Wie prägt digitale Kommunikation unser nachbarschaftliches Miteinander?
Gute Nachbarschaft bedeutet, sich zu Hause zu fühlen. Doch für Neuankömmlinge in Deutschland gestaltet sich der soziale Anschluss oft schwierig. Viele versuchen daher, über die sozialen Medien Kontakte zu knüpfen. Ob und wie das funktioniert, steht im Mittelpunkt des Forschungsprojekts „Bin ich schon drin?“ der EBZ Business School (FH) und des ILS Institut für Land- und Stadtforschung. Wir befragten den Soziologen und Forschungsleiter Jan Üblacker, inwieweit digitale Nachbarschaftsnetzwerke ihren Zweck in Sachen gesellschaftlicher Teilhabe erfüllen.
Jan Üblacker, Sie wollen mit dem Forschungsprojekt „Bin ich schon drin?“ herausfinden, wie soziale Netzwerke die Integration und den Zusammenhalt in Nachbarschaften stärken können. Was genau interessiert Sie an diesem Thema?
Jan Üblacker: Aus soziologischer Sicht ist besonders interessant, wenn Menschen Medien nutzen, um gemeinsam gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen. Einen Digitalisierungsschub gab es durch die Coronapandemie. Hier haben sich auch in meiner Kölner Nachbarschaft viele digitale Gruppen zusammengeschlossen, um gegenseitige Unterstützung zu organisieren. Eine dieser Onlinegruppen besteht bis heute – ihre Mitglieder haben in einem der letzten heißen Sommer dafür gesorgt, dass die Stadtverwaltung einen Hydranten aufschließen ließ. So konnten die Nachbar*innen zusammen die Bäume im Park wässern. Das ist ein klassisches Beispiel für eine kollektive Handlung, die durch eine Onlinenachbarschaftsgruppe begünstigt wurde und die zu mehr Lebensqualität im eigenen Quartier führt.
Welche gesellschaftlichen Mehrwerte können durch digitale Nachbarschaftsnetzwerke entstehen?
Onlinegruppen in der Nachbarschaft sind zum Beispiel für die Teilhabe von Zugewanderten wichtig. Denn Neuankömmlinge können in der digitalen Kommunikation Übersetzungs-Programme nutzen und so über Online-Chats leichter ins Gespräch kommen. Ein weiteres Argument für Onlinegruppen lautet, dass wir einander zunächst nicht sehen – wie bei einer Bewerbung ohne Bild. So kommen Diskriminierungen aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes nicht zum Tragen. Das kann Hemmschwellen abbauen und den Kontakt zu anderen erleichtern.
Können Onlinenachbarschaftsgruppen Integration und Teilhabe fördern?
Das hängt sehr von den lokalen Rahmenbedingungen ab. Befunde zum Thema zeigen, dass Onlinenachbarschaftsgruppen den Austausch von Informationen und Hilfeleistungen in der Nachbarschaft begünstigen. Nutzer*innen fühlen sich sicherer, sind zufriedener und nehmen einen höheren Zusammenhalt in ihrer Nachbarschaft wahr. Bisher wissen wir allerdings sehr wenig über die Kausalität dieser Beziehung: Führen Onlinenachbarschaftsgruppen zu mehr Zusammenhalt? Oder ist es umgekehrt, und ein hoher Zusammenhalt ist eine notwendige Bedingung für die Entstehung und die Nutzung von Onlinenachbarschaftsgruppen?
Jan Üblacker ist Professor für Quartiersentwicklung, insbesondere Wohnen im Quartier, an der EBZ Business School in Bochum und leitet das Forschungsprojekt „Bin ich schon drin?“. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Digitalisierung, Gentrifizierung, Wohnen, Wohnungsmärkte und soziale Integration.
Wie viele Nachbar*innen tauschen sich denn schon digital aus?
Wir haben eine Befragung von circa 3.600 Bewohner*innen in 166 zufällig ausgewählten Wohngebieten in Essen und Köln durchgeführt. Wir wollten wissen, ob und wie die Menschen online im eigenen Stadtteil vernetzt sind, zum Beispiel in dort ansässigen Sportvereinen oder Chorgruppen. Auch haben wir die Menschen gefragt, ob sie sich in Onlinegruppen mit Mitgliedern ihres Mehrfamilienhauses austauschen. Dabei haben wir herausgefunden, dass etwa die Hälfte der Befragten mindestens eine Onlinegruppe mit Bezug zur Nachbarschaft nutzt. Das ist eine überraschend hohe Zahl.
