„Wir müssen Andersartigkeit zum Klingen bringen.“

Grafitti "Girl Power"
„Wir müssen Andersartigkeit zum Klingen bringen.“
Autorin: Anna E. Poth 30.08.2022

Gelebte Diversität und Chancengleichheit: Dies sind Anforderungen an die Unternehmen von heute. Dr. Brigitte Lammers ist Mitgründerin des Netzwerkes „FidAR – Frauen in die Aufsichtsräte“ und sorgt als Partnerin des Personal­beratungs­unternehmen Egon Zehnder für mehr weibliche Besetzungen bei namhaften Konzernen und Unternehmen. Doch ist es damit schon getan? Im Gespräch mit AufRuhr erklärt die Juristin und Personal­beraterin, wie sich ein nach­haltiger Wandel erreichen lässt.

Frau Lammers, blicken wir auf Ihre Karriere, führte der Weg rasch nach oben. Hatten Sie Vorbilder?

Brigitte Lammers: Meine Vorbilder waren meine Eltern – sehr liebens­werte, bescheidene, werte­orientierte und hart arbeitende Menschen. Während des Weltkrieges konnten sie ihre Wünsche und Träume nicht erfüllen. Dennoch ist es ihnen gelungen, ein glückliches Leben zu führen. Sie haben die Chancen bestmöglich genutzt, die ihnen geboten wurden – und sie haben uns Kindern alle Freiheiten eingeräumt, genau das zu tun, was sie selbst nicht tun konnten. Und das mit einer Kombination aus großem Vertrauen, großer Freiheit und einer ebenso großen Portion preußischer Disziplin. Das hat mein Leben sehr geprägt, und dafür bin ich außer­ordentlich dankbar.

Wie viele Glasdecken sind Ihnen auf Ihrem Weg nach oben begegnet?

Lammers: Das ist mir nicht passiert, ich hatte Glück. Mein Berufs­start bei der Deutschen Telekom fiel in eine Zeit, als der Konzern gerade privatisiert wurde. Ich war damals die einzige inter­nationale Gesellschafts­rechtlerin im Unternehmen. Die Vorstands­mitglieder haben mir extrem viel Vertrauen entgegen­gebracht, mir spannende Projekte und Freiheiten gegeben. Der Aufstieg folgte zeitnah, und ich gehörte zu den ersten Frauen im Konzern, die Leitungs­aufgaben wahr­genommen haben. Ich fand das damals normal und selbst­verständlich. Den Begriff der Glasdecke gab es noch nicht.

Vor über 20 Jahren sind Sie zu Egon Zehnder gewechselt und haben einen anderen Weg eingeschlagen. Wie kam es zu der Entscheidung?

Lammers: Mich haben Menschen schon immer fasziniert, und der Ausblick, mich mit ihren Lebens­wegen professionell aus­einander­zu­setzen, hat mich gereizt. Darum habe ich mich bewusst für Egon Zehnder entschieden. Tatsächlich war ich in meinem Office auch lange Zeit die einzige Beraterin. Neben meiner Beratertätigkeit wurden mir schnell Führungs­aufgaben anvertraut. Ich gehöre wahrscheinlich zu den wenigen Frauen, die Glasdecken nicht erlebt haben.

Brigitte Lammers
© Egon Zehnder

Brigitte Lammers, eine der einfluss­reichsten Wirtschaftst­frauen in Deutschland, macht sich stark für Frauen­förderung und Diversität. Ihr Erfolgs­rezept: Die eigene Über­zeugung leben und sofort kündigen, wenn das Unternehmen keine Aufstiegs­chancen bietet.

Wie schwierig war Ihr Aufstieg von der Beraterin zur Partnerin?

Lammers: Dieser Weg ist nicht einfach, folgt aber in jedem Beratungs­haus festen Regeln. Sie müssen gezeigt haben, dass Sie unternehmerisch tätig sind, erfolg­reich und akzeptiert im Markt. Das stellt sich durch harte Arbeit ein, und es braucht etwas Glück. Bei Egon Zehnder durch­laufen Sie bestimmte Stufen und werden in circa fünf bis sieben Jahren zur Partnerin beziehungs­weise zum Partner. Für mich stand dabei aber vor allem die Leidenschaft für Menschen, die ich in meiner Profession leben kann, im Mittelpunkt. Sie macht einen Großteil meines Erfolges aus. Der Weg von der Beraterin zur Partnerin war für mich allerdings nicht das große Thema. Meine Herausforderung war, von der jungen Managerin, die operative Arbeit sehr mochte, zur Beraterin zu werden. Das war nicht nur eine andere berufliche Positionierung, es erforderte auch eine Identität und ein Selbst, das wachsen musste, hin zu einer zuhörenden und Rat gebenden Person.

