Rechtes Fähnlein im Winde

Rechtes Fähnlein im Winde
Autor: Julien Wilkens 01.12.2021

Wie nutzen rechtspopulistische Parteien die Coronakrise? Eine große MIDEM-Studie untersucht den Umgang populistischer Parteien in Europa mit dem Virus sowie den Maßnahmen zur Eindämmung und offenbart bemerkenswerte Wendungen im Verlauf der Pandemie.

Rechtspopulistische Parteien in Europa haben vergangene Krisen kommunikativ genutzt, um Anhänger*innen zu werben und Unter­stützer*innen zu mobilisieren. Das war 2008 bei der Finanz­krise der Fall und 2015 – besonders – bei der Flüchtlings­welle. Heute ist es die Coronakrise, die das mediale Interesse beherrscht. Wie aber haben die rechts­populistischen Parteien Europas auf das Corona­virus in ihrer Kommunikation über soziale Medien reagiert? Das hat jetzt das Mercator Forum für Migration und Demokratie (MIDEM) in einer großen Studie untersucht. Dabei kam heraus: Sie nutzten ihre Stellung als Anti-Establishment-Parteien, um pandemie­kritische Bürger*innen hinter ihren populistischen Aussagen zu vereinen. Dabei gibt es jedoch bemerkenswerte Wendungen im Verlauf der Pandemie.

„Zu Beginn der Pandemie hatten es die rechts­populistischen Parteien mit ihrer Positionierung ja auch nicht leicht. Eine Gesundheits­krise ist wirklich nicht ihre Lieblings­krise“, blickt Dr. Mariana Mendes auf die erste Welle im März 2020 zurück. „Viele Parteien, darunter die deutsche AfD, hatten zuerst ein härteres Durch­greifen der Regierung gefordert“, so die Forscherin. „Sie kritisierten das Zögern der Regierungen als fehlende Durch­schlags­kraft.“

Politikwissenschaftlerin Dr. Mariana Mendes las sich als Forscherin des MIDEM-Teams unter anderem durch die Facebook-Beiträge der rechts­populistischen Partei Vox in Spanien. © MIDEM

Bald darauf aber haben die Regierungen europaweit Lockdowns verhängt und die nationalen Grenzen geschlossen – wie von den meisten rechts­populistischen Parteien gefordert. „Als dann die Stimmung in einem Teil der Bevölkerung anfing, sich zu drehen, änderten auch die meisten rechts­populistischen Parteien ihren Kurs“, berichtet Dr. Mendes. Die Parteien hätten die Kritik an den Corona­maßnahmen zum Gegen­stand gemacht und die Lockdowns als Freiheits­einschränkung umgedeutet, so Mendes. Um gegen die Regierungs­parteien zu sein, mussten sie für Lockerungen eintreten.

Auch in Deutschland haben rechtspopulistische Parteien die staatlichen Maßnahmen zur Pandemie­bekämpfung in eine Projektions­fläche für polemisch und emotional aufgeladene Regierungs­kritik verwandelt © Getty Images

Eine wichtige Unterscheidung ist dabei bei Rechts­populist*innen mit Regierungs­beteiligung zu machen, „also Fidesz in Ungarn oder PiS in Polen. Hier haben die Parteien das Thema Corona im Rahmen ihrer Kommunikation entpolitisiert“, erklärt die Forscherin. Ihr Ziel war es, möglichst kompetent und professionell aufzutreten.

Auch in der Schweiz kommt es immer wieder zu Protesten gegen die Corona-Politik. Rechts­populistische Parteien nutzen Corona als wichtiges Mobilisierungs­thema und erschließen sich so populistische Wählerschichten. © Getty Images

Analyse aus zwölf europäischen Ländern

Die Analyse der offiziellen Facebook-Kanäle rechts­populistischer Parteien in Europa zeigt, dass Corona ein wichtiges Mobilisierungs­thema ist und zur Erschließung populistischer Wählerschichten genutzt wird. Das MIDEM-Team aus Wissenschaftler*innen untersuchte darin die Facebook-Beiträge rechts­populistischer Parteien aus zwölf europäischen Ländern. Dabei wurden diejenigen Posts identifiziert, die einen Bezug zu Corona oder Migration hatten. Diese wurden von den jeweiligen Forschenden eingehender qualitativ unter­sucht. „Ich habe jedoch alle der rund 1.500 Posts der spanischen Vox gelesen, auch um ein Gefühl für die Kommunikation zu bekommen. Das ist nicht immer angenehm“, sagt die Forscherin über ihre Lektüre. Die gebürtige Portugiesin hat den Facebook-Auftritt der spanischen Rechts­populist*innen untersucht und den entsprechenden Bericht geschrieben. „Bei Vox hatten 14 Prozent der Posts einen Corona-Bezug“, erläutert Dr. Mendes. Damit liegt Spanien im Schnitt: Das Thema Corona stand bei den meisten rechts­populistischen Parteien weniger im Fokus als bei anderen Parteien.

