Mit dem Recht gegen Rassismus

Mit dem Recht gegen Rassismus
Autor: Matthias Klein 19.05.2021

Sie wurden angegriffen oder beleidigt: Menschen mit Rassismuserfahrungen kommen zu Blaise Francis El Mourabit. Der Anwalt berät sie pro bono. Er sagt: „Das Recht gibt Möglichkeiten, sich zu wehren – aber diese reichen nicht aus.“

Sie vertreten ehrenamtlich Opfer von Rassismus als Anwalt. Eigentlich sind Sie Wirtschaftsstrafrechtler. Wie kam es zu Ihrem Engagement, Herr El Mourabit?

Blaise Francis El Mourabit: Ich habe Wurzeln in der Demokratischen Republik Kongo, eine dunkle Hautfarbe. Ich bin in Wuppertal geboren – aber ich erlebe selbst Rassismus im Alltag seit ich denken kann. Das Thema geht mir persönlich sehr nah. Viele fühlen sich vollkommen hilflos, wenn sie von Rassismus betroffen sind. Aber man kann etwas machen, man kann sich wehren. Das ist mir wichtig. Ich habe Jura studiert und kann in diesem Bereich etwas tun. Seit einigen Jahren nehme ich neben meinem Hauptjob Rassismusfälle aus dem erweiterten Freundes- und Bekanntenkreis an, zunächst ein oder zwei im Monat. Dann kam der Mord an George Floyd.

Blaise Francis El Mourabit

Blaise Francis El Mourabit ist Rechtsanwalt. Er betreut Mandant*innen pro bono bei Rassismusfällen.

Ich war schockiert. Wir kämpfen immer noch mit denselben Problemen wie vor Jahrzehnten. Ich habe beschlossen: Ich möchte jetzt mehr machen.

Sie haben auf Instagram gepostet, dass Sie Opfer als Anwalt vertreten. Was haben Sie dann erlebt?

El Mourabit: Ich war verdutzt zu sehen, dass so viele Menschen zur Blacklivesmatter-Demo nach Düsseldorf kamen. Ich habe sie gefragt, woher sie eigentlich von der Demo wissen. Ich hatte das ganz altmodisch in der Lokalzeitung gelesen (lacht). Viele sagten mir, ich müsse mich auf Instagram anmelden. Ich war vorher kaum in den sozialen Medien aktiv.

© Getty Images

Aber auf Instagram passierte politisch wirklich viel, da waren nicht nur Urlaubsfotos zu sehen. Also habe ich dort mein Angebot gepostet. Die Folgen habe ich völlig unterschätzt – mein Post ging, wie man neudeutsch sagt, viral. Seitdem reißen die Anfragen nicht mehr ab. Ich habe die ersten beiden Monate kaum geschlafen, so viel war zu tun.

Lassen Sie uns noch einmal auf den Mord an George Floyd zurückkommen. Vor kurzem wurde der Täter in den USA verurteilt. Warum ist die juristische Aufarbeitung so wichtig?

El Mourabit: Wenn eine solche Tat sauber aufgearbeitet wird, dann sehen alle, dass der Staat als Institution gegen Rassismus und Polizeigewalt steht. Hinzu kommt ein abschreckendes Signal an potenzielle Täter*innen, das ist auch sehr wichtig. Polizist*innen agieren nicht in einem rechtsfreien Raum, in dem ihnen niemand etwas kann.

Sie haben von den vielen Anfragen erzählt, die Sie nach Ihrem Post auf Instagram bekommen. Wer meldet sich bei Ihnen?

El Mourabit: Es sind überwiegend Menschen mit Wurzeln in Afrika, mit dunkler Hautfarbe. Ich sage ganz explizit „Wurzeln in Afrika“, weil viele von ihnen in Deutschland geboren wurden, die deutsche Staatsbürgerschaft haben. Darüber hinaus bekomme ich Anfragen von Menschen mit Wurzeln in anderen Ländern, beispielsweise in der Türkei oder im Nahen Osten. Aber auch von weißen Menschen, wenn sie einer anderen Minderheit angehören, wenn sie beispielsweise jüdisch sind oder eine von der Mehrheitsgesellschaft abweichende sexuelle Orientierung haben.

Mit welchen Erlebnissen kommen die Menschen auf Sie zu?

El Mourabit: Ich erlebe die gesamte Bandbreite von Rassismus. Es beginnt bei Kindern in der Schule, wenn Lehrkräfte rassistische Bemerkungen machen, Witze über die Hautfarbe zum Beispiel. Manchmal ist das nicht böse gemeint – aber es ist schlicht völlig unpassend. Besonders schlimm ist oft die Reaktion: Wenn man darauf aufmerksam macht, verfallen viele nur in eine Abwehrhaltung.

Ich betreue außerdem Fälle aus dem Berufsleben. In einem Fall wollten Kollegen mit einem neuen Mitarbeiter aus rassistischen Gründen einfach nicht zusammenarbeiten. Sie sagten das ganz offen. Die Firma kündigte dem neuen Mitarbeiter in der Probezeit. Nach dem Motto: So ist es einfacher, dann haben wir das Problem von der Brust.

Bisweilen geht es auch um körperliche Gewalt: Menschen werden angespuckt oder geschlagen. Die Täter*innen sind längst nicht nur überzeugte Neonazis, auch Menschen aus der klassischen Mittelschicht, die ihren Frust ablassen. Und ich betreue Fälle mit Bezug zur Polizei.

