Rechtes Fähnlein im Winde
Wie nutzen rechtspopulistische Parteien die Coronakrise? Eine große MIDEM-Studie untersucht den Umgang populistischer Parteien in Europa mit dem Virus sowie den Maßnahmen zur Eindämmung und offenbart bemerkenswerte Wendungen im Verlauf der Pandemie.
Rechtspopulistische Parteien in Europa haben vergangene Krisen kommunikativ genutzt, um Anhänger*innen zu werben und Unterstützer*innen zu mobilisieren. Das war 2008 bei der Finanzkrise der Fall und 2015 – besonders – bei der Flüchtlingswelle. Heute ist es die Coronakrise, die das mediale Interesse beherrscht. Wie aber haben die rechtspopulistischen Parteien Europas auf das Coronavirus in ihrer Kommunikation über soziale Medien reagiert? Das hat jetzt das Mercator Forum für Migration und Demokratie (MIDEM) in einer großen Studie untersucht. Dabei kam heraus: Sie nutzten ihre Stellung als Anti-Establishment-Parteien, um pandemiekritische Bürger*innen hinter ihren populistischen Aussagen zu vereinen. Dabei gibt es jedoch bemerkenswerte Wendungen im Verlauf der Pandemie.
„Zu Beginn der Pandemie hatten es die rechtspopulistischen Parteien mit ihrer Positionierung ja auch nicht leicht. Eine Gesundheitskrise ist wirklich nicht ihre Lieblingskrise“, blickt Dr. Mariana Mendes auf die erste Welle im März 2020 zurück. „Viele Parteien, darunter die deutsche AfD, hatten zuerst ein härteres Durchgreifen der Regierung gefordert“, so die Forscherin. „Sie kritisierten das Zögern der Regierungen als fehlende Durchschlagskraft.“
Bald darauf aber haben die Regierungen europaweit Lockdowns verhängt und die nationalen Grenzen geschlossen – wie von den meisten rechtspopulistischen Parteien gefordert. „Als dann die Stimmung in einem Teil der Bevölkerung anfing, sich zu drehen, änderten auch die meisten rechtspopulistischen Parteien ihren Kurs“, berichtet Dr. Mendes. Die Parteien hätten die Kritik an den Coronamaßnahmen zum Gegenstand gemacht und die Lockdowns als Freiheitseinschränkung umgedeutet, so Mendes. Um gegen die Regierungsparteien zu sein, mussten sie für Lockerungen eintreten.
Eine wichtige Unterscheidung ist dabei bei Rechtspopulist*innen mit Regierungsbeteiligung zu machen, „also Fidesz in Ungarn oder PiS in Polen. Hier haben die Parteien das Thema Corona im Rahmen ihrer Kommunikation entpolitisiert“, erklärt die Forscherin. Ihr Ziel war es, möglichst kompetent und professionell aufzutreten.
Analyse aus zwölf europäischen Ländern
Die Analyse der offiziellen Facebook-Kanäle rechtspopulistischer Parteien in Europa zeigt, dass Corona ein wichtiges Mobilisierungsthema ist und zur Erschließung populistischer Wählerschichten genutzt wird. Das MIDEM-Team aus Wissenschaftler*innen untersuchte darin die Facebook-Beiträge rechtspopulistischer Parteien aus zwölf europäischen Ländern. Dabei wurden diejenigen Posts identifiziert, die einen Bezug zu Corona oder Migration hatten. Diese wurden von den jeweiligen Forschenden eingehender qualitativ untersucht. „Ich habe jedoch alle der rund 1.500 Posts der spanischen Vox gelesen, auch um ein Gefühl für die Kommunikation zu bekommen. Das ist nicht immer angenehm“, sagt die Forscherin über ihre Lektüre. Die gebürtige Portugiesin hat den Facebook-Auftritt der spanischen Rechtspopulist*innen untersucht und den entsprechenden Bericht geschrieben. „Bei Vox hatten 14 Prozent der Posts einen Corona-Bezug“, erläutert Dr. Mendes. Damit liegt Spanien im Schnitt: Das Thema Corona stand bei den meisten rechtspopulistischen Parteien weniger im Fokus als bei anderen Parteien.
