Female Empowerment in Jordanien
Wie lassen sich die mentale Gesundheit und die Selbstbestimmung von Frauen in Jordanien stärken? Eine Frage, der die Ärztin Ann-Christin Wolf während ihres Mercator Kollegjahres nachging. Der Aufenthalt lehrte sie Durchhaltevermögen – und große Ziele in kleinen Etappen anzugehen. Was sie vor Ort erreichen konnte.
„Das erste Mal in Jordanien“, erinnert sich Ann-Christin Wolf, „wurde ich mit einer solchen Herzlichkeit empfangen, ich habe mich sofort wohlgefühlt.“ Die 28-jährige Ärztin verschlug es 2021 für den Besuch ihres dort arbeitenden Partners in den Mittleren Osten. In wenigen Wochen lebte sich die Münsterländerin ein und knüpfte Freundschaften mit Menschen vor Ort. So bekam sie einen Einblick in ihr Leben.
Frauen in Jordanien brauchen oft einen männlichen Begleiter
„Mir wurde schnell klar, unter welch unterschiedlichen Bedingungen wir aufgewachsen sind.“ Ohne männlichen Guardian – Vater, Bruder, Ehemann oder Sohn – gibt es für jordanische Frauen viele Auflagen. Verhütung und gynäkologische Vorsorge sind verheirateten Frauen vorbehalten. Als bei einer Freundin der Verdacht einer Geschlechtskrankheit bestand, versuchte Wolf, ihr einen Arztbesuch zu organisieren. „Zwei Ärzt*innen wiesen sie ab, eine dritte Ärztin behandelte die Frau dann nur unter der Hand und unter Angabe eines falschen Namens“, berichtet sie.
Im Rahmen des Mercator Kollegs beschäftigte sich Ann-Christin Wolf von Oktober 2022 bis September 2023 mit den Themen Familienplanung und Mentale Gesundheit im Kontext von Flucht und Migration. Ihre Aufmerksamkeit galt insbesondere den gemeinsamen Schnittpunkten dieser beiden Themenfelder. Ihr Fokus lag auf der Verbesserung der Gesundheit von Frauen und Frauen-Empowerment in prekären Lebenslagen. Seit 2024 arbeitet sie als Development Advisor bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Jordanien daran, die Gesundheitszugänge vor Ort auszubauen.
Eine Erfahrung, die Wolf prägte und in ihr den Wunsch aufkommen ließ, sich für die Selbstbestimmung der Frauen in Jordanien einzusetzen. Sie bewarb sich bei der Stiftung Mercator für ein Kollegjahr. Im Sommer 2022 startete die Kollegiatin in die erste von drei Stationen, beim International Medical Corps (IMC). Danach ging sie zum United Nations Population Fund (UNFPA) und zur Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Das IMC entsandte die Ärztin in das Krankenhaus von Azraq, einem von zwei noch bestehenden Flüchtlingscamps für syrische Geflüchtete in Jordanien. Es liegt im Wüstengebiet knapp 90 Kilometer von der syrisch-jordanischen Grenze entfernt und beherbergt rund 45.000 syrische Geflüchtete, darunter auch viele Frauen.
Psychische Erkrankungen werden stigmatisiert
Weil es in Jordanien außerdem ein großes Tabu ist, über psychische Gesundheitsprobleme zu sprechen, entschied sich Wolf für ein Projekt, das die Themen „Mental Health“ und „sexuelle Selbstbestimmung und Familienplanung“ vereint. Dabei konnte sie auf Erfahrungen aus einem sechsmonatigen Praktikum in der Türkei zurückgreifen, bei dem sich die Medizinerin für die psychosoziale Gesundheit geflüchteter Syrer*innen engagierte.
Gemeinsam mit jordanischen Kolleg*innen im Krankenhaus Azraq erarbeitete sie ein Screening-Tool, um mentalen Unterstützungsbedarf bei Patientinnen zu erkennen, die ohnehin zur Schwangerschaftsvorsorge in die Klinik kamen. Das Angebot war im Rahmen dieser Vorsorge, sodass die Patientinnen dafür nicht extra die Erlaubnis ihres Ehemannes oder der Schwiegermutter brauchten. Über einen Fragebogen prüften Hebammen und Ärzt*innen, ob Anzeichen für Depressionen, Angststörungen oder Stress vorhanden waren. Fiel eine Patientin auf, bot man ihr an, sie in die zugehörige Mental-Health-Klinik zu überweisen. „Wir wollten so das Stigma, das psychischen Störungen anhaftet, umgehen“, erklärt die Stipendiatin. „Doch in den ersten Wochen zeigte sich, dass der Plan oft nicht aufging.“ Viele identifizierte Frauen schlugen das Angebot aus. Zu groß war die Angst, vom Umfeld abgestempelt zu werden, zu groß der Druck des patriarchalen Systems.
Schwerer Start für Hilfsangebote in Jordanien
Wie schwer es ist, in Jordanien Hilfsangebote aufzusetzen und die Menschen damit zu erreichen, erlebte die Medizinerin auch während der anderen Stationen ihres Kollegjahres. So wollte Wolf im Hauptstadtbüro des UNFPA die internen Strukturen und Abläufe in der UN kennenlernen und unterstützte das Team für den Bereich „Sexual and Reproductive Health“ (SRH) bei der Konzeptentwicklung. Hauptsächlich vertrat sie den UNFPA bei Koordinationsmeetings, auf Landesebene, aber auch in den Camps Azraq und Zaatari. Das Wissen aus dem Masterstudiengang „Global Public Health“, den die engagierte Ärztin parallel zum Kollegjahr in Teilzeit studierte, half ihr bei der Entwicklung von Konzepten zu SRH-Projektthemen. Und durch die Arbeit beim UNFPA konnte sie Kontakte auf gesundheitsvpolitischer Ebene knüpfen.
Im Austausch stieß sie immer wieder auf kulturelle Hürden. Abtreibungen etwa sind in Jordanien strikt verboten, ebenso Geschlechtsverkehr außerhalb der Ehe.
LGBTQ-Demos undenkbar
Auch LGBTQ-Themen sind für das Parlament ein rotes Tuch. In Deutschland, so meint Wolf, hätte sie einfach an Straßenaktionen mitgewirkt, um die Themen sexuelle Selbstbestimmung und psychische Gesundheit voranzutreiben. In Jordanien wäre das nicht möglich: „Zivilgesellschaftliches Engagement wird oft vom Staat unterdrückt.“ Während ihrer letzten Station, im Projekt „Psychosocial Support and Trauma Work“ der GIZ, erlebte Wolf, wie lückenhaft die Etablierung von psychosozialer Unterstützung im Land ist: „Akteur*innen berichteten mir, wie gerne sie Selbsthilfegruppen zu allen möglichen Themen gründen würden, dass sie aber immer wieder an den Stigmen, die es in Gesellschaft und Politik gibt, und an der Finanzierung scheitern.“
Veränderungen, so erkannte die Stipendiatin am Ende ihres Kollegjahres, lassen sich oft nur in winzigen Schritten erzielen, und struktureller Beistand muss die Menschen so niedrigschwellig wie möglich erreichen. „Das hat mich lange gefrustet“, erzählt sie. „Doch war es eine notwendige Lehre. Es ist nun mal die Realität, und ich möchte auch weiterhin die engagierten Kräfte vor Ort so gut ich kann unterstützen.“ Immerhin rücke mentale Gesundheit in den Institutionen und der Politik immer mehr in den Fokus. Anfang Februar 2024 hat sie bei der GIZ angefangen und wird als Entwicklungshelferin ans Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) in Jordaniens Hauptstadt Amman entsendet. So empowert Wolf weiterhin Menschen in Jordanien, sich um ihre psychische Gesundheit zu kümmern.
Mercator Kolleg
Das Mercator Kolleg für internationale Aufgaben ist ein gemeinsames Projekt der Studienstiftung des deutschen Volkes und der Stiftung Mercator. Seit 15 Jahren fördert es jährlich engagierte deutschsprachige Hochschulabsolvent*innen und junge Berufstätige aller Fachrichtungen, die für unsere Welt von morgen Verantwortung übernehmen.
Ab 2025 werden erstmalig jährlich 20 Stipendien an berufserfahrene Changemaker*innen, Transfermeister*innen und Strategieentwickler*innen aller Fachbereiche und Branchen vergeben.