Populistische Parteien in der Corona-Krise

Sind Krisen gute Zeiten für Populisten? In der Jahresstudie 2021 geht das Forum MIDEM dieser Frage nach, indem es die sozialen Medien in zwölf Ländern in Europa untersucht hat. Konnten die populistischen Parteien Europas von den durch die Pandemie verschärften sozialen Spaltungen profitieren? Antworten gibt es in der Studie, die sich auch auf die Ergebnisse einer repräsentativen Befragung in Zusammenarbeit mit dem Meinungsforschungsinstitut dimap stützt.

Corona verdrängt Migration

Bei der Häufigkeit der Migrations­themen habe sich im europäischen Vergleich ein uneinheitliches Bild ergeben. „Für rechts­populistische Parteien ist Einwanderung das Lieblings­thema“, sagt Dr. Mendes. Und hat sich die Gewichtung beim Thema Migration während der Pandemie verschoben? Hier ergibt sich ein uneinheitliches Bild. „In manchen Ländern ist die Häufigkeit der Migrations­themen ungefähr gleich geblieben, wie in Schweden oder Spanien, während sie in anderen Ländern, zum Beispiel Ungarn und Dänemark, abnahm“, erklärt die Forscherin. Auch in Deutschland ging die Nennung von migrations­bezogenen Themen in den sozialen Medien zurück. Vor der Pandemie hatte knapp jeder dritte Facebook-Post einen Migrations­bezug. „Im Untersuchungs­zeit­raum ab dem 1. März 2020 bis zum April dieses Jahres waren es etwas unter 20 Prozent. Es waren also weniger, aber es ist immer noch ein beachtlicher Anteil ihrer Facebook-Posts“, so Dr. Mendes.

Die qualitative Untersuchung hat zudem gezeigt, dass die Parteien über die EU-Grenzen hinweg die Themen Corona und Migration miteinander verknüpfen – und das in ähnlicher Weise. „Die Schlagwörter sind sehr ähnlich: Migrant*innen als mögliche Virus­träger*innen, Migrant*innen, die sich nicht an Ausgangs­sperren hielten, Corona-Ausbrüche unter Migrant*innen und so weiter.“

Ablehnende Positionen zu staatlichen Infektions­schutz­maßnahmen stehen oft mit populistischen Orientierungen in Zusammenhang © Getty Images

Wie in Deutschland und Spanien hätten die meisten untersuchten Parteien die staatlichen Maßnahmen zur Pandemie­bekämpfung in eine Projektions­fläche für polemisch und emotional aufgeladene Regierungs­kritik verwandelt. „Dabei waren sie darauf bedacht, die Expertise und die Wissenschaft nicht grundsätzlich infrage zu stellen“, führt Dr. Mendes aus. „Stattdessen haben sie versucht, den Diskurs um weitere Aspekte zu erweitern.“ Zudem waren die Parteien vorsichtig, keine Verschwörungs­mythen zu verbreiten. „Wir haben nur die offiziellen Kanäle untersucht. Da wollen die Parteien offensichtlich die gemäßigtere Anhänger­schaft am rechten Ende des konservativen Spektrums nicht verprellen.“ Verschwörungs­theoretische Inhalte verbreiten sich hingegen zumeist über andere Wege, etwa über rechts­populistische und -extreme Plattformen oder Accounts von Einzel­personen.

Corona-Protest in Sachsen

Die MIDEM-Jahresstudie blickt dabei nicht nur vergleichend nach außen auf Parteien in EU-Ländern. In einem zweiten Teil der Studie wurden 1.008 Sächsinnen und Sachsen zu ihren Einstellungen zu den Corona­maßnahmen befragt. Ergebnis: Ablehnende Positionen zu staatlichen Infektions­schutz­maßnahmen stehen vor allem mit populistischen Orientierungen in Zusammenhang. Das bedeutet, dass Menschen, die die Corona­maßnahmen ablehnen, sich oft von Politik und Institutionen wenig oder schlecht repräsentiert fühlen. Dagegen sind kritische Haltungen zu den Infektions­schutz­maßnahmen seltener mit ethnozentrischen oder autoritären Einstellungen verbunden.

Mercator Forum Migration und Demokratie

Das Mercator Forum für Migration und Demokratie (MIDEM) fragt danach, wie Migration demokratische Politiken, Institutionen und Kulturen prägt und zugleich von ihnen geprägt wird. Untersucht werden Formen, Instrumente und Prozesse politischer Verarbeitung von Migration in demokratischen Gesellschaften.

https://forum-midem.de/