Populistische Parteien in der Corona-Krise
Sind Krisen gute Zeiten für Populisten? In der Jahresstudie 2021 geht das Forum MIDEM dieser Frage nach, indem es die sozialen Medien in zwölf Ländern in Europa untersucht hat. Konnten die populistischen Parteien Europas von den durch die Pandemie verschärften sozialen Spaltungen profitieren? Antworten gibt es in der Studie, die sich auch auf die Ergebnisse einer repräsentativen Befragung in Zusammenarbeit mit dem Meinungsforschungsinstitut dimap stützt.
Corona verdrängt Migration
Bei der Häufigkeit der Migrationsthemen habe sich im europäischen Vergleich ein uneinheitliches Bild ergeben. „Für rechtspopulistische Parteien ist Einwanderung das Lieblingsthema“, sagt Dr. Mendes. Und hat sich die Gewichtung beim Thema Migration während der Pandemie verschoben? Hier ergibt sich ein uneinheitliches Bild. „In manchen Ländern ist die Häufigkeit der Migrationsthemen ungefähr gleich geblieben, wie in Schweden oder Spanien, während sie in anderen Ländern, zum Beispiel Ungarn und Dänemark, abnahm“, erklärt die Forscherin. Auch in Deutschland ging die Nennung von migrationsbezogenen Themen in den sozialen Medien zurück. Vor der Pandemie hatte knapp jeder dritte Facebook-Post einen Migrationsbezug. „Im Untersuchungszeitraum ab dem 1. März 2020 bis zum April dieses Jahres waren es etwas unter 20 Prozent. Es waren also weniger, aber es ist immer noch ein beachtlicher Anteil ihrer Facebook-Posts“, so Dr. Mendes.
Die qualitative Untersuchung hat zudem gezeigt, dass die Parteien über die EU-Grenzen hinweg die Themen Corona und Migration miteinander verknüpfen – und das in ähnlicher Weise. „Die Schlagwörter sind sehr ähnlich: Migrant*innen als mögliche Virusträger*innen, Migrant*innen, die sich nicht an Ausgangssperren hielten, Corona-Ausbrüche unter Migrant*innen und so weiter.“
Wie in Deutschland und Spanien hätten die meisten untersuchten Parteien die staatlichen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung in eine Projektionsfläche für polemisch und emotional aufgeladene Regierungskritik verwandelt. „Dabei waren sie darauf bedacht, die Expertise und die Wissenschaft nicht grundsätzlich infrage zu stellen“, führt Dr. Mendes aus. „Stattdessen haben sie versucht, den Diskurs um weitere Aspekte zu erweitern.“ Zudem waren die Parteien vorsichtig, keine Verschwörungsmythen zu verbreiten. „Wir haben nur die offiziellen Kanäle untersucht. Da wollen die Parteien offensichtlich die gemäßigtere Anhängerschaft am rechten Ende des konservativen Spektrums nicht verprellen.“ Verschwörungstheoretische Inhalte verbreiten sich hingegen zumeist über andere Wege, etwa über rechtspopulistische und -extreme Plattformen oder Accounts von Einzelpersonen.
Corona-Protest in Sachsen
Die MIDEM-Jahresstudie blickt dabei nicht nur vergleichend nach außen auf Parteien in EU-Ländern. In einem zweiten Teil der Studie wurden 1.008 Sächsinnen und Sachsen zu ihren Einstellungen zu den Coronamaßnahmen befragt. Ergebnis: Ablehnende Positionen zu staatlichen Infektionsschutzmaßnahmen stehen vor allem mit populistischen Orientierungen in Zusammenhang. Das bedeutet, dass Menschen, die die Coronamaßnahmen ablehnen, sich oft von Politik und Institutionen wenig oder schlecht repräsentiert fühlen. Dagegen sind kritische Haltungen zu den Infektionsschutzmaßnahmen seltener mit ethnozentrischen oder autoritären Einstellungen verbunden.
Mercator Forum Migration und Demokratie
Das Mercator Forum für Migration und Demokratie (MIDEM) fragt danach, wie Migration demokratische Politiken, Institutionen und Kulturen prägt und zugleich von ihnen geprägt wird. Untersucht werden Formen, Instrumente und Prozesse politischer Verarbeitung von Migration in demokratischen Gesellschaften.