Female Empowerment in Jordanien

Ein Blick über die Dächer von Amman, der Hauptstadt Jordaniens.
Female Empowerment in Jordanien
Autorin: Janina Schrupp 07.05.2024

Wie lassen sich die mentale Gesundheit und die Selbst­bestimmung von Frauen in Jordanien stärken? Eine Frage, der die Ärztin Ann-Christin Wolf während ihres Mercator Kolleg­jahres nachging. Der Aufenthalt lehrte sie Durch­halte­vermögen – und große Ziele in kleinen Etappen anzugehen. Was sie vor Ort erreichen konnte.

„Das erste Mal in Jordanien“, erinnert sich Ann-Christin Wolf, „wurde ich mit einer solchen Herzlichkeit empfangen, ich habe mich sofort wohlgefühlt.“ Die 28-jährige Ärztin verschlug es 2021 für den Besuch ihres dort arbeitenden Partners in den Mittleren Osten. In wenigen Wochen lebte sich die Münster­länderin ein und knüpfte Freundschaften mit Menschen vor Ort. So bekam sie einen Einblick in ihr Leben.

Frauen in Jordanien brauchen oft einen männlichen Begleiter

„Mir wurde schnell klar, unter welch unter­schiedlichen Bedingungen wir aufgewachsen sind.“ Ohne männlichen Guardian – Vater, Bruder, Ehemann oder Sohn – gibt es für jordanische Frauen viele Auflagen. Verhütung und gynäkologische Vorsorge sind verheirateten Frauen vorbehalten. Als bei einer Freundin der Verdacht einer Geschlechts­krankheit bestand, versuchte Wolf, ihr einen Arztbesuch zu organisieren. „Zwei Ärzt*innen wiesen sie ab, eine dritte Ärztin behandelte die Frau dann nur unter der Hand und unter Angabe eines falschen Namens“, berichtet sie.

Ann-Christin Wolf
© David Ausserhofer

Im Rahmen des Mercator Kollegs beschäftigte sich Ann-Christin Wolf von Oktober 2022 bis September 2023 mit den Themen Familien­planung und Mentale Gesundheit im Kontext von Flucht und Migration. Ihre Aufmerksamkeit galt insbesondere den gemeinsamen Schnitt­punkten dieser beiden Themen­felder. Ihr Fokus lag auf der Verbesserung der Gesundheit von Frauen und Frauen-Empowerment in prekären Lebens­lagen. Seit 2024 arbeitet sie als Development Advisor bei der Deutschen Gesellschaft für Inter­nationale Zusammen­arbeit (GIZ) in Jordanien daran, die Gesund­heits­zugänge vor Ort auszubauen.

Eine Erfahrung, die Wolf prägte und in ihr den Wunsch aufkommen ließ, sich für die Selbst­bestimmung der Frauen in Jordanien ein­zu­setzen. Sie bewarb sich bei der Stiftung Mercator für ein Kollegjahr. Im Sommer 2022 startete die Kollegiatin in die erste von drei Stationen, beim Inter­national Medical Corps (IMC). Danach ging sie zum United Nations Population Fund (UNFPA) und zur Deutschen Gesellschaft für Inter­nationale Zusammen­arbeit (GIZ). Das IMC entsandte die Ärztin in das Krankenhaus von Azraq, einem von zwei noch bestehenden Flüchtlings­camps für syrische Geflüchtete in Jordanien. Es liegt im Wüsten­gebiet knapp 90 Kilometer von der syrisch-jordanischen Grenze entfernt und beherbergt rund 45.000 syrische Geflüchtete, darunter auch viele Frauen.

Ein Camp des International Medical Corps (IMC) Jordan, das syrische Geflüchtete versorgt.
Ein Camp des International Medical Corps (IMC) Jordan, das syrische Geflüchtete versorgt. © Getty Images
Das Hauptgebäude des Jordan Krankenhauses von außen.
Das Hauptgebäude des Jordan Krankenhauses von außen. © shutterstock

Psychische Erkrankungen werden stigmatisiert

Weil es in Jordanien außerdem ein großes Tabu ist, über psychische Gesundheits­probleme zu sprechen, entschied sich Wolf für ein Projekt, das die Themen „Mental Health“ und „sexuelle Selbst­bestimmung und Familien­planung“ vereint. Dabei konnte sie auf Erfahrungen aus einem sechs­monatigen Praktikum in der Türkei zurück­greifen, bei dem sich die Medizinerin für die psycho­soziale Gesundheit geflüchteter Syrer*innen engagierte.