Digitaler Mercator Salon mit Blaise Francis El Mourabit

26. Mai 2021, 17:00 Uhr

Rassismus in der Polizei – Facetten des Rassismus in Deutschland

Zum Jahrestag des Mordes an George Floyd möchten wir mit Blaise Francis El Mourabit über seine Motivation im Engagement gegen Polizeigewalt sprechen und hören, welche Erfahrungen er und seine Klient*innen mit der Polizei machen. Außerdem möchten wir mit ihm diskutieren, wie Politik Rassismus und Diskriminierung in der Polizei auf struktureller Ebene entgegenwirken kann. Mehr Informationen finden Sie hier.

Worum geht es da?

El Mourabit: Nur eine kleine Minderheit der Polizist*innen hat eine rechte Gesinnung und zeigt diese ganz offen. Meistens ist Racial Profiling das Thema, also anlasslose Kontrollen ohne jeden Verdacht aufgrund des äußeren Aussehens. Es beginnt mit einer Identitätskontrolle. Öfters eskaliert die Situation: Der Ton der Polizist*innen ist unpassend, meine Mandant*innen werden beispielsweise geduzt, es kommt schnell zu Unterstellungen. Das schaukelt sich manchmal hoch.

Welche Möglichkeiten haben Sie, Opfern juristisch zu helfen?

El Mourabit: In manchen Fällen hilft schon das Auftreten mit einem Anwalt. Ich erzähle ein Beispiel. Ein Schüler störte den Unterricht, der Lehrer beleidigte ihn darauf rassistisch. Auf seine Beschwerde reagierte die Schulleitung nicht, sie verschleppte den Fall. Ich habe einen Brief geschrieben. Zwei Tage später hatten wir einen Gesprächstermin mit der Schulleitung. Und die Schulleitung erstattete selbst Anzeige gegen den Lehrer. Es hat schon ausgereicht, dass ich für den Jungen eingetreten bin. Wie kann man sich sonst wehren? Man kann Anzeige erstatten. Manchmal hilft das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Wer beispielsweise bei einer Bewerbung wegen seiner Hautfarbe Diskriminierung erlebt, kann Schadensersatzansprüche stellen.

Wenn Sie das zusammenfassen: Wie ist aus Ihrer Sicht die Rechtslage, wenn man in Deutschland von Rassismus betroffen ist?

El Mourabit: Das Recht gibt Möglichkeiten, sich zu wehren – aber diese reichen nicht aus. Ich erzähle einen Beispielfall von mir. Eine vierköpfige Familie mit dunkler Hautfarbe suchte eine Wohnung. Die Mutter unterhielt sich mit dem potenziellen Vermieter am Telefon. Er war begeistert, alles passte, er bot einen Mietvertrag an. Am nächsten Tag kam die Familie zur Wohnungsbesichtigung. Der Vermieter stand auf der Türschwelle, sah die Familie und sagte: „Ich bin kein Rassist. Aber meine anderen Mieter könnten etwas gegen Sie haben.“ Was kann die Familie tun? Glück im Unglück: Sie hat zwei Wochen später eine Wohnung zu vergleichbaren Konditionen gefunden. Ich konnte nur sagen: Sie können gar nichts tun. Das AGG hätte einen Schadensersatzanspruch eingeräumt, wenn die Familie beispielsweise nur eine teurere Wohnung gefunden hätte oder psychische Schäden davon getragen hätte. Beides war nicht der Fall und die mentale Stärke der Familie rechtlich nachteilig für diese. Das darf nicht sein.

Es gibt weder eine Strafe noch ein Bußgeld. Das ist ja wohl alles andere als abschreckend.

Was fehlt aus Ihrer Sicht?

El Mourabit: Oft gibt es schlicht keine Sanktionen. Die Antirassismusrichtlinie der EU sieht wörtlich „abschreckende Sanktionen“ bei Rassismus vor. Aber in Deutschland gibt es diese in vielen Fällen nicht. Schauen Sie Racial Profiling an: Das ist kein Straftatbestand. Geht man vor Gericht, bleibt es bei einer bloßen Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme und Ermahnung für die Polizist*innen. Es gibt weder eine Strafe noch ein Bußgeld. Das ist ja wohl alles andere als abschreckend.

Die Möglichkeiten sind begrenzt, sagen Sie. Was bedeutet es für Ihre Mandant*innen, wenn Sie sich Ihrer Sache annehmen?

El Mourabit: Sie sind vor allem unfassbar froh, dass sie nicht mehr alleine sind. Ich fühle mich ehrlich gesagt teilweise wie ein Therapeut. Es tritt Erleichterung ein, weil ihnen jemand glaubt. Denn sie erleben oft das Gegenteil, nach dem Motto: Hier in Deutschland gibt es keinen Rassismus.

Welches Ziel treibt Sie an?

El Mourabit: Ursprünglich wollte ich einfach nur einzelnen Personen helfen. Mittlerweile bearbeite ich immer mehr Fälle. Jetzt ist mein Ziel, die Fälle in die Öffentlichkeit zu tragen. Ich will Gehör finden, in der Politik und bei der Polizei. Ich hoffe, dass sich die Situation irgendwann verbessert.

Sind Sie optimistisch?

El Mourabit: In den ersten Monaten nach dem Mord an George Floyd hatte ich den Eindruck, dass es schlimmer wird. Gerade die Polizei reagierte mit einer absoluten Abwehrhaltung. Das war ein schlechtes Signal. Inzwischen hat sich die emotionale Lage entspannt. Es bewegt sich nun etwas in die richtige Richtung. Parteien sprechen mich an, interessieren sich für meine Vorschläge. Und auch bei der Polizei habe ich teilweise einen guten Eindruck: Die Position setzt sich langsam durch, dass man das Thema ernst nehmen muss.