© Unsplash
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Neue Herausforderungen motivieren Sie in Ihrer Arbeit. Fordern Sie deshalb immer zum direkten Diskurs auf? Beispiels­weise wenn es um mehr Frauen­förderung im Management geht?

Lammers: Ich mag Menschen, die nicht stromlinienförmig sind, unliebsame Wahrheiten aussprechen und Positionen haben, die ich im Zweifel nicht teile. Für mich war und ist es Ansporn und Motivation, mit guten Argumenten neue Perspektiven zu eröffnen.

Natürlich komme ich nicht mit in Stein gemeißelten Weisheiten zu Klient*innen. Arbeit mit Klient*innen bedeutet auch immer, meine eigene Position zu hinter­fragen und zu verstehen, aus welchem Blickwinkel ein*e Unternehmer*in oder Manager*in auf die Welt schaut. Wir sind weit über den Punkt hinaus, wo in Unternehmen komplexe Frage­stellungen einfach zu beantworten sind. Das gilt insbesondere für organisatorische, strategische und Personal­frage­stellungen. Die Situation in Unternehmen ist in vielerlei Hinsicht nicht mehr kurz­fristig vorher­seh­bar. Es wäre völlig vermessen zu glauben, man habe als Berater*in die richtige Antwort. Gute Berater*innen wissen aber, wie sie mit den Klient*innen erarbeitet werden kann.

Gibt es genug frauen­fördernde Netzwerke wie FidAR?

Lammers: Frauennetzwerke sind wichtig – Netzwerke, in denen sich Frauen zusammentun und deren Zweck klar definiert ist. Bei FidAR war das bei der Gründung klar getragen durch die Erkenntnis, dass wir viel zu wenige Frauen in Aufsichts­räten haben. Dieses Ziel ist dank der Arbeit von vielen engagierten Frauen gut erreicht. Jetzt wäre es an der Zeit, gesellschafts­politische Hindernisse beiseite­zu­schaffen, die einer ziel­gerichteten Management­förderung im Wege stehen. Solche Themen immer wieder über Netzwerke zu adressieren, scheint mir sehr sinnvoll. Denn: Gemeinsam können wir bestehende Glasdecken einfacher durchbrechen.

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Eine Studie der AllBright Stiftung macht deutlich, dass Familien­unternehmen immer noch sehr wenige Frauen einstellen. Wie überzeugen Sie die Chefetage?

Familienunternehmen lernen gerne von anderen Familien­unternehmen. Und es gibt inspirierende Beispiele. Familien­unternehmen, in denen die Töchter die Führung sehr erfolg­reich über­nommen und sich dabei gegen externe Manager*innen durch­gesetzt haben, weil die Besten an der Spitze stehen sollen. Das umgekehrte Beispiel gibt es natürlich auch. Talentierte Frauen, daran besteht kein Zweifel, gibt es. Dass es eine Tendenz gibt, Frauen nicht einzustellen, entspricht nicht meiner Erfahrung.

Wie vermitteln Sie Unternehmen, dass auch wirtschaftliche Gründe für Diversität sprechen?

Dass gelebte Diversität auf ein Unternehmen positive Effekte hat, haben Studien in den vergangenen Jahr­zehnten immer wieder belegt. Heutzutage ist vielmehr die Frage: Wie sehr gelingt es Unternehmen, Diversität zum Leben zu bringen? Das bleibt eine Herausforderung. Eine Frauen­quote allein bringt nichts. Man muss das, was an Anders­artigkeit da ist, zum Klingen bringen. Bei Unternehmen mit verfestigten Strukturen ist dies nicht ohne Weiteres möglich. Um Veränderungen herbei­zu­führen, brauchen Sie Chef*innen, die den Mitarbeitenden erklären, was die Maßnahmen und der Wandel bedeuten. Es gibt auch nicht die eine Methode. Es ist ein Puzzle unterschiedlicher Maßnahmen, die man über­prüfen und nachjustieren sollte. Ein Kultur­wandel kann aber nur gelingen, wenn die Einstellung stimmt. Die Einstellung kommt auch vom Herzen, nicht nur vom Verstand. Auf der Verstandes­ebene sind wir alle pro mehr Diversität, in der alltäglichen Realität oft nicht. Und viele sind sich dessen nicht einmal bewusst, da liegt noch viel Arbeit vor uns.

Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie steht Deutschland im inter­nationalen Vergleich beim Thema Diversität in Führungs­positionen da?

Wir sind bei etwas zwischen 5 und 6 auf der Skala. Leider machen wir keine spürbaren Fortschritte auf der Management­ebene. Die Quote in den Aufsichts­räten konnten wir gut erfüllen. Doch viele Unternehmen haben die Personal­funktionen wieder auf die zweite Ebene gestellt und es gewisser­maßen für Frauen erneut erschwert. Wichtig ist, dass wir in operativen Funktionen eine stärkere Pipeline von Frauen sehen. Das ist ein deutsches und ein gesellschaftliches Thema.

Inwieweit spielen der sozioökonomische Status und die kulturelle Herkunft eine Rolle im Karriere­prozess?

Kinder aus Akademiker­haushalten haben statistisch gesehen mehr Uniabschlüsse. Das ist ein gesellschafts­politisches und bildungs­politisches Thema. Da können Unternehmen nur bedingt Lösungen schaffen. Manche Konzerne setzen auf eine frühe Ausbildungs­förderung und versuchen so, die Chancen­gleich­heit zu fördern.

Mercator Forum
„Teilhabe statt Diskriminierung“

14. & 15. September 2022 in Essen

Deutschland ist ein Einwanderungs­land. Marginalisierte Gruppen erleben jedoch weiter Benachteiligungen, zum Beispiel aufgrund ihrer kulturellen Herkunft oder ihres sozioökonomischen Hintergrunds.

Vertreter*innen aus Politik und Verwaltung, Wissenschaft, Wirtschaft sowie Zivil­gesellschaft, darunter Brigitte Lammers, diskutieren über Diskriminierung und Teilhabe mit dem Ziel gemeinsam Handlungs­strategien zu entwickeln.

Gibt es ein positives Beispiel, das Ihnen in Erinnerung geblieben ist?

Es gibt zahlreiche Beispiele. Wenn man unaufgefordert von Top­manager*innen hört, dass sich der Diskurs in gemischten Teams zum Positiven verändert hat, dann ist das ein groß­artiges Statement. Häufig höre ich auch, dass mit Frauen im Team vieles offener und konstruktiver angesprochen wird. Es gibt eine spürbar höhere Risiko­bereitschaft, sodass auch Probleme schneller auf den Tisch kommen.

Was sind Ihre Tipps für Frauen, die noch Glasdecken vor sich haben?

Vor allem rate ich, durch Performance zu überzeugen. Das öffnet Türen, verschafft Zugänge und Vertrauen. Und dann kann jede Frau selbst­bewusst artikulieren, warum und wo sie Ungleich­behandlung empfindet, und deutlich machen, welche potenziellen Lösungs­ansätze es geben könnte. Sie kann Vorgesetzte durchaus im konstruktiven Modus herausfordern.

Oft passiert jedoch nichts. Dann müssen Frauen dasselbe tun, was Männer tun, nämlich das Unternehmen verlassen. Das ist für Frauen oftmals schwieriger, wenn sie Kinder haben, der*die Partner*in am selben Ort berufstätig ist und eine gefestigte Struktur die Organisation der Familie unter­stützt. Ein Wechsel in eine andere Stadt ist in solchen Fällen nicht immer machbar. Doch auch innerhalb eines Unternehmens zu wechseln, ist möglich. Ein Wechsel ist in jedem Fall besser, als sich frustrieren und demotivieren zu lassen. Ich rate Frauen dazu, sich bewusst zu machen, was sie können, und auch mutig zu sein, Aufgaben anzugehen, die sie sich nicht ganz zutrauen. Männer tun das mit größerer Selbstverständlichkeit. Frauen sind aber oftmals viel besser positioniert, weil sie sich ihrer Entwicklungs­potenziale bewusst sind – und entwickeln sich dann häufig enorm weiter, im Überhol­modus. Die Glasdecken haben keine Zukunft, mutige Frauen in Spitzen­positionen schon.


Mercator Forum „Teilhabe statt Diskriminierung“

Im Mercator Forum arbeiten unter­schiedliche Stake­­holder*innen und Partner*innen der Stiftung Mercator zwei Tage lang an einer über­greifenden Frage­­stellung, um die Themen der Stiftung voran­­zu­­treiben. Das Mercator Forum findet einmal jährlich in Essen statt.