Dicke Luft im Haus: Was tun bei Nachbarschaftskonflikten?
Mülltrennung, Parken, Nachtruhe: Das Leben in deutschen Mietswohnungen kennt viele Regeln. Wer neu dazukommt, tut sich oft schwer. Da sind Konflikte zwischen den alten und neuen Mieter*innen vorprogrammiert. Wie Kommunen damit umgehen, weiß Silke Peters, die stellvertretende Leiterin des Kommunalen Integrationszentrums der StädteRegion Aachen.
Frau Peters, welche Konflikte werden häufig an Sie herangetragen?
Silke Peters: Ich arbeite im Kommunalen Integrationszentrum der StädteRegion Aachen, und entsprechend landen bei mir häufig Konflikte aus dem Bereich Migration und Integration. Das ist nicht verwunderlich, denn Integration heißt nicht weniger Konflikte, sondern mehr Konflikte – zumindest auf dem Weg hin zu einer tatsächlich gelungenen Integration. Der Soziologe Aladin El-Mafaalani hat hierfür das Bild des Tisches geprägt. Die erste Generation von Migrant*innen habe sich – böse gesagt – mit den Kuchenkrümeln zufriedengegeben, die vom Tisch heruntergefallen sind. Das ist nicht mehr so. Migrant*innen der zweiten und dritten Generation möchten mit am Tisch sitzen und über das Rezept des Kuchens, der – bildlich gesprochen – gebacken und gegessen wird, mitbestimmen. Die Metapher macht deutlich, dass das nicht ohne Konflikte ablaufen kann. Denn der Platz am Tisch ist begrenzt, und an ihm stoßen unterschiedliche Interessen aufeinander. Menschen, die in der Integration tätig sind, erleben das tagtäglich. Aber natürlich gibt es weitere Konfliktfelder.
Welche sind das?
Innerhalb der Verwaltungen einer Stadt kann es zu Auseinandersetzungen kommen, die die Verteilung von Ressourcen wie Geld und Fachkräfte betreffen. Genauso entstehen Konflikte zwischen Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren, und solchen, die in der Verwaltung einer Stadt tätig sind. Denn die Ehrenamtlichen, die sich beispielsweise um eine Familie aus der Ukraine kümmern, fragen sich möglicherweise: „Warum dauert dieser oder jener behördliche Vorgang so lange?“ Der Mensch in der Behörde agiert hingegen innerhalb strikter Rahmenbedingungen. Ihm ist nicht immer klar, was die Ehrenamtlichen brauchen, um sich gesehen und gehört zu fühlen. Dieses Verständnis brauchen sie aber, damit sie ihr Engagement fortsetzen – was ja auch zur Entlastung des Verwaltungsapparates beiträgt.
Was können Sie da machen?
Im Konflikt zwischen Ehren- und Hauptamt geht es letztlich um die Klärung der unterschiedlichen Rollen. Dafür eignen sich Austauschformate wie ein runder Tisch: Im gemeinsamen Gespräch können die Teilnehmenden verstehen, welche Aufgaben die Gegenseite bewältigen muss. Für hauptamtliche Mitarbeiter*innen beispielsweise ist Zeit ein knappes Gut. Die ehrenamtlich Tätigen hingegen bringen gerade sie als Ressource mit. Sie erwarten dafür im Gegenzug aber Anerkennung und Wertschätzung. Sich hierüber auszutauschen, kann während einer Konfliktphase sehr hilfreich sein.
Silke Peters ist stellvertretende Leiterin des Kommunalen Integrationszentrums der StädteRegion Aachen. Außerdem arbeitet sie als Lehrbeauftragte für Politikwissenschaft an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen (HSPV NRW) und als Dozentin für Interkulturelle Kompetenz am Studieninstitut für kommunale Verwaltung Aachen.
Wie sind Sie zu Ihren Erkenntnissen über solche Konflikte gelangt?
Im Rahmen des Projektes „Kommunales Konfliktmanagement“ treffen 20 Kommunen aufeinander – wir sind eine davon. Aus jeder Kommune haben sich zwei Mitarbeiter*innen im Tandem zusammengeschlossen und überlegt, welche Probleme es bei ihnen vor der Haustür gibt und wie sie diese lösen können. Wir haben die Stadt Baesweiler mit knapp 30.000 Einwohner*innen zur Modellkommune erklärt und dort zunächst Interviews durchgeführt. Wir haben mit Mitarbeitenden des Sozialamtes und des Integrationsrates, mit Leuten von der Integrationsagentur sowie mit Ehrenamtlichen oder Mitgliedern religiöser Vereinigungen gesprochen. So konnten wir Spannungs- und Konfliktfelder zunächst einmal benennen. Anschließend haben wir Lösungsansätze erarbeitet.
