Mehr Vielfalt bitte! Ein Podcast, der mit Stereotypen in den Medien aufräumen will

Mehr Vielfalt bitte! Ein Podcast, der mit Stereotypen in den Medien aufräumen will
Autorin: Jasmin Shamsi Fotos: Mika Volkmann 21.09.2023

Wie können wir einen guten und verantwortungsvollen Journalismus fördern? Wie lassen sich Vorurteile abbauen oder Migrationsthemen sprachsensibel behandeln? Nadia Zaboura und Nils Minkmar machen mit „quoted. der medienpodcast“ blinde Flecken im Medienbetrieb sichtbar.

Es ist fast ein halbes Jahr her, dass Nadia Zaboura ihren Kollegen Nils Minkmar live gesehen hat. Jetzt sitzen sie sich im Café Funkhaus in der Kölner Altstadt gegenüber und plaudern über ihre Sommerurlaube. Vor ihnen steht ein Laptop, daneben liegt ein Stapel Notizen mit gelb markierten Passagen. Manchmal müssen sie gegen die Mahlgeräusche der Kaffeemaschine anreden, die man im Hintergrund hört. Minkmar lässt seinen Blick immer wieder durch den Raum gleiten, Zaboura lacht viel. Die beiden sind die Gastgeber*innen von „quoted. der medienpodcast“. In weniger als einer Stunde sind sie für einen Aufzeichnungstermin in einem nahe gelegenen Tonstudio verabredet. Von Aufregung keine Spur.

Normalerweise bereiten sich die beiden Podcast-Hosts getrennt vor. Regelmäßige Vor-Ort-Termine in Köln sind wichtig, um in Kontakt zu bleiben.
Normalerweise bereiten sich die beiden Podcast-Hosts getrennt vor. Regelmäßige Vor-Ort-Termine in Köln sind wichtig, um in Kontakt zu bleiben. © Mika Volkmann
Nadia Zaboura
Nadia Zaboura © Mika Volkmann
Nils Minkmar
Nils Minkmar © Mika Volkmann

Nadia Zaboura und Nils Minkmar arbeiten seit anderthalb Jahren zusammen. Alle zwei Wochen sprechen sie in ihrem Podcast „quoted. der medienpodcast“ mit ihren Gästen über die mediale Berichterstattung über die Einwanderungsgesellschaft. Sie diskutieren über Mechanismen des Boulevardjournalismus, über die Unschärfe von Begriffen wie „Clan“ oder darüber, wie Politiker*innen und Medien bestimmte Diskurse prägen. Ihre Treffen beschränken sich hauptsächlich auf virtuelle Meetings, da Nils Minkmar in Wiesbaden lebt, Nadia Zaboura in Köln. Sie ist Kommunikationswissenschaftlerin und Linguistin, er Journalist bei der Süddeutschen Zeitung. Beide haben eine Migrationsbiografie – er eine deutsch-französische, sie eine slawisch-arabische – und sind zweisprachig aufgewachsen. Auf die mediale Berichterstattung über die Einwanderungsgesellschaft schauen sie daher mit einem besonders aufmerksamen Blick.

Diversität bei den Themen und im Team

„Unser Podcast ist ein Einordnungsangebot. Wir reden darüber, wie Medien oder Politiker*innen in Deutschland gewisse Diskurse prägen. Und was das eigentlich mit unserer Vielfaltsgesellschaft macht“, erklärt Zaboura. Zu ihren Hörer*innen zählen Journalist*innen, Medienkritiker*innen oder auch Studierende. Hinter dem Format steckt die CIVIS Medienstiftung, ein gemeinnütziges Unternehmen mit Sitz in Köln. Seit 1988 richtet die Stiftung jährlich den CIVIS Medienpreis für Integration und kulturelle Vielfalt sowie Medienkonferenzen aus. 2022 wurden zusätzlich der Podcast „quoted. der medienpodcast“ und das Instagram-Format „medientalk live“ ins Leben gerufen. „quoted“ ist eine Kooperation von CIVIS mit der Süddeutschen Zeitung, der „medientalk live“ eine mit COSMO (WDR).

