die Noten werden besser.“

Diese Erfahrung teilt auch Schülerin Iman, die am liebsten im Chemie-, Bio- und Physik­unterricht sitzt und als Kinder­ärztin arbeiten möchte. Eigentlich könne sie gar nichts mit Kunst anfangen, hatte sie gedacht. Doch seit sie mit ihren Mitschüler*innen die pinken Rahmen im Gebäude verteilte, hat sie einen anderen Zugang zu Kunst und Kreativität bekommen. „Ich bin mutiger und offener geworden. Ich habe keine Angst mehr, etwas falsch zu machen, wenn ich eine Idee habe, sondern probiere es einfach aus“, sagt sie. So ist sie auch bei sich zu Hause kreativer geworden – und davon profitiert sogar ihre kleine Schwester. Als Iman beobachtete, wie gern ihre Schwester an den Wänden malte, schuf sie im Wohnzimmer eine abwischbare Fläche, die ihr Geschwisterchen seither fröhlich immer wieder neu verschönert. „Ich hab gelernt, dass Kunst Spaß macht.“

Kreativpotentiale

Das Rahmenprogramm der Stiftung Mercator hat das Ziel, kulturelle Bildung nachhaltig in den Schul­strukturen zu verankern. Die Stiftung unter­stützt die Bundes­länder dabei, landes­eigene Programme zu entwickeln, die im Schulsystem implementiert werden.

www.kreativpotentiale.de