Was kann ich gegen Hatespeech tun?
Tagtäglich fluten hasserfüllte Sätze den digitalen Raum. Gewalt in Worten, die Menschen zum Schweigen bringt und die demokratische Debattenkultur gefährdet. Was digitale Zivilcourage bedeutet und wie Wissen gegen Hatespeech hilft, lernen junge Menschen aus Sachsen in den re:set-Workshops der Amadeu Antonio Stiftung aus Leipzig.
Von der Wall of Hate grinst ein Clownsgesicht, nebenan hebt ein kleiner dunkelblonder Emoji-Junge seinen rechten Arm zum Gruß, ein Leerzeichen weiter weht die digitale Deutschlandflagge. An der Stellwand im Seminarraum des re:set-Workshops der Amadeu Antonio Stiftung in einer Jugendbildungsstätte in Weimar sind farbenfrohe Piktogramme zu sehen, die bei Nazis und Rassist*innen besonders beliebt sind. So wie die Schwarze Sonne, die gerade mittels eines Projektors an der weißen Wand aufgeht. „Weiß jemand, was dieses Symbol bedeutet?“, fragt Bildungsreferentin und Workshop-Leiterin Julia in die Runde.
„Das ist eine abgewandelte Version des verbotenen Hakenkreuzes der Nationalsozialisten, die in der rechten Szene stattdessen gern verwendet wird“, sagt Felix, einer der Workshop-Teilnehmenden. „Die SS ließ das Symbol damals von KZ-Häftlingen als Mosaik in den Boden ihrer zentralen Schulungsstätte auf der Wewelsburg bei Paderborn einlassen.“ Der 35-Jährige arbeitet als freier politischer Bildner in Leipzig. Heute lernen er und acht weitere Workshop-Teilnehmer*innen alles über die Dimensionen digitaler Hassrede – und wie sie sich ihr entgegenstellen können. Ihr Wissen geben sie künftig als Teamer*innen im Rahmen der re:set-Workshopreihe „Jugend gegen Hass im Netz“ an junge Menschen in Sachsen weiter. Das Land ist eine AfD-Hochburg und gilt als Anziehungspunkt für bundesweit wichtige Akteur*innen der extremen Rechten und verschwörungsideologischen Szene.
Rechte Codes entschlüsseln
Laut der JIM-Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest begegnen Jugendliche zwischen 12 und 19 Jahren regelmäßig Fake News und Hatespeech. Und das an Orten, an denen sie ihr digitales Leben verbringen. Auf Instagram, TikTok, YouTube und WhatsApp hat sich der Hass längst breitgemacht und richtet sich nach Erfahrung der befragten Jugendlichen vor allem gegen die Sexualität und das Aussehen von Menschen, wie etwa die Hautfarbe.
Rund 77 Prozent aller Hasskommentare im Internet stammen laut Zahlen des Bundeskriminalamtes aus dem rechtsextremen Spektrum. Nicht immer sind sie auf den ersten Blick als solche zu erkennen. Umso wichtiger ist die Decodierung rechter Bild- und Zeichensprache und das Wissen um die Strategien antidemokratischer Akteur*innen.
Gut getarnter Hass
Auf dem Smartphone von Felix erscheint ein Meme, das vier muskulöse Männerarme unterschiedlicher Hautfarbe in bunten T-Shirts zeigt. Ihre Hände sind ineinander verschränkt. In großen weißen Lettern sind darauf die Worte SUPERBI, SUPERLESBIAN, SUPERGAY und SUPERSTRAIGHT zu lesen. Und der Satz: „Knowing our sexuality matters and is not up for debate.“ Dieses Meme ist Teil der Übung „Hide & Seek“, in der die Teilnehmenden einschätzen sollen, ob die jeweiligen Inhalte problematisch sind. Felix tippt den Hashtag „Superstraight“ in eine Meme-Suchmaschine und wird gleich fündig. Was auf den ersten Blick womöglich Wokeness suggerieren könnte, ist in Wahrheit zutiefst transfeindlich und ein Meme, das von Rechtsextremen verbreitet wird.
Die Workshop-Leiterin Julia sagt: „Memes, Emojis und GIFs sind fester Bestandteil rechtsextremer Onlinestrategien, um Hassrede zu platzieren. Oft werden diskriminierende Inhalte darin humoristisch codiert, also versteckt verbreitet.“ Eine getarnte Form des digitalen Hasses, dem auch die Workshop-Teilnehmerin Lina in ihrem beruflichen Umfeld oft begegnet. Die 23-Jährige aus Erfurt, die Internationale Beziehungen und Kommunikationswissenschaften studiert, leistet freiberuflich Bildungsarbeit zum Thema Demokratie und ist in Schulen im ländlichen Raum Thüringens unterwegs. „Viele GIFs und WhatsApp-Sticker, die sich Schüler*innen gegenseitig schicken, sind wahnsinnig antisemitisch, rassistisch und sexistisch“, so Lina.
Erste Hilfe gegen Hass*
Tipp 1: Unterstützung suchen und melden
Wer mit Hassrede im Netz konfrontiert ist, sollte damit nicht allein bleiben. Es kann hilfreich sein, sich damit an Freund*innen, Mitkommentierende oder Initiativen zu wenden. In den meisten sozialen Netzwerken lassen sich Hasskommentare zudem mit wenigen Klicks zur Überprüfung melden. Grundsätzlich ist wichtig: Wer sich an öffentlichen Debatten beteiligt, sollte gegebenenfalls seine Privatsphäre-Einstellungen anpassen und darauf achten, dass keine persönlichen Infos sichtbar sind.
