„Rassismus nicht mehr ausblenden“

„Rassismus nicht mehr ausblenden“
Autor: Matthias Klein 25.05.2021

Die Bilder gingen um die Welt: Vor einem Jahr tötete ein weißer Polizist George Floyd. Mit den #Blacklivesmatter-Protesten sei einiges in Bewegung gekommen, sagt Tahir Della, Sprecher der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland. „Die junge Generation stimmt mich optimistisch.“

Porträt von Tahir Della. Er ist Sprecher der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, die sich bei den neuen deutschen organisationen (ndo) engagiert.
© Tahir Della

Tahir Della

ist Sprecher der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, die sich bei den neuen deutschen organisationen (ndo) engagiert.

Vor einem Jahr tötete ein weißer Polizist den Afroamerikaner George Floyd in Minneapolis. Tausende demonstrierten in der Folge weltweit unter dem Motto #Blacklivesmatter gegen Rassismus. Wenn Sie zurückblicken: Was hat sich aus Ihrer Sicht in diesem Jahr verändert, Herr Della?

Tahir Della: Ich habe den Eindruck, dass etwas in Bewegung gekommen ist, was schon vorher auf der Agenda von Betroffenen und der Zivilgesellschaft stand. In den staatlichen Strukturen ist allerdings wenig passiert. Die Verurteilung des Täters in den USA kürzlich wurde als eine Zeitenwende gefeiert. Das zeigt, wo wir stehen: Eine Verurteilung in einem solch eindeutigen Fall von rassistischer Polizeigewalt ist noch immer keine Selbstverständlichkeit.

Sie haben die Verurteilung des Polizisten angesprochen. Warum ist die juristische Aufarbeitung so wichtig?

Della: In den USA war das ein sehr wichtiges Signal. Oft wurden vergleichbare Fälle eingestellt, hier kam es endlich zu einer Aufarbeitung und einem Urteil. Die Institutionen machen damit klar: Polizeigewalt wird unterbunden und sanktioniert. Für Deutschland fehlt ein solches Signal. Denken Sie an Oury Jalloh, der in Polizeigewahrsam starb. Das ist nicht aufgeklärt worden. Und solche Fälle gibt es viele. Ich will nicht sagen, dass alle Polizist*innen mit Rassismus sympathisieren. Aber die inneren Normen innerhalb der Polizei führen immer wieder zu solchen Gewalttaten.

Auch in Deutschland gingen bei #Blacklivesmatter-Demos Tausende auf die Straße. Hat das dem Thema in der Breite eine neue Dimension gegeben?

Della: Wir leben in einer Gesellschaft, in der Rassismus fester Bestandteil des Zusammenlebens ist. Das Thema geht deshalb alle an. Nehmen wir es weiterhin als normal hin, dass Menschen diskriminiert werden? In Deutschland waren es vor allem Jugendliche und junge Erwachsene, die #Blacklivesmatter getragen haben.

Viele haben zuvor bei #Fridaysforfuture Klimaschutz gefordert – und sich dann gegen Rassismus engagiert. Sie kamen aus ganz unterschiedlichen sozialen Schichten. Mich stimmt optimistisch, dass es in der jungen Generation ein starkes Problembewusstsein gibt. Diese Menschen wollen Rassismus nicht mehr einfach hinnehmen. Sie haben eine Vorstellung, wie eine bessere Gesellschaft aussehen kann – ein Element davon ist, dass niemand diskriminiert wird.

Sie engagieren sich seit Jahrzehnten für das Thema. Bei spektakulären Verbrechen bekam es in der Öffentlichkeit immer wieder große Aufmerksamkeit, danach flachte diese ab. Ist es diesmal genauso?

Della: Es war natürlich nicht zu erwarten, dass die Proteste weitergehen, bis sich wirklich etwas ändert. Es ist so, wie Sie es beschreiben: Es gibt Spitzen der Aufmerksamkeit. Dann realisieren viele Menschen die Verhältnisse – aber nur kurzfristig. Ich glaube allerdings, dass die Bereitschaft, sich damit zu beschäftigen, größer ist als vor einigen Jahren. Die Wellen der Aufmerksamkeit haben über die Jahre dazu geführt, dass das Problembewusstsein größer geworden ist. Mal platt gesagt: Ich hoffe, dass nicht weiterhin erst Menschen sterben müssen, damit wir über das Thema Rassismus in der Gesellschaft sprechen. Man darf eines nicht vergessen: Rassistische Muster haben sich über Jahrhunderte herausgebildet. Die lassen sich nicht schnell beseitigen – wir brauchen einen langen Atem.

Die Politik tut sich nach wie vor sehr schwer.

„Rassismus ist endlich kein Tabu mehr“, sagten Sie in unserem Interview vor einem Jahr. Hat sich das dauerhaft verändert?

Della: Nun ja, es ist nicht überall in unserer Gesellschaft kein Tabu mehr. Das hatte ich aber auch nicht erwartet. Mit den Protestaktionen ist immerhin deutlich geworden, dass wir als Gesellschaft das Problem nicht mehr ausblenden können. Was mich pessimistisch stimmt: Die Politik tut sich nach wie vor sehr schwer.

Was fehlt aus Ihrer Sicht?

Della: Die Proteste haben leider nicht dazu geführt, dass es zu einer entsprechenden Debatte in der Politik gekommen ist. Ja, die Regierungskoalition will den Begriff „Rasse“ aus dem Grundgesetzt streichen. Das haben wir Organisationen der Zivilgesellschaft schon seit Jahren gefordert. Aber es müsste viel mehr passieren, damit die Lebensrealität von Schwarzen Menschen in Deutschland besser wird. Die Politik muss die Rahmenbedingungen in den Blick nehmen, damit staatliche und gesellschaftliche Institutionen Menschen nicht diskriminieren. Ich rede dabei nicht nur von Polizei und Justiz, alle Institutionen sind gefragt. Das ist das, was auch zivilgesellschaftliche Organisationen fordern. Uns fehlt ein Bewusstsein, dass wir es immer noch viel zu oft mit Menschen zu tun haben, die an den althergebrachten rassistischen Mustern festhalten. Sie wollen diese nicht reflektieren.

Nun steht der Bundestagswahlkampf an. Ist das eine Chance, das Thema in die politische Debatte zu bringen?

Della: Ja, ich glaube, der Kampf gegen Rassismus wird ein Thema im Wahlkampf sein. Die Parteien kommen verstärkt auf uns Organisationen zu und wollen unsere Meinung, unsere Einordnung, unsere Position hören. Das ist positiv. Gleichzeitig bleibe ich skeptisch, was dann wirklich umgesetzt wird. Das wird von den politischen Mehrheiten nach der Wahl abhängen. Ich bin gespannt, ob sich etwas ändern wird.

Neue deutsche organisationen

neue deutsche organisationen e.V. sind ein bundesweites Netzwerk von rund 100 Vereinen, Organisationen und Projekten. Der Verein sieht sich als postmigrantische Bewegung gegen Rassismus und für ein inklusives Deutschland.

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