Fünf Fragen zu Deutschlands Digitalpolitik

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Fünf Fragen zu Deutschlands Digitalpolitik
Autorin: Janina Schrupp Illustrationen: Sebastian König 10.10.2023

Von Cybermobbing bis Chatkontrolle: Das Bündnis F5 will Politiker*innen Anstöße geben und ihre Entscheidungen kritisch hinter­fragen. Fünf Themen, für die sich die Netzin­itiative einsetzt – für eine starke Zivil­gesellschaft und Demokratie in der digitalisierten Gesellschaft.

Darf Amazon persönliche Daten für Werbe­zwecke verwenden? Wie können sich Nutzer*innen wehren, wenn sie auf Instagram öffentlich diffamiert werden? Mit Fragen wie diesen beschäftigt sich das Bündnis F5. Es ist ein Zusammen­schluss gemein­nütziger Organisationen, die sich in der Digital­politik für die Zivil­gesellschaft und Demokratie stark machen.

Sicher surfen in Deutschland: Wie geht es bei der Stärkung digitaler Bürger­rechte voran?

Ende 2021 trat der Koalitions­vertrag der gegen­wärtigen Ampel-Regierung in Kraft. Im Bereich „Digitales“ sind darin 18 Vorhaben festgehalten. So soll beispielsweise der Breit­band­ausbau angekurbelt, ein Gesetz gegen digitale Gewalt auf den Weg gebracht oder sollen Hersteller für die Schäden von IT-Sicherheits­lücken in die Verantwortung genommen werden. Knapp zwei Jahre später sind zwölf der Projekte noch in Arbeit, fünf aufgeschoben und eines zurück­gestellt. Umgesetzt ist noch keines der Projekte. Für Kai Dittmann ist das eine ernüchternde Bilanz: „Zu Beginn der Koalition waren wir als Bündnis F5 eher optimistisch. Digital­politik wurde im Koalitions­vertrag groß­geschrieben, und es war geplant, die Zivil­gesellschaft mehr ein­zu­beziehen“, sagt der Leiter der Politik­arbeit bei der Gesellschaft für Freiheits­rechte (GFF) und Koordinator beim Bündnis F5. „Bislang zeigt die Umsetzung allerdings: Da ist noch viel Luft nach oben.“ Laut Dittmann bräuchte es vor allem mehr Austausch­formate mit Ministerien und Parlamenten, damit die Belange der Bürger*innen stärker in digitale Vorhaben einfließen. „Das einzufordern, ist Kern unserer Bündnis­arbeit.“

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Starke Hand der Justiz: Eine gute Gesetzgebung schafft die Grundlage, um die Rechte von Bürger*innen im Netz zu sichern. © Sebastian König

Digital Services Act in Kraft: Wer setzt die neuen Regeln für Internet­riesen durch?

Seit Ende August 2023 gilt der Digital Services Act (DSA): ein EU-weites Gesetz, das den Schutz und die Rechte von Internet­nutzer*innen stärken soll. Das umfang­reiche Regel­werk richtet sich an die Betreiber von Online­markt­plätzen, App-Stores und Social-Media-Plattformen, die ihre Dienste in Europa anbieten. Plattformen müssen zum Beispiel wirksame Maßnahmen treffen, die Kinder­porno­grafie, Hetze gegen Minderheiten, Desinformation und andere systemische Risiken eindämmen. Dazu gehört auch das Verbot sogenannter Dark Patterns, bei denen User*innen durch manipulative Designs zu einer Handlung gedrängt werden (zum Beispiel durch Angaben wie „Produkt nur noch einmal verfügbar“). Zudem darf Werbung nicht mehr auf Basis sensibler persönlicher Daten wie der politischen Einstellung oder der sexuellen Orientierung ausgespielt werden.

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Zuerst gilt der DSA für Plattformen und Such­maschinen mit über 45 Millionen monatlichen Nutzer*innen, etwa Google, Facebook oder Amazon. Verstöße können Geldstrafen in Milliarden­höhe nach sich ziehen. Wie und ob große Unternehmen dem DSA nach­kommen, kontrolliert die EU-Kommission. Kleinere Digital­firmen, für die das Gesetz ab Februar 2024 gilt, werden von nationalen Digital Services Coordinators in den einzelnen EU-Ländern beaufsichtigt. Wie die Zuständigkeiten genau geregelt werden, ist bis heute unklar. Die deutschen Behörden würden sich seit Monaten um Zuständigkeiten streiten und damit die notwendigen Vorbereitungen für eine effektive Platt­form­aufsicht verzögern, klagt das Bündnis F5 in einer Stellung­nahme. „Es ist aber sehr wichtig, dass wir recht­zeitig einen starken Digital Services Coordinator haben, der oder die Anfragen zügig bearbeiten kann“, sagt Dittmann. Sonst verliert das Gesetz an Wirkung.

Smartphone
Schutzlos ausgeliefert: Die Mittel, um schnell und wirksam gegen digitale Gewalt vorzugehen, sind für Betroffene oft begrenzt. © Sebastian König

Schutz vor digitaler Gewalt: Was braucht ein Gesetz gegen Hatespeech im Netz?

Wer im Netz Opfer von Hatespeech, Beleidigungen, Drohungen oder anderen diffamierenden Posts wird, hat es momentan schwer, dagegen vorzugehen. Es kann Jahre dauern, bis eine Anklage vor Gericht entschieden ist und Täter*innen zur Rechen­schaft gezogen werden. Wenn überhaupt. Der betreffende Beitrag bleibt mitunter die ganze Zeit über online. Ein großes Problem, findet das Bündnis F5 und legte dem zuständigen Bundes­ministerium im Frühjahr 2023 den Entwurf für ein digitales Gewalt­schutz­gesetz vor. „Uns ist wichtig, für Betroffene schnelle Abhilfe zu schaffen und den Täter*innen das Megafon aus der Hand zu nehmen“, sagt Bündnis­vertreter Kai Dittmann. Das vorgeschlagene Gesetz soll die Möglichkeit geben, gegen Online­platt­formen vor­zu­gehen, da Hetzende oft unter Pseudonymen operieren und schwer zu identifizieren sind. Die Idee ist, herabsetzende Inhalte löschen oder den Account der Verursacher*innen für eine bestimmte Zeit sperren zu lassen – und das so rasch wie möglich. „Richter*innen sollen solche Entscheidungen in Schnell­verfahren in wenigen Tagen treffen können“, erklärt Dittmann.

Textnachricht
Mitlesen verboten: Chats aus Messengerdiensten müssen vor Abhörung geschützt werden. © Sebastian König

Chatkontrolle in der EU: Verletzt der Gesetzes­entwurf für WhatsApp und Co. die Privat­sphäre?

Im Kampf gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern legte die EU-Kommission im Mai 2022 einen Gesetzes­entwurf vor. Online­platt­formen und Anbieter von Messenger­diensten sollen demnach verpflichtet werden, die Inhalte von Nutzer*innen nach Kinder­porno­grafie und gezieltem Kontakt­aufbau zu Minder­jährigen („Grooming“) zu durch­suchen und den Ermittlungs­behörden zu melden. Das betrifft einzelne Fotos und Videos genauso wie ganze Chat­verläufe. Im Juli 2023 kritisierten über 300 inter­nationale Forscher*innen die „Chat­kontrolle“, wie das Gesetz gemeinhin genannt wird. So seien noch keine geeigneten Scanning-Technologien vorhanden, um eine automatische Durch­leuchtung überhaupt zu ermöglichen. Auch würde die Chat­kontrolle erheblich in das Recht auf Privatsphäre und den Schutz personen­bezogener Daten eingreifen. „Das Gesetz öffnet die Möglichkeit für eine ungebremste Massen­über­wachung“, warnt Dittmann. Noch verhandeln EU-Parlament und EU-Staaten über den Entwurf, um das fertige Gesetz vor der Euro­pawahl im Juni 2024 zu beschließen. „Die Chat­kontrolle ist keine Lösung“, so der rechts­versierte Leiter für Politik­arbeit der GFF. „Das ganze Gesetz muss eingestampft und neu aufgesetzt werden.“

Akteneinsicht leicht gemacht: Braucht das Informations­freiheits­gesetz ein Update?

Bürger*innen haben hierzulande ein Anrecht auf die Einsicht in staatliche Dokumente und Akten. Das regelt das im Januar 2006 eingeführte Informations­freiheits­gesetz. Wer bei einer Behörde einen Antrag stellt, erhält binnen einem Monat Antwort – ausgenommen zu personen­bezogenen Daten Dritter, Geschäfts­geheimnissen oder Informationen von Nachrichten­diensten. „In der Praxis hapert es leider oft mit der Umsetzung“, berichtet Dittmann. „Mitunter müssen Betroffene klagen, um ihr Recht durch­zu­setzen.“ Auch können für die Auskünfte Kosten anfallen. „Eine Gebühr von bis zu 500 Euro für eine Information schreckt natürlich viele ab“, erklärt der Bündnis­koordinator. „Deshalb fordern wir ein Transparenz­gesetz auf Bundes­ebene.“ Transparenz­gesetze gibt es schon in einigen Bundes­ländern, in Hamburg etwa. Sie erweitern die reaktive Informations­pflicht von Behörden um eine aktive Veröffentlichungs­pflicht. Der Staat wäre somit verpflichtet, wichtige Daten und Dokumente wie Verträge mit Unternehmen von sich aus online einsehbar zu machen.


Bündnis F5

Das Bündnis F5 besteht aus fünf gemein­nützigen Organisationen, die sich in der Digital­politik für die Zivil­gesellschaft stark machen. Mit dabei sind die Gesellschaft für Freiheits­rechte, Reporter ohne Grenzen, Wikimedia, AlgorithmWatch und die Open Knowledge Foundation Deutschland. Die Netz­initiative schloss sich im September 2021 zusammen, um Ressourcen zu bündeln und gemeinsam eine größere Schlagkraft zu haben. Kern ihrer Arbeit ist ein strukturierter Dialog mit Politik­schaffenden zu digital­politischen Themen wie Privats­phäre, digitale Sicherheit, Open Data, Transparenz oder Hass und Hetze im Netz.
buendnis-f5.de