Fünf Fragen zu Deutschlands Digitalpolitik
Von Cybermobbing bis Chatkontrolle: Das Bündnis F5 will Politiker*innen Anstöße geben und ihre Entscheidungen kritisch hinterfragen. Fünf Themen, für die sich die Netzinitiative einsetzt – für eine starke Zivilgesellschaft und Demokratie in der digitalisierten Gesellschaft.
Darf Amazon persönliche Daten für Werbezwecke verwenden? Wie können sich Nutzer*innen wehren, wenn sie auf Instagram öffentlich diffamiert werden? Mit Fragen wie diesen beschäftigt sich das Bündnis F5. Es ist ein Zusammenschluss gemeinnütziger Organisationen, die sich in der Digitalpolitik für die Zivilgesellschaft und Demokratie stark machen.
Sicher surfen in Deutschland: Wie geht es bei der Stärkung digitaler Bürgerrechte voran?
Ende 2021 trat der Koalitionsvertrag der gegenwärtigen Ampel-Regierung in Kraft. Im Bereich „Digitales“ sind darin 18 Vorhaben festgehalten. So soll beispielsweise der Breitbandausbau angekurbelt, ein Gesetz gegen digitale Gewalt auf den Weg gebracht oder sollen Hersteller für die Schäden von IT-Sicherheitslücken in die Verantwortung genommen werden. Knapp zwei Jahre später sind zwölf der Projekte noch in Arbeit, fünf aufgeschoben und eines zurückgestellt. Umgesetzt ist noch keines der Projekte. Für Kai Dittmann ist das eine ernüchternde Bilanz: „Zu Beginn der Koalition waren wir als Bündnis F5 eher optimistisch. Digitalpolitik wurde im Koalitionsvertrag großgeschrieben, und es war geplant, die Zivilgesellschaft mehr einzubeziehen“, sagt der Leiter der Politikarbeit bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und Koordinator beim Bündnis F5. „Bislang zeigt die Umsetzung allerdings: Da ist noch viel Luft nach oben.“ Laut Dittmann bräuchte es vor allem mehr Austauschformate mit Ministerien und Parlamenten, damit die Belange der Bürger*innen stärker in digitale Vorhaben einfließen. „Das einzufordern, ist Kern unserer Bündnisarbeit.“
Digital Services Act in Kraft: Wer setzt die neuen Regeln für Internetriesen durch?
Seit Ende August 2023 gilt der Digital Services Act (DSA): ein EU-weites Gesetz, das den Schutz und die Rechte von Internetnutzer*innen stärken soll. Das umfangreiche Regelwerk richtet sich an die Betreiber von Onlinemarktplätzen, App-Stores und Social-Media-Plattformen, die ihre Dienste in Europa anbieten. Plattformen müssen zum Beispiel wirksame Maßnahmen treffen, die Kinderpornografie, Hetze gegen Minderheiten, Desinformation und andere systemische Risiken eindämmen. Dazu gehört auch das Verbot sogenannter Dark Patterns, bei denen User*innen durch manipulative Designs zu einer Handlung gedrängt werden (zum Beispiel durch Angaben wie „Produkt nur noch einmal verfügbar“). Zudem darf Werbung nicht mehr auf Basis sensibler persönlicher Daten wie der politischen Einstellung oder der sexuellen Orientierung ausgespielt werden.
Zuerst gilt der DSA für Plattformen und Suchmaschinen mit über 45 Millionen monatlichen Nutzer*innen, etwa Google, Facebook oder Amazon. Verstöße können Geldstrafen in Milliardenhöhe nach sich ziehen. Wie und ob große Unternehmen dem DSA nachkommen, kontrolliert die EU-Kommission. Kleinere Digitalfirmen, für die das Gesetz ab Februar 2024 gilt, werden von nationalen Digital Services Coordinators in den einzelnen EU-Ländern beaufsichtigt. Wie die Zuständigkeiten genau geregelt werden, ist bis heute unklar. Die deutschen Behörden würden sich seit Monaten um Zuständigkeiten streiten und damit die notwendigen Vorbereitungen für eine effektive Plattformaufsicht verzögern, klagt das Bündnis F5 in einer Stellungnahme. „Es ist aber sehr wichtig, dass wir rechtzeitig einen starken Digital Services Coordinator haben, der oder die Anfragen zügig bearbeiten kann“, sagt Dittmann. Sonst verliert das Gesetz an Wirkung.
Schutz vor digitaler Gewalt: Was braucht ein Gesetz gegen Hatespeech im Netz?
Wer im Netz Opfer von Hatespeech, Beleidigungen, Drohungen oder anderen diffamierenden Posts wird, hat es momentan schwer, dagegen vorzugehen. Es kann Jahre dauern, bis eine Anklage vor Gericht entschieden ist und Täter*innen zur Rechenschaft gezogen werden. Wenn überhaupt. Der betreffende Beitrag bleibt mitunter die ganze Zeit über online. Ein großes Problem, findet das Bündnis F5 und legte dem zuständigen Bundesministerium im Frühjahr 2023 den Entwurf für ein digitales Gewaltschutzgesetz vor. „Uns ist wichtig, für Betroffene schnelle Abhilfe zu schaffen und den Täter*innen das Megafon aus der Hand zu nehmen“, sagt Bündnisvertreter Kai Dittmann. Das vorgeschlagene Gesetz soll die Möglichkeit geben, gegen Onlineplattformen vorzugehen, da Hetzende oft unter Pseudonymen operieren und schwer zu identifizieren sind. Die Idee ist, herabsetzende Inhalte löschen oder den Account der Verursacher*innen für eine bestimmte Zeit sperren zu lassen – und das so rasch wie möglich. „Richter*innen sollen solche Entscheidungen in Schnellverfahren in wenigen Tagen treffen können“, erklärt Dittmann.
Chatkontrolle in der EU: Verletzt der Gesetzesentwurf für WhatsApp und Co. die Privatsphäre?
Im Kampf gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern legte die EU-Kommission im Mai 2022 einen Gesetzesentwurf vor. Onlineplattformen und Anbieter von Messengerdiensten sollen demnach verpflichtet werden, die Inhalte von Nutzer*innen nach Kinderpornografie und gezieltem Kontaktaufbau zu Minderjährigen („Grooming“) zu durchsuchen und den Ermittlungsbehörden zu melden. Das betrifft einzelne Fotos und Videos genauso wie ganze Chatverläufe. Im Juli 2023 kritisierten über 300 internationale Forscher*innen die „Chatkontrolle“, wie das Gesetz gemeinhin genannt wird. So seien noch keine geeigneten Scanning-Technologien vorhanden, um eine automatische Durchleuchtung überhaupt zu ermöglichen. Auch würde die Chatkontrolle erheblich in das Recht auf Privatsphäre und den Schutz personenbezogener Daten eingreifen. „Das Gesetz öffnet die Möglichkeit für eine ungebremste Massenüberwachung“, warnt Dittmann. Noch verhandeln EU-Parlament und EU-Staaten über den Entwurf, um das fertige Gesetz vor der Europawahl im Juni 2024 zu beschließen. „Die Chatkontrolle ist keine Lösung“, so der rechtsversierte Leiter für Politikarbeit der GFF. „Das ganze Gesetz muss eingestampft und neu aufgesetzt werden.“
Akteneinsicht leicht gemacht: Braucht das Informationsfreiheitsgesetz ein Update?
Bürger*innen haben hierzulande ein Anrecht auf die Einsicht in staatliche Dokumente und Akten. Das regelt das im Januar 2006 eingeführte Informationsfreiheitsgesetz. Wer bei einer Behörde einen Antrag stellt, erhält binnen einem Monat Antwort – ausgenommen zu personenbezogenen Daten Dritter, Geschäftsgeheimnissen oder Informationen von Nachrichtendiensten. „In der Praxis hapert es leider oft mit der Umsetzung“, berichtet Dittmann. „Mitunter müssen Betroffene klagen, um ihr Recht durchzusetzen.“ Auch können für die Auskünfte Kosten anfallen. „Eine Gebühr von bis zu 500 Euro für eine Information schreckt natürlich viele ab“, erklärt der Bündniskoordinator. „Deshalb fordern wir ein Transparenzgesetz auf Bundesebene.“ Transparenzgesetze gibt es schon in einigen Bundesländern, in Hamburg etwa. Sie erweitern die reaktive Informationspflicht von Behörden um eine aktive Veröffentlichungspflicht. Der Staat wäre somit verpflichtet, wichtige Daten und Dokumente wie Verträge mit Unternehmen von sich aus online einsehbar zu machen.
Bündnis F5
Das Bündnis F5 besteht aus fünf gemeinnützigen Organisationen, die sich in der Digitalpolitik für die Zivilgesellschaft stark machen. Mit dabei sind die Gesellschaft für Freiheitsrechte, Reporter ohne Grenzen, Wikimedia, AlgorithmWatch und die Open Knowledge Foundation Deutschland. Die Netzinitiative schloss sich im September 2021 zusammen, um Ressourcen zu bündeln und gemeinsam eine größere Schlagkraft zu haben. Kern ihrer Arbeit ist ein strukturierter Dialog mit Politikschaffenden zu digitalpolitischen Themen wie Privatsphäre, digitale Sicherheit, Open Data, Transparenz oder Hass und Hetze im Netz.
buendnis-f5.de