Dicke Luft im Haus: Was tun bei Nachbar­schafts­konflikten?

Kommunales Krisenmanagement
Dicke Luft im Haus: Was tun bei Nachbar­schafts­konflikten?
Autorin: Carola Hoffmeister 10.08.2023

Mülltrennung, Parken, Nachtruhe: Das Leben in deutschen Miets­­woh­nun­gen kennt viele Regeln. Wer neu dazukommt, tut sich oft schwer. Da sind Konflikte zwischen den alten und neuen Mieter*innen vorpro­grammiert. Wie Kommunen damit umgehen, weiß Silke Peters, die stell­vertretende Leiterin des Kommunalen Inte­gra­tions­zentrums der StädteRegion Aachen.

Frau Peters, welche Konflikte werden häufig an Sie heran­getragen?

Silke Peters: Ich arbeite im Kommunalen Integrations­­zentrum der StädteRegion Aachen, und entsprechend landen bei mir häufig Konflikte aus dem Bereich Migration und Integration. Das ist nicht verwunderlich, denn Integration heißt nicht weniger Konflikte, sondern mehr Konflikte – zumindest auf dem Weg hin zu einer tatsächlich gelungenen Integration. Der Soziologe Aladin El-Mafaalani hat hierfür das Bild des Tisches geprägt. Die erste Generation von Migrant*innen habe sich – böse gesagt – mit den Kuchen­krümeln zufrieden­gegeben, die vom Tisch herunter­gefallen sind. Das ist nicht mehr so. Migrant*innen der zweiten und dritten Generation möchten mit am Tisch sitzen und über das Rezept des Kuchens, der – bildlich gesprochen – gebacken und gegessen wird, mitbestimmen. Die Metapher macht deutlich, dass das nicht ohne Konflikte ablaufen kann. Denn der Platz am Tisch ist begrenzt, und an ihm stoßen unter­schiedliche Interessen aufeinander. Menschen, die in der Integration tätig sind, erleben das tagtäglich. Aber natürlich gibt es weitere Konflikt­felder.

Welche sind das?

Innerhalb der Verwaltungen einer Stadt kann es zu Auseinander­setzungen kommen, die die Verteilung von Ressourcen wie Geld und Fach­kräfte betreffen. Genauso entstehen Konflikte zwischen Menschen, die sich ehren­amtlich enga­gieren, und solchen, die in der Verwaltung einer Stadt tätig sind. Denn die Ehren­amtlichen, die sich bei­spiels­weise um eine Familie aus der Ukraine kümmern, fragen sich möglicher­­weise: „Warum dauert dieser oder jener behördliche Vorgang so lange?“ Der Mensch in der Behörde agiert hingegen innerhalb strikter Rahmen­bedingungen. Ihm ist nicht immer klar, was die Ehren­­amtlichen brauchen, um sich gesehen und gehört zu fühlen. Dieses Verständnis brauchen sie aber, damit sie ihr Engagement fort­­setzen – was ja auch zur Ent­lastung des Verwaltungs­­apparates beiträgt.

Was können Sie da machen?

Im Konflikt zwischen Ehren- und Hauptamt geht es letztlich um die Klärung der unter­schied­lichen Rollen. Dafür eignen sich Aus­tausch­­formate wie ein runder Tisch: Im gemein­samen Gespräch können die Teil­neh­men­den verstehen, welche Aufgaben die Gegen­seite bewältigen muss. Für haupt­amtliche Mit­­arbei­ter*innen beispiels­weise ist Zeit ein knappes Gut. Die ehren­­amtlich Tätigen hingegen bringen gerade sie als Ressource mit. Sie erwarten dafür im Gegenzug aber Anerkennung und Wert­schätzung. Sich hierüber auszutauschen, kann während einer Konflikt­phase sehr hilfreich sein.

Silke Peters
© StädteRegion Aachen, Holger Benend

Silke Peters ist stell­vertretende Leiterin des Kommunalen Integrations­zentrums der StädteRegion Aachen. Außerdem arbeitet sie als Lehr­beauftragte für Politik­wissenschaft an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen (HSPV NRW) und als Dozentin für Inter­kulturelle Kompetenz am Studieninstitut für kommunale Verwaltung Aachen.

Konflikte in der Kommunikation
Ein Haus - zwei Welten: Wo Menschen auf engstem Raum leben, kommt es oft zu Spannungen. Bei Nachbarschaftskonflikten kann professionelles Konfliktmanagement helfen. © Emily Eldridge

Wie sind Sie zu Ihren Erkenntnissen über solche Konflikte gelangt?

Im Rahmen des Projektes „Kommunales Konflikt­management“ treffen 20 Kommunen aufeinander – wir sind eine davon. Aus jeder Kommune haben sich zwei Mitarbeiter*innen im Tandem zusammen­geschlossen und überlegt, welche Probleme es bei ihnen vor der Haustür gibt und wie sie diese lösen können. Wir haben die Stadt Baesweiler mit knapp 30.000 Einwohner*innen zur Modell­kommune erklärt und dort zunächst Interviews durch­geführt. Wir haben mit Mitarbeitenden des Sozialamtes und des Integrations­rates, mit Leuten von der Integrations­agentur sowie mit Ehrenamtlichen oder Mitgliedern religiöser Vereinigungen gesprochen. So konnten wir Spannungs- und Konflikt­felder zunächst einmal benennen. Anschließend haben wir Lösungs­ansätze erarbeitet.