Zum Beispiel?
In Baesweiler gibt es, wie in vielen vergleichbaren Kommunen, klassische Nachbarschaftskonflikte, die, das ist ganz typisch, kulturell aufgeladen sind. So hören wir – zugespitzt gesagt –, dass die neuen Mieter*innen den Müll nicht sortierten, weil sie Muslim*innen seien. Hier gilt es anzusetzen. Denn dass der Müll nicht getrennt wird, hat nichts mit der Herkunft oder Religion zu tun, sondern mit der Tatsache, dass die Neuankömmlinge die Gepflogenheiten und Regeln in ihrer neuen Heimat noch nicht kennen.
Austausch ist eines der wichtigsten Werkzeuge der Konfliktbearbeitung – und auch der Konfliktprävention.
Wie lässt sich ein solcher Konflikt konkret beilegen?
In Baesweiler ist eine Sozialarbeiterin von Tür zu Tür gegangen, die den Menschen zum einen erklärt hat, wofür Mülltrennung gut ist und wie sie funktioniert. Denjenigen, die sich beschwert haben, hat sie verdeutlicht, dass die fehlende Mülltrennung nicht auf eine böse Absicht, sondern auf Unkenntnis zurückzuführen ist. Manchmal verstärken schlechte Erfahrungen auch unsere Vorurteile. Dann ist es hilfreich, aufzudecken und aufzuklären, dass es sich eben um Vorurteile handelt.
Und das hilft?
Erfahrungsgemäß, ja. Der persönliche Austausch ist eines der wichtigsten Werkzeuge der Konfliktbearbeitung – und auch der Konfliktprävention. Denn im besten Fall kommt es ja gar nicht erst zum Streit. Unser Kommunales Integrationszentrum hatte schon vorher ein Modellprojekt, in dem wir Neuzugewanderte über ihre Rechte und Pflichten als Mieter*innen informiert und sie dadurch für den Alltag qualifiziert haben.
Wie nachhaltig sind solche Maßnahmen?
Wie sich solche Ansätze im Alltag bewähren, ist immer die große Frage. Grundsätzlich muss ich sagen, dass die Pandemie mit dem Leben auf Distanz in zahlreichen Kommunen zu einem Rückschritt geführt hat. Gerade im Bereich Haupt- und Ehrenamt gab es in der Vergangenheit viele Austauschformate, durch die die Beteiligten gut im Gespräch waren – die aber mit der Pandemie eingeschlafen sind. Hieran muss neu angeknüpft werden. In der StädteRegion konnten wir auch viel erreichen durch verschiedene Plattformen – etwa durch Gesprächsrunden, bei denen wir die Bürger*innen für das Thema Migration sensibilisiert haben. Da sprechen wir beispielsweise konkret darüber, warum Menschen, die die Moschee besuchen, nicht unbedingt zum traditionellen Schützenfest kommen. Die Frage lässt sich aber auch andersherum stellen: Warum nutzen so wenige Menschen den Tag der offenen Moschee, um ihre Nachbar*innen kennenzulernen?
Das Projekt „Kommunales Konfliktmanagement“ läuft bis 2024. Wie geht es danach weiter?
Wünschenswert wäre ein Roll-out in andere Kommunen, also ein Übertragen unserer Erkenntnisse auf weitere Gemeinden, sodass das kommunale Konfliktmanagement in die Regelstruktur der Verwaltung übergeht. Wenn sich auch weitere Kommunen der StädteRegion für ein kommunales Konfliktmanagement öffnen, könnte eine Übertragung auf die gesamte StädteRegion Aachen gelingen.
Kommunales Konfliktmanagement
Kommunen bei der wachsenden Herausforderung einer gelingenden Integration zu unterstützen, ist das Ziel des Projektes „Kommunales Konfliktmanagement“. Begleitet von der Stiftung Mercator und des Ministeriums für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen (MKJFGFI) und in Trägerschaft des Instituts SO.CON – Social Concepts – der Hochschule Niederrhein, wird es bis 2024 durchgeführt. Die Stiftung Mercator und das Land Nordrhein-Westfalen fördern das Projekt in diesem Zeitraum. Die Idee, ein kommunales Konfliktmanagement aufzubauen, ist getragen von der Erkenntnis, dass Integration nicht nur viel Motivation und Tatkraft von allen Beteiligten erfordert, sondern auch die Kompetenz und Struktur, mit Konflikten gut umgehen zu können.