Wie der Neuruppiner Stadtpark den Zusammen­halt stärkt

Kinder im Neuruppiner Stadtpark
Wie der Neuruppiner Stadtpark den Zusammen­halt stärkt
Autorin: Judith Jenner 05.09.2023

Wie können ländliche Gemeinden für ihre Bewohner*innen attraktiv bleiben? Um diese Frage geht es auch im branden­burgischen Neuruppin. Dort erwacht ein verwilderter Park aus dem Dorn­röschen­schlaf. AufRuhr vor Ort im Gespräch mit Expert*innen und Gestalter*innen.

Wenn Jonas Langenberg vom Amt für Stadt­entwicklung und Umwelt mit seinem Lastenrad durch den Neuruppiner Stadtpark fährt, mutet das an wie ein Waldaus­flug. Die alten Laub­bäume rauschen im Wind. Es duftet nach feuchtem Holz. Entlang der Alleen wuchern Brenn­nessel­felder, bis plötzlich hinter dem von Schilf eingerahmten Frosch­teich ein akkurates Stückchen Park erscheint – mit gestutzter Buchs­baum­hecke und mehreren Bänken. Gepflegt wird dieser Bereich vom Neuruppiner Verschönerungs-Verein, in dem sich Ehren­amtliche für den Park engagieren, sowie von den örtlichen Reservist*innen der Bundes­wehr, die mit größeren Geräten die Flächen freihalten.

Waldbaden und Wild-Zirkus

Mehr und mehr Bürger*innen wollen den Stadtpark zu einem Lauf- und Erholungs­park ausbauen und so aus seinem lang­jährigen Dornröschenschlaf wecken. Kinder und Senior*innen packen ebenso mit an wie Berufs­tätige. Denn durch seine Lage abseits der Alt­stadt, deren Restauration lange im Fokus kommunaler Investitionen lag, war der verkehrs­mäßig schlecht angebundene Park über die Jahre geradezu in Vergessenheit geraten.

Fahrradfahren im Neuruppiner Stadtpark
Hohe Bäume spenden im Stadtpark Neuruppin Schatten © Reinaldo Coddou

Erste Veränderungen sind seit dem Start des Projektes 2021 bereits sichtbar: Ein Trinkbrunnen aus Edelstahl steht jetzt für durstige Jogger*innen bereit. Rote, gelbe und grüne Markierungen an den Bäumen zeigen Lauf­strecken an. Ein Fitness­gerüst mit Balancier­strecke ist im Bau sowie ein Schild, das die Idee hinter dem Projekt DEIN PARK erklärt.

Hinter dem Projekt stehen die Evangelische Schule Neuruppin, die Stadt und verschiedene zivil­gesellschaftliche Initiativen. „Unser Ziel ist es, den Park gemeinsam aufzuwerten, um ihn attraktiver für verschiedene Zielgruppen zu machen und auf Dauer Angebote zu etablieren“, sagt Projekt­leiter Jonas Langenberg vom Amt für Stadt­entwicklung und Umwelt. Bereits jetzt kommen Kitakinder zum „Waldbaden“ und eine Schul-AG zum „Wild-Zirkus“, bei dem die Kinder im Freien Zirkus­nummern einüben.

Für Claudia Neu, die als Professorin an den Universitäten Göttingen und Kassel über die Soziologie ländlicher Räume forscht, ist DEIN PARK ein gutes Beispiel für generationen­über­greifendes Engagement. Für das internationale Demografie-Netzwerk Population Europe, angesiedelt bei dem Max-Planck-Institut für demo­grafische Forschung untersucht sie dieses und andere Beispiele in Deutschland – und zwar vor dem Hinter­grund von Generationen­solidarität in Zeiten von demo­grafischem Wandel, Pandemie und Klimakrise. Sie beobachtet: „Solche Projekte sind besonders dann erfolg­reich, wenn die jüngere Generation gestalten und ausprobieren darf und nicht nur die ältere unterstützt.“

So liegt im Fall von Neuruppin nicht nur die Gestaltung, sondern auch die Präsentation der Arbeit im Rahmen von DEIN PARK in den Händen von Schüler*innen der Evangelischen Schule. Regel­mäßig teilen sie Neuigkeiten auf der Homepage und dem Instagram-Kanal des Projektes. Auch ein virtueller Rundgang ist geplant, bei dem sie zum Beispiel Videos mit Übungen an den neuen Sportgeräten zeigen. So verknüpfen sie digitale Räume mit den analogen.

Park mit Potenzial

Die Initiative ging von ihrem Lehrer und Projektleiter Michael Landeck aus. Als während der Pandemie Schulen und Turnhallen geschlossen waren, entdeckte er das Potenzial des Parks als außer­schulischen Lernort für Umwelt­bildung und Sport. „Er lag wie ein Schatz vor unserer Haustür“, sagt er. Das Projekt erhielt Gelder aus dem Förder­programm „Post-Corona-Stadt“ der Nationalen Stadt­entwicklungs­politik sowie von der FALK-Stiftung für Gesundheit und Bildung. Was dann geschah, ist in Neuruppin bisher beispiel­los. Ganz unter­schiedliche Akteur*innen fanden zusammen, um den Park zu verändern und neu zu entdecken. So säubern Schüler*innen ihn am „World Cleanup Day“ und nutzen ihn für naturnahe Unterrichts­projekte wie dem Bau einer Wetterstation. Vereine, Schulen und Kitas verlagern ihre Aktivitäten ebenfalls in den Park.

Veranstaltungen für alle

Dass die Initiative auch in der breiten Bevölkerung gut ankommt, zeigt der Anmelderekord für den Stadt­park­lauf, der 2022 erstmals mit einem Musik­programm und Ständen einherging. Für September ist ein großes Fest geplant. „Diesen Leerraum selbst zu kultivieren, lässt allen Beteiligten einen großen Gestaltungs­spiel­raum“, sagt die Landschafts­architektin und Prozess­begleiterin Siri Frech, die die Projekt­strategie für DEIN PARK entwickelt.

Projektleiter Jonas Langenberg von der Stadt Neuruppin hat plötzlich ganz neue Kontakte, zum Beispiel zur Jugend­kunst­schule, die mit einer Plakat­kampagne auf die Angebote aufmerksam macht. Zugleich lernen die Akteur*innen auch die Vertreter*innen der Verwaltung kennen. Bei vielen Entscheidungen redet zudem der Denkmal­schutz mit. Denn der Park steht auf einem ehemaligen Schießplatz der Armee. 1835 wurde er als Volkspark auf Initiative eines Obersts unter Mitwirkung des Garten­künstlers Peter Joseph Lenné angelegt. Die letzte denkmal­gerechte Renovierung liegt etwa 30 Jahre zurück. Seitdem wurde er nur noch not­dürftig gepflegt, unter anderem weil der Stadt das Geld fehlte und andere Projekte im Vordergrund standen.

Der Neuruppiner Stadtpark
© Reinaldo Coddou
Eine kleine Brücke im Neuruppiner Stadtpark
Die Garten­archi­tektur geht auf Pläne von Peter Joseph Lenné zurück © Reinaldo Coddou

Soziale Orte verhindern Abwanderung

Laut der Soziologin Claudia Neu ist generationen­über­greifendes Engagement auf soziale Orte wie den Neuruppiner Stadt­park angewiesen, aber auch auf Ressourcen wie Menschen, Zeit, Geld und Erfahrung. „Eine kurz­fristige Projekt­förderung ist hier kontra­produktiv, auf lange Sicht bedarf es einer Förderung von Prozessen, die inter­generative Aktivitäten anregt und nachhaltig macht und so gesellschaftlichen Zusammenhalt stiftet“, sagt sie.

Ein Weg für Spaziergänger und Radfahrer im Neuruppiner Stadtpark
Schilder verweisen auf die Geschichte des Parks © Reinaldo Coddou

Diese Ansicht teilt auch Andreas Edel. Als Leiter von Population Europe bringt er Expert*innen aus Politik, Gesellschaft und Wissenschaft zusammen, um über Zukunfts­fragen der Regionen im demografischen Wandel nachzudenken und gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Sein Institut widmet sich der Frage, wie sich aufgrund einer immer diverseren Gesellschaft der Zusammenhalt besonders in ländlichen Gebieten erhalten lässt. Im Projekt „Regionale Bevölkerungs­vielfalt und gesellschaftlicher Zusammenhalt vor Ort“ analysiert das Team von Andreas Edel den demografischen Wandel und soziale Ungleichheit in der Gesellschaft. Es erforscht, wie es gelingen kann, dass sich Menschen in ihrer Heimat wohlfühlen und nicht abwandern.

Die Analyse zeigt: Es gibt keine allgemein­gültigen Lösungen, jede Gemeinschaft tickt anders. Mal können bereits kleine Dinge wie eine WhatsApp-Gruppe fürs Dorf viel bewirken. Dann wieder gibt es heraus­ragende Fälle, in denen sich von Abwanderung betroffene Regionen ganz neu erfunden haben. So hat die dänische Kleinstadt Lemvig mit einem Klima­museum eine besondere touristische Attraktion geschaffen und wird zum Begegnungs­ort für Expert*innen. Die ehemalige Industrie­stadt im Westen Dänemarks erlebt einen ähnlichen Struktur­wandel wie das Ruhrgebiet. 2020 eröffnete ihr „Klimatorium“, das auch durch seine außer­gewöhnliche Architektur zum Wahrzeichen der Stadt geworden ist.

Auch wenn Neuruppin mit dem Ruppiner See und der aufwendig restaurierten Altstadt ein touristisches Ziel in Brandenburg ist, soll DEIN PARK kein Prestige­projekt sein. Zwar dürften ihn durch eine bessere Beschilderung künftig auch Besucher*innen finden. „In erster Linie ist der Park aber für die Bewohner*innen unseres Ortes gedacht“, sagt Jonas Langenberg.


Population Europe

Population Europe untersucht auf europäischer Ebene, wie sich aufgrund einer immer diverseren Gesellschaft der Zusammen­halt besonders in ländlichen Gebieten erhalten lässt. Beim Projekt „Regionale Bevölkerungs­vielfalt und gesellschaftlicher Zusammenhalt vor Ort“ analysieren Expert*innen Themen wie den demografischen Wandel und soziale Ungleichheit in der Gesellschaft.

population-europe.eu/