Zum Beispiel?

In Baesweiler gibt es, wie in vielen vergleichbaren Kommunen, klassische Nach­barschafts­konflikte, die, das ist ganz typisch, kulturell aufgeladen sind. So hören wir – zugespitzt gesagt –, dass die neuen Mieter*innen den Müll nicht sortierten, weil sie Muslim*innen seien. Hier gilt es anzusetzen. Denn dass der Müll nicht getrennt wird, hat nichts mit der Herkunft oder Religion zu tun, sondern mit der Tatsache, dass die Neu­ankömmlinge die Gepflogenheiten und Regeln in ihrer neuen Heimat noch nicht kennen.

Austausch ist eines der wichtigsten Werk­zeuge der Konflikt­bearbeitung – und auch der Konflikt­prävention.

Ein typischer Streitgrund im Mietshaus: die Mülltrennung.
Ein typischer Streitgrund im Mietshaus: die Mülltrennung. © Emily Eldridge

Wie lässt sich ein solcher Konflikt konkret beilegen?

In Baesweiler ist eine Sozial­arbeiterin von Tür zu Tür gegangen, die den Menschen zum einen erklärt hat, wofür Müll­trennung gut ist und wie sie funktioniert. Denjenigen, die sich beschwert haben, hat sie verdeutlicht, dass die fehlende Müll­trennung nicht auf eine böse Absicht, sondern auf Unkenntnis zurück­zu­führen ist. Manchmal verstärken schlechte Erfahrungen auch unsere Vorurteile. Dann ist es hilfreich, aufzudecken und aufzuklären, dass es sich eben um Vorurteile handelt.

Und das hilft?

Erfahrungsgemäß, ja. Der persönliche Austausch ist eines der wichtigsten Werkzeuge der Konflikt­bearbeitung – und auch der Konflikt­prävention. Denn im besten Fall kommt es ja gar nicht erst zum Streit. Unser Kommunales Integrations­zentrum hatte schon vorher ein Modell­projekt, in dem wir Neuzugewanderte über ihre Rechte und Pflichten als Mieter*innen informiert und sie dadurch für den Alltag qualifiziert haben.

Wie nachhaltig sind solche Maßnahmen?

Wie sich solche Ansätze im Alltag bewähren, ist immer die große Frage. Grund­sätzlich muss ich sagen, dass die Pandemie mit dem Leben auf Distanz in zahlreichen Kommunen zu einem Rück­schritt geführt hat. Gerade im Bereich Haupt- und Ehren­amt gab es in der Vergan­gen­heit viele Aus­tausch­­formate, durch die die Betei­ligten gut im Gespräch waren – die aber mit der Pandemie einge­schlafen sind. Hieran muss neu angeknüpft werden. In der Städte­Region konnten wir auch viel erreichen durch verschie­dene Platt­­formen – etwa durch Gesprächs­­runden, bei denen wir die Bürger*innen für das Thema Migra­tion sensi­bili­siert haben. Da sprechen wir beispiels­weise konkret darüber, warum Menschen, die die Moschee besuchen, nicht unbedingt zum tradi­tionellen Schützen­­fest kommen. Die Frage lässt sich aber auch anders­herum stellen: Warum nutzen so wenige Menschen den Tag der offenen Moschee, um ihre Nachbar*innen kennen­­zu­­lernen?

Das Projekt „Kommunales Konflikt­management“ läuft bis 2024. Wie geht es danach weiter?

Wünschens­wert wäre ein Roll-out in andere Kommunen, also ein Über­tragen unserer Erkenntnisse auf weitere Gemeinden, sodass das kommu­nale Konflikt­manage­ment in die Regel­struktur der Verwaltung übergeht. Wenn sich auch weitere Kommunen der StädteRegion für ein kommu­nales Konflikt­­management öffnen, könnte eine Über­tragung auf die gesamte Städte­Region Aachen gelingen.


Kommunales Konflikt­management

Kommunen bei der wachsenden Heraus­­forderung einer gelingenden Inte­gration zu unter­stützen, ist das Ziel des Projektes „Kommunales Konfliktmanagement“. Begleitet von der Stiftung Mercator und des Minis­teriums für Kinder, Jugend, Familie, Gleich­stellung, Flucht und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen (MKJFGFI) und in Trägerschaft des Instituts SO.CON – Social Concepts – der Hochschule Niederrhein, wird es bis 2024 durchgeführt. Die Stiftung Mercator und das Land Nordrhein-Westfalen fördern das Projekt in diesem Zeit­raum. Die Idee, ein kommunales Konflikt­­management aufzubauen, ist getragen von der Erkenntnis, dass Inte­gration nicht nur viel Motivation und Tatkraft von allen Betei­ligten erfordert, sondern auch die Kompetenz und Struktur, mit Konflikten gut umgehen zu können.

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