Gemeinsam mit jordanischen Kolleg*innen im Krankenhaus Azraq erarbeitete sie ein Screening-Tool, um mentalen Unter­stützungs­bedarf bei Patientinnen zu erkennen, die ohnehin zur Schwanger­schafts­vorsorge in die Klinik kamen. Das Angebot war im Rahmen dieser Vorsorge, sodass die Patientinnen dafür nicht extra die Erlaubnis ihres Ehemannes oder der Schwieger­mutter brauchten. Über einen Frage­bogen prüften Hebammen und Ärzt*innen, ob Anzeichen für Depressionen, Angst­störungen oder Stress vorhanden waren. Fiel eine Patientin auf, bot man ihr an, sie in die zugehörige Mental-Health-Klinik zu über­weisen. „Wir wollten so das Stigma, das psychischen Störungen anhaftet, umgehen“, erklärt die Stipendiatin. „Doch in den ersten Wochen zeigte sich, dass der Plan oft nicht aufging.“ Viele identifizierte Frauen schlugen das Angebot aus. Zu groß war die Angst, vom Umfeld abgestempelt zu werden, zu groß der Druck des patriarchalen Systems.

Eine werdende Mutter mit ihrer Tochter.
Eine werdende Mutter mit ihrer Tochter. © Getty Images

Schwerer Start für Hilfsangebote in Jordanien

Wie schwer es ist, in Jordanien Hilfs­angebote aufzusetzen und die Menschen damit zu erreichen, erlebte die Medizinerin auch während der anderen Stationen ihres Kolleg­jahres. So wollte Wolf im Haupt­stadt­büro des UNFPA die internen Strukturen und Abläufe in der UN kennen­lernen und unter­stützte das Team für den Bereich „Sexual and Reproductive Health“ (SRH) bei der Konzept­entwicklung. Hauptsächlich vertrat sie den UNFPA bei Koordinations­meetings, auf Landes­ebene, aber auch in den Camps Azraq und Zaatari. Das Wissen aus dem Master­studien­gang „Global Public Health“, den die engagierte Ärztin parallel zum Kolleg­jahr in Teilzeit studierte, half ihr bei der Entwicklung von Konzepten zu SRH-Projekt­themen. Und durch die Arbeit beim UNFPA konnte sie Kontakte auf gesundheitsvpolitischer Ebene knüpfen.

Im Austausch stieß sie immer wieder auf kulturelle Hürden. Abtreibungen etwa sind in Jordanien strikt verboten, ebenso Geschlechts­verkehr außerhalb der Ehe.

LGBTQ-Demos undenkbar

Auch LGBTQ-Themen sind für das Parlament ein rotes Tuch. In Deutschland, so meint Wolf, hätte sie einfach an Straßen­aktionen mit­gewirkt, um die Themen sexuelle Selbst­bestimmung und psychische Gesundheit voran­zu­treiben. In Jordanien wäre das nicht möglich: „Zivil­gesellschaftliches Engagement wird oft vom Staat unter­drückt.“ Während ihrer letzten Station, im Projekt „Psychosocial Support and Trauma Work“ der GIZ, erlebte Wolf, wie lücken­haft die Etablierung von psycho­sozialer Unter­stützung im Land ist: „Akteur*innen berichteten mir, wie gerne sie Selbst­hilfe­gruppen zu allen möglichen Themen gründen würden, dass sie aber immer wieder an den Stigmen, die es in Gesellschaft und Politik gibt, und an der Finanzierung scheitern.“

Veränderungen, so erkannte die Stipendiatin am Ende ihres Kolleg­jahres, lassen sich oft nur in winzigen Schritten erzielen, und struktureller Beistand muss die Menschen so niedrig­schwellig wie möglich erreichen. „Das hat mich lange gefrustet“, erzählt sie. „Doch war es eine notwendige Lehre. Es ist nun mal die Realität, und ich möchte auch weiterhin die engagierten Kräfte vor Ort so gut ich kann unter­stützen.“ Immerhin rücke mentale Gesundheit in den Institutionen und der Politik immer mehr in den Fokus. Anfang Februar 2024 hat sie bei der GIZ angefangen und wird als Entwicklungs­helferin ans Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) in Jordaniens Hauptstadt Amman entsendet. So empowert Wolf weiterhin Menschen in Jordanien, sich um ihre psychische Gesundheit zu kümmern.


Mercator Kolleg

Das Mercator Kolleg für inter­nationale Aufgaben ist ein gemeinsames Projekt der Studien­stiftung des deutschen Volkes und der Stiftung Mercator. Seit 15 Jahren fördert es jährlich engagierte deutsch­sprachige Hoch­schul­absolvent*innen und junge Berufs­tätige aller Fach­richtungen, die für unsere Welt von morgen Verantwortung über­nehmen.

Ab 2025 werden erstmalig jährlich 20 Stipendien an berufs­erfahrene Change­maker*innen, Transfer­meister*innen und Strategie­entwickler*innen aller Fach­bereiche und Branchen vergeben.

www.mercator-kolleg.de