Tipp 2: Daten sammeln und dokumentieren
Viele Hasskommentare sind strafrechtlich relevant. Stößt man online auf rassistische, antisemitische oder diskriminierende Äußerungen, sollten diese per Screenshot mit sichtbarer URL festgehalten werden. Wichtig ist zudem, dass Datum und Uhrzeit auf dem Screenshot zu sehen sind sowie die User-ID der kommentierenden Person. Dafür muss das Profil geöffnet und die komplette URL-Adresse abfotografiert werden.
Tipp 3: Zur Anzeige bringen
Sollte das Melden eines Hasskommentars bei der Plattform erfolglos bleiben, besteht jederzeit auch die Möglichkeit einer Strafanzeige. Entweder bei der nächsten Polizeiwache oder über die Onlinewachen im Internet. Die Anzeige von Hasskommentaren ist übrigens auch anonym möglich. Wichtig sind dafür nur die oben genannten Screenshots.
Bei all dem gilt: Die eigenen Grenzen kennen! Digitaler Selbstschutz ist wichtig und richtig – etwa durch die Vernetzung mit anderen Engagierten oder durch regelmäßige Privatsphärenchecks.
*erstellt mit Input der Amadeu Antonio Stiftung
Rechte Erlebniswelten
Mit solchen Mitteln versuchen Rechte, online politischen Einfluss zu gewinnen und Betroffene zum Schweigen zu bringen. Eine Strategie, die als Silencing bezeichnet wird und oft erfolgreich ist. So gaben etwa zwei Drittel aller befragten Jugendlichen der JIM-Studie an, aus Angst vor negativen Reaktionen ihre Meinung nicht mehr öffentlich zu äußern.
Dieser Entwicklung will Lina entgegenwirken, und sie will auch mögliche Konsequenzen aufzeigen, im digitalen Raum und in den Klassenzimmern. „Ich will die schweigende Mehrheit erreichen und Jugendlichen verdeutlichen, wo die Spirale der Radikalisierung beginnt und wo sie schlimmstenfalls endet – nämlich bei rechtsextremistisch motivierten Morden.“
Was sie mit Sorge sieht: „Rechte schaffen online eine Erlebniswelt, die dazu führen kann, dass Hass sich einfach cool anfühlt, wie ein Spiel. Da hinken demokratische Initiativen leider ziemlich hinterher“, meint Lina. Zudem werde das Internet in Bezug auf medienpädagogische Angebote vernachlässigt: „Noch immer unterscheiden viele zwischen der analogen, vermeintlich echten und der digitalen, nicht echten Welt. Der digitale Raum muss ernster genommen werden, denn dort findet das Leben von Jugendlichen statt.“ Konzepte wie Digital Streetwork, also Präventionsarbeit in sozialen Netzwerken, sollten flächendeckend eingesetzt werden.
Demokratische Internetpflege
Eine Arbeit, die von gesamtgesellschaftlichem Interesse sein sollte. Denn Hasskommentare sind nicht allein für Betroffene belastend, sondern haben auch weitreichende Folgen für die demokratische Debattenkultur. Dominieren die Hater*innen die Kommentarspalten, schrumpft die Meinungsvielfalt, und es entsteht der Anschein, sie seien in der Mehrheit. Felix sagt: „Das Internet war mal ein Raum für Utopien und Ideen, für freies Wissen, Vernetzung und Verständnis. Im Moment hat es für mich vor allem dystopische Züge.“
Was sich dem Hass entgegensetzen lässt, lernen Felix und Lina im re:set-Workshop: konkrete Handlungsmöglichkeiten wie das Melden von Kommentaren auf Plattformen, aktive Gegenrede oder die Möglichkeit einer Strafanzeige. Felix ist es wichtig, sich online mit Betroffenen zu solidarisieren, durch bestärkende Posts oder eine aufbauende persönliche Nachricht. Lina versucht, den Algorithmus mit zielgerichteten Likes zu beeinflussen, um die Reichweite rechter Inhalte so zu reduzieren. „Natürlich kann man nicht auf jeden Hasskommentar reagieren, aber wir alle müssen das Internet ein bisschen pflegen“, sagt Felix. „Das kann einmal am Tag sein, einmal in der Woche oder einmal im Monat.“ Für ihn und Lina ist klar: Wegsehen und schweigen sind keine Optionen. Das wollen sie künftig auch in ihren Workshops für die Amadeu Antonio Stiftung vermitteln.
re:set „Jugend gegen Hass im Netz“
Die re:set-Workshopreihe „Jugend gegen Hass im Netz“ der Amadeu Antonio Stiftung ist ein Bildungsangebot, das konkrete Handlungsmöglichkeiten gegen Hassrede im Internet vermittelt. In Workshops und Fortbildungen werden die Teilnehmer*innen mit dem nötigen Wissen und einem methodischen Werkzeugkasten ausgestattet, um ihre digitalen Kompetenzen an junge Menschen und Lehr- oder Fachkräfte in Sachsen weiterzugeben.