Teamwork: Der Journalist Philipp Anft (vorne rechts) unterstützt bei der Vorbereitung und koordiniert die Termine.
Teamwork: Der Journalist Philipp Anft (vorne rechts) unterstützt bei der Vorbereitung und koordiniert die Termine. © Mika Volkmann

Nadia Zaboura und Nils Minkmar räumen im Café Funkhaus ihre Notizen beiseite und machen Platz für ihren Kollegen Philipp Anft – dem dritten Podcast-Teammitglied. Der freie Journalist leitet das Projekt, bereitet die Hosts mit Dossiers über die Interviewgäste vor und übernimmt im Aufnahmestudio die Regie. Er ist außerdem die Schnittstelle zur Leiterin der CIVIS Medienstiftung, Ferdos Forudastan. „Sie kam 2021 auf die Idee für die beiden digitalen Formate“, erzählt er. Neben dem Medienpreis und den Medienkonferenzen habe Forudastan noch aktueller auf Beiträge zum Thema Medien in der Vielfaltsgesellschaft reagieren wollen.

Das zeigt beispielsweise die aktuelle Folge „Medien und das jüdische Leben in Deutschland“, für die es mehrere Anlässe gab: das jüdische Neujahrsfest Rosch ha-Schana, die „Jüdischen Kulturtage Berlin“ und eben auch die Aiwanger-Affäre. Gemeinsam mit Stiftungsleiterin Forudastan macht Philipp Anft die Redaktionsplanung und überlegt sich, welche Expert*innen infrage kommen. Anschließend beraten sie sich mit den beiden Hosts, die ihrerseits Vorschläge und Quellen ergänzen, und tauschen sich mit einer Redakteurin der Süddeutschen Zeitung aus. „Welche Stimmen kennt man noch nicht aus öffentlichen Diskursen, wer bringt neue Perspektiven ein – das ist uns bei der Gästeauswahl wichtig“, wirft Nils Minkmar ein.

Journalistische Sorgfaltspflicht kollidiert mit Geschäftsmodell

Vielfalt auf allen Ebenen ist das Motto, das sich durch den Podcast zieht. Und – das ist Nadia Zaboura ganz wichtig –, die Verantwortung von Journalist*innen bei der Einordnung von Sachverhalten zu betonen. Zaboura bringt die wissenschaftliche Expertise in den Podcast ein. Neben ihrer Rolle als Host von „quoted. der medienpodcast“ berät sie mit ihrer Kommunikationsagentur Wissenschaft, Politik und Institutionen und ist langjährige Jurorin und Juryvorsitzende des Deutschen Radiopreises. „Für mich gehört es zur journalistischen Sorgfaltspflicht, sich mit problematischen Begrifflichkeiten aktiv auseinanderzusetzen. Es muss Aufgabe der Redaktionen sein, dieses Wissen gemeinsam zu erarbeiten, zur Verfügung zu stellen und zu besprechen“, fordert sie. Aber sie weiß auch: „Teilweise scheitert es an Zeitressourcen – insbesondere bei den privatwirtschaftlichen Medien.“

Sie wirft ihrem Kollegen Nils Minkmar einen bedeutungsvollen Blick zu. Der Journalist, 1966 in Saarbrücken geboren, hat für fast alle wichtigen deutschen Zeitungen geschrieben. „Journalist*innen neigen dazu, voneinander abzuschreiben“, sagt Minkmar. Das sei insofern problematisch, als dadurch die Gefahr bestünde, Inhalte zu reproduzieren, die diskriminierend seien (mehr zum Thema). „Es gibt aber auch Medienschaffende, die möchten sich gar nicht verändern. Die haben ein altes, reaktionäres Publikum und wenig Berührungspunkte mit kultureller Vielfalt im Alltag“, sagt der Journalist. Nicht selten stecke sogar ein Geschäftsmodell dahinter, das Herausgeber*innen dazu ermächtige, stark in die journalistischen Richtlinien einzugreifen.

Alle zwei Wochen erscheint eine neue Folge von "quoted. der medienpodcast".
Alle zwei Wochen erscheint eine neue Folge von "quoted. der medienpodcast". © Mika Volkmann

Wie schafft man es, sich davon aktiv frei zu machen? „Durch die Solidarisierung von Menschen, die das auch problematisieren – und zwar konstruktiv. Die so lange diskutieren, bis alle verstehen, welche Ressentiments in manchen Texten mitschwingen“, rät Nadia Zaboura. Hilfreich seien auch Rügen beim Deutschen Presserat, öffentliche Foren der Medienkritik, darunter beispielsweise der Mediendienst Integration oder das Onlinemagazin Übermedien.

