Wie der Neuruppiner Stadtpark den Zusammenhalt stärkt
Wie können ländliche Gemeinden für ihre Bewohner*innen attraktiv bleiben? Um diese Frage geht es auch im brandenburgischen Neuruppin. Dort erwacht ein verwilderter Park aus dem Dornröschenschlaf. AufRuhr vor Ort im Gespräch mit Expert*innen und Gestalter*innen.
Wenn Jonas Langenberg vom Amt für Stadtentwicklung und Umwelt mit seinem Lastenrad durch den Neuruppiner Stadtpark fährt, mutet das an wie ein Waldausflug. Die alten Laubbäume rauschen im Wind. Es duftet nach feuchtem Holz. Entlang der Alleen wuchern Brennnesselfelder, bis plötzlich hinter dem von Schilf eingerahmten Froschteich ein akkurates Stückchen Park erscheint – mit gestutzter Buchsbaumhecke und mehreren Bänken. Gepflegt wird dieser Bereich vom Neuruppiner Verschönerungs-Verein, in dem sich Ehrenamtliche für den Park engagieren, sowie von den örtlichen Reservist*innen der Bundeswehr, die mit größeren Geräten die Flächen freihalten.
Waldbaden und Wild-Zirkus
Mehr und mehr Bürger*innen wollen den Stadtpark zu einem Lauf- und Erholungspark ausbauen und so aus seinem langjährigen Dornröschenschlaf wecken. Kinder und Senior*innen packen ebenso mit an wie Berufstätige. Denn durch seine Lage abseits der Altstadt, deren Restauration lange im Fokus kommunaler Investitionen lag, war der verkehrsmäßig schlecht angebundene Park über die Jahre geradezu in Vergessenheit geraten.
Erste Veränderungen sind seit dem Start des Projektes 2021 bereits sichtbar: Ein Trinkbrunnen aus Edelstahl steht jetzt für durstige Jogger*innen bereit. Rote, gelbe und grüne Markierungen an den Bäumen zeigen Laufstrecken an. Ein Fitnessgerüst mit Balancierstrecke ist im Bau sowie ein Schild, das die Idee hinter dem Projekt DEIN PARK erklärt.
Hinter dem Projekt stehen die Evangelische Schule Neuruppin, die Stadt und verschiedene zivilgesellschaftliche Initiativen. „Unser Ziel ist es, den Park gemeinsam aufzuwerten, um ihn attraktiver für verschiedene Zielgruppen zu machen und auf Dauer Angebote zu etablieren“, sagt Projektleiter Jonas Langenberg vom Amt für Stadtentwicklung und Umwelt. Bereits jetzt kommen Kitakinder zum „Waldbaden“ und eine Schul-AG zum „Wild-Zirkus“, bei dem die Kinder im Freien Zirkusnummern einüben.
Für Claudia Neu, die als Professorin an den Universitäten Göttingen und Kassel über die Soziologie ländlicher Räume forscht, ist DEIN PARK ein gutes Beispiel für generationenübergreifendes Engagement. Für das internationale Demografie-Netzwerk Population Europe, angesiedelt bei dem Max-Planck-Institut für demografische Forschung untersucht sie dieses und andere Beispiele in Deutschland – und zwar vor dem Hintergrund von Generationensolidarität in Zeiten von demografischem Wandel, Pandemie und Klimakrise. Sie beobachtet: „Solche Projekte sind besonders dann erfolgreich, wenn die jüngere Generation gestalten und ausprobieren darf und nicht nur die ältere unterstützt.“
So liegt im Fall von Neuruppin nicht nur die Gestaltung, sondern auch die Präsentation der Arbeit im Rahmen von DEIN PARK in den Händen von Schüler*innen der Evangelischen Schule. Regelmäßig teilen sie Neuigkeiten auf der Homepage und dem Instagram-Kanal des Projektes. Auch ein virtueller Rundgang ist geplant, bei dem sie zum Beispiel Videos mit Übungen an den neuen Sportgeräten zeigen. So verknüpfen sie digitale Räume mit den analogen.
Park mit Potenzial
Die Initiative ging von ihrem Lehrer und Projektleiter Michael Landeck aus. Als während der Pandemie Schulen und Turnhallen geschlossen waren, entdeckte er das Potenzial des Parks als außerschulischen Lernort für Umweltbildung und Sport. „Er lag wie ein Schatz vor unserer Haustür“, sagt er. Das Projekt erhielt Gelder aus dem Förderprogramm „Post-Corona-Stadt“ der Nationalen Stadtentwicklungspolitik sowie von der FALK-Stiftung für Gesundheit und Bildung. Was dann geschah, ist in Neuruppin bisher beispiellos. Ganz unterschiedliche Akteur*innen fanden zusammen, um den Park zu verändern und neu zu entdecken. So säubern Schüler*innen ihn am „World Cleanup Day“ und nutzen ihn für naturnahe Unterrichtsprojekte wie dem Bau einer Wetterstation. Vereine, Schulen und Kitas verlagern ihre Aktivitäten ebenfalls in den Park.