Wir konnten außerdem feststellen, dass es bei Menschen mit und ohne Migrationsbiografie nur sehr geringe Unterschiede in der Nutzung von Onlinenachbarschaftsgruppen gibt. Dieser Befund lässt vermuten, dass Onlinenachbarschaftsgruppen Integration und Teilhabe befördern können. Wir finden allerdings auch bekannte Muster sozialer Ungleichheit: Je höher der Bildungsabschluss einer Person, desto eher ist diese auch online mit ihrer Nachbarschaft vernetzt.
Unter den richtigen Rahmenbedingungen können Onlinenachbarschaftsgruppen Integration und Teilhabe befördern
In einem zweiten Schritt haben Sie 40 Menschen aus Essen-Steele und Köln interviewt, um mehr über die tatsächliche Nutzung und die Bedeutung der Gruppen zu erfahren. Sie werten die Ergebnisse Ihrer Befragung aktuell noch aus. Was können Sie uns schon jetzt verraten?
Das zentrale Medium des Austauschs sind Messengerdienste wie WhatsApp. Andere soziale Netzwerke spielen auch eine Rolle, aber untergeordnet. Solche Dienste sind eine wichtige Voraussetzung, weil digitale Kommunikation fast immer vermittelt über Plattformen stattfindet und der Nutzen steigt, wenn alle auf einer Plattform sind. Mein Team und ich gehen aktuell der These nach, dass Onlinenachbarschaftsgruppen auch als Orte der Begegnung funktionieren. Das heißt, sie ermöglichen den Kontakt von Personen mit unterschiedlichen sozialen und kulturellen Hintergründen. Nach unserem derzeitigen Stand sieht es so aus, als wäre das zumindest in einigen Wohngebieten tatsächlich der Fall. Dort kommunizieren Menschen über die Grenzen ihrer „Bubbles“ hinaus.
Das ist eine gute Nachricht!
Jein. Wir wissen noch zu wenig über die Folgen dieser Kommunikation. Kontakt heißt erst mal nur Kontakt. Ob der dann zu gesellschaftlich wünschenswerten Ergebnissen wie etwa mehr Toleranz oder gegenseitiger Hilfeleistung führt, können wir derzeit noch nicht sagen. Gleichzeitig dürfen wir nicht vergessen, dass es auch im digitalen Raum Schwellen gibt. Während die meisten Menschen rausgehen, sich in den Park setzen und Kontakte knüpfen können, bedarf es zumindest eines Smartphones mit Datentarif, ausreichender Signalstärke und Fähigkeiten im Umgang mit den Geräten und Applikationen, um Teil einer Onlinenachbarschaftsgruppe zu werden. Ich sage das so ausdrücklich, weil man nicht ohne Weiteres voraussetzen kann, dass alle über die Mittel und Fähigkeiten für die Teilhabe an einer zunehmend digitalisierten Gesellschaft verfügen.
Außerdem scheint es so zu sein, dass man zumindest einige Menschen in der Nachbarschaft kennen muss, um Interesse an einer Onlinegruppe zu haben. So wissen wir beispielsweise, dass es in Nachbarschaften mit höherer sozialer Vernetzung auch mehr Nutzung von Onlinegruppen gibt. Wie gesagt, offen bleibt die Frage nach der Kausalität. Aber das ist das Gute an meiner Arbeit: In der Soziologie bleibt es immer spannend!
Bin ich schon drin?
Im Forschungsprojekt „Bin ich schon drin?“ untersucht eine Forschungsgruppe unter der Leitung von Jan Üblacker die Auswirkungen der Digitalisierung auf das Zusammenleben in der Nachbarschaft. 166 Wohngebiete in den Städten Essen und Köln wurden dafür beispielhaft herangezogen. Beteiligt am Projekt sind die EBZ Business School (FH) in Bochum und das ILS – Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung.
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