Gedanken sammeln und Aufmerksamkeit fokussieren.
Gedanken sammeln und Aufmerksamkeit fokussieren. © Mika Volkmann
Bevor die Aufnahme startet, wird es im Studio still.
Bevor die Aufnahme startet, wird es im Studio still. © Mika Volkmann

Diskriminierungsverbot im Pressekodex

Clickbaiting, Irreführung der Leserschaft, Verletzung der Menschenwürde: Wer einen Verstoß gegen den Pressekodex vermutet, kann beim Deutschen Presserat Beschwerde einlegen. Die Organisation der großen deutschen Verleger*innen- und Journalist*innenverbände dient der Presse als freiwillige Selbstkontrolle zur Wahrung ethischer Standards. Dazu gehören unter anderem das Diskriminierungsverbot (Ziffer 12), der Grundsatz der Unschuldsvermutung (Ziffer 13) oder auch der Respekt gegenüber religiösen, weltanschaulichen oder sittlichen Überzeugungen (Ziffer 10).

Vor allem die Richtlinie 12.1 zum Diskriminierungsverbot sorgt immer wieder für Diskussionen. Diese legt Folgendes fest: In der Berichterstattung über Straftaten ist darauf zu achten, „dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt“. So weit, so klar. Doch der folgende Zusatz bietet einen gewissen Interpretationsspielraum: „Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse.“ Was aber ist ein begründetes öffentliches Interesse? Was bewirken Headlines in unseren Köpfen, die Zusammenhänge zwischen Kriminalität und Herkunft schaffen? Eine Publikation der Plattform Mediendienst Integration stellt Erkenntnisse aus der kriminologischen Forschung vor, die bei der journalistischen Arbeit hilfreich sein können.

Tageszeitungen am Kiosk
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Über das Talkback-Mikrofon hat Philipp Anft die Möglichkeit, mit den Hosts zu sprechen.
Über das Talkback-Mikrofon hat Philipp Anft die Möglichkeit, mit den Hosts zu sprechen. © Mika Volkmann

Gespräch ohne Skript

Das Handy von Philipp Anft klingelt, der Tontechniker des Studios ist dran. Beim Testgespräch mit dem Gast der nächsten Folge gibt es technische Probleme. Anft steht auf und läuft mit dem Handy am Ohr vor dem Café auf und ab. Als er an den Tisch zurückkehrt, haben Nadia Zaboura und Nils Minkmar schon ihre Sachen zusammengepackt. In einer Viertelstunde beginnt die Aufzeichnung, ein paar Minuten Ruhe brauchen beide noch. Im Studio angekommen, verstummen ihre Gespräche schlagartig. Die beiden Podcast-Hosts breiten ihre Notizen vor sich aus, bringen ihre Mikros in die richtige Position und setzen ihre Kopfhörer auf. Philipp Anft verschwindet in der Regie, wo bereits der Tontechniker auf ihn wartet. „Die Leitung ist sauber, ich kann nun alle prima hören“, begrüßt ihn dieser im rheinischen Dialekt.

Für die 31. Folge zum Thema „Medien und das jüdische Leben in Deutschland“ hat sich der Jurist und SZ-Journalist Ronen Steinke per Studio-Link dazugeschaltet. Auf einem Monitor sieht man alle drei Tonspuren getrennt voneinander. Während die Hosts mit ihrem Gast plaudern, gleicht der Tontechniker ihre Lautstärken an. Dann geht es los, Nils Minkmar spricht seine Anmoderation ein.

Der Podcast wird live aufgezeichnet und zwei Tage später gesendet. Da es kein Script gibt und sich die beiden Gastgeber*innen von „quoted“ hauptsächlich auf ihre intensive Vorbereitung verlassen, kommt es hin und wieder zu Versprechern. Davon lassen sie sich aber nicht aus der Ruhe bringen, Sätze werden einfach noch mal eingesprochen. Später wird Philipp Anft die fehlerhaften Passagen rausschneiden. „Ich baue aber nicht mehr viel um“, erklärt er. Meist sitzt er nach der Aufnahme noch einige Zeit mit dem Tonmeister zusammen. Doch jetzt verabschiedet er erst mal sein Team. Viel Zeit bleibt nicht, Nils Minkmar muss seinen Zug kriegen. Die zwölfseitige Ausarbeitung, die Nadia Zaboura als Gedankenstütze mitgebracht hat, verschwindet wieder in der Tasche. „Ich habe davon nur einen Bruchteil einbringen können“, sagt sie und fügt hinzu: „Das ist aber auch nicht entscheidend – sondern die Vielfalt an Perspektiven, die wir zusammen mit unseren Gästen ermöglichen.“


„quoted. der medienpodcast“

„quoted. der medienpodcast“ ist eine Kooperation der CIVIS Medienstiftung und der Süddeutschen Zeitung, gefördert von der Stiftung Mercator. Der Podcast setzt sich kritisch und analytisch mit der Medienberichterstattung in Deutschland rund um Migrationsthemen auseinander.

www.civismedia.eu/quoted-der-medienpodcast/podcastfolgen/