Veranstaltungen für alle
Dass die Initiative auch in der breiten Bevölkerung gut ankommt, zeigt der Anmelderekord für den Stadtparklauf, der 2022 erstmals mit einem Musikprogramm und Ständen einherging. Für September ist ein großes Fest geplant. „Diesen Leerraum selbst zu kultivieren, lässt allen Beteiligten einen großen Gestaltungsspielraum“, sagt die Landschaftsarchitektin und Prozessbegleiterin Siri Frech, die die Projektstrategie für DEIN PARK entwickelt.
Projektleiter Jonas Langenberg von der Stadt Neuruppin hat plötzlich ganz neue Kontakte, zum Beispiel zur Jugendkunstschule, die mit einer Plakatkampagne auf die Angebote aufmerksam macht. Zugleich lernen die Akteur*innen auch die Vertreter*innen der Verwaltung kennen. Bei vielen Entscheidungen redet zudem der Denkmalschutz mit. Denn der Park steht auf einem ehemaligen Schießplatz der Armee. 1835 wurde er als Volkspark auf Initiative eines Obersts unter Mitwirkung des Gartenkünstlers Peter Joseph Lenné angelegt. Die letzte denkmalgerechte Renovierung liegt etwa 30 Jahre zurück. Seitdem wurde er nur noch notdürftig gepflegt, unter anderem weil der Stadt das Geld fehlte und andere Projekte im Vordergrund standen.
Soziale Orte verhindern Abwanderung
Laut der Soziologin Claudia Neu ist generationenübergreifendes Engagement auf soziale Orte wie den Neuruppiner Stadtpark angewiesen, aber auch auf Ressourcen wie Menschen, Zeit, Geld und Erfahrung. „Eine kurzfristige Projektförderung ist hier kontraproduktiv, auf lange Sicht bedarf es einer Förderung von Prozessen, die intergenerative Aktivitäten anregt und nachhaltig macht und so gesellschaftlichen Zusammenhalt stiftet“, sagt sie.
Diese Ansicht teilt auch Andreas Edel. Als Leiter von Population Europe bringt er Expert*innen aus Politik, Gesellschaft und Wissenschaft zusammen, um über Zukunftsfragen der Regionen im demografischen Wandel nachzudenken und gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Sein Institut widmet sich der Frage, wie sich aufgrund einer immer diverseren Gesellschaft der Zusammenhalt besonders in ländlichen Gebieten erhalten lässt. Im Projekt „Regionale Bevölkerungsvielfalt und gesellschaftlicher Zusammenhalt vor Ort“ analysiert das Team von Andreas Edel den demografischen Wandel und soziale Ungleichheit in der Gesellschaft. Es erforscht, wie es gelingen kann, dass sich Menschen in ihrer Heimat wohlfühlen und nicht abwandern.
Die Analyse zeigt: Es gibt keine allgemeingültigen Lösungen, jede Gemeinschaft tickt anders. Mal können bereits kleine Dinge wie eine WhatsApp-Gruppe fürs Dorf viel bewirken. Dann wieder gibt es herausragende Fälle, in denen sich von Abwanderung betroffene Regionen ganz neu erfunden haben. So hat die dänische Kleinstadt Lemvig mit einem Klimamuseum eine besondere touristische Attraktion geschaffen und wird zum Begegnungsort für Expert*innen. Die ehemalige Industriestadt im Westen Dänemarks erlebt einen ähnlichen Strukturwandel wie das Ruhrgebiet. 2020 eröffnete ihr „Klimatorium“, das auch durch seine außergewöhnliche Architektur zum Wahrzeichen der Stadt geworden ist.
Auch wenn Neuruppin mit dem Ruppiner See und der aufwendig restaurierten Altstadt ein touristisches Ziel in Brandenburg ist, soll DEIN PARK kein Prestigeprojekt sein. Zwar dürften ihn durch eine bessere Beschilderung künftig auch Besucher*innen finden. „In erster Linie ist der Park aber für die Bewohner*innen unseres Ortes gedacht“, sagt Jonas Langenberg.
Population Europe
Population Europe untersucht auf europäischer Ebene, wie sich aufgrund einer immer diverseren Gesellschaft der Zusammenhalt besonders in ländlichen Gebieten erhalten lässt. Beim Projekt „Regionale Bevölkerungsvielfalt und gesellschaftlicher Zusammenhalt vor Ort“ analysieren Expert*innen Themen wie den demografischen Wandel und soziale Ungleichheit in